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11. Reigen
11
Der Reigen.
und „Ruhe“ aus dem Zuschauerraum die Bemerkung
ästheten und suchen die Moral in lauter ästhetisches
fallen ließ: „Deutschland sollte sich freuen, daß es
Genießertum aufzulösen, weil ihnen die Herbe der
noch eine solche Jugend hat.“ Die Schülerschaft einer
Forderung vom Überwindertum weh tut. Kant ist
höheren Lehranstalt faßte im Anschluß an diesen Vor¬
veraltet, seine Sitten- und Pflichtenlehre zum alten
gang folgende Entschließung: „Die Schülervertretung
Eisen geworfen! Man schlägt sich an den Kopf und
des Wilhelm-Ernst-Gymnasiums fordert ihre älteren
fragt: können das wirklich Männer von sich geben
Mitschüler auf, eingedenk zukünftiger geistiger Füh¬
und verantworten, die Anspruch auf die geistige Füh¬
rerschaft im Volke durch Nichtbesuch der Vorstellun¬
rerschaft im neuen Deutschland erheben? Zumal die
gen im Residenztheater die einmütige Ablehnung und
Geschichte ihnen sagen müßte, daß doch gerade Kant
gemeinsame Verabscheuung des Schnitzlerschen „Rei¬
durch seine Normgebung dieses schwächliche Astheten¬
gen kundzutun, eines Machwerkes, das eine Be¬
tum der Aufklärung zu überwinden strebte, das jene
leidigung unserer Mütter und Schwestern darstellt,
neuzeitlichen Geister wieder aufputzen und als Freiheit
und geeignet ist, unser Volkskum noch tiefer in den
und Weisheit ausgeben.
Schlamm der Gemeinheit versinken zu lassen.
Wir werden niemals wieder hochkommen, wenn
Hier regt sich neues Leben, und wir glauben die
nicht die drei großen Imperative als Leitsterne der
Sonne eines neuen Tages vorauszuschauen, die ihre
Volks- und Jugenderziehung aufs neue zu leuchten
Strahlen hineinsendet in das, was alt und verkalkt
und zu regeln anfangen: Lerne gehorchen! Lerne dich
ist und mit Schminke und Firnis im Lampenlicht der
anstrengen! Lerne dir versagen und deine Begierden
Bühne mühsam zur Morgenröte frisiert wird. Dieses
überwinden! Und alle drei, nicht bloß die letzte For¬
Überalterte, dem Schund und Trödelkram Anheim¬
derung, helfen jene alte, ewig neue und nie veraltete
gefallene ist nicht — die ewig neue, überzeitliche
Sittlichkeit begründen, in der die stärksten und einzi¬
Ethik des Gewissens und der Pflicht, sondern der
gen Sicherungen gegen die Übermacht des Trieb¬
Augiasstall voll Auswurf und voll Unrat, der in unsrer
satans und die Niederringung des geistigen Seins
modernen Bühne eine Nähr- und Pflegestätte ge¬
durch die Natur gegeben sind.
so
funden hat. Die Bühne eine moralische Anstalt,
wollte es einst Friedrich von Schiller, der Dichter des
Gotklob, daß unsere Jugend in weiten Kreisen sich
deutschen Idealismus. So wis es für die Zukunft
von aller auflösenden Begehrlichkeit und müßig¬
eine ringende Jugend in ehrlicher Leidenschaft und von
gängerischen Verweichlichung lossagt und mit ein¬
tarkem Willen. Das Heute gehört noch vielfach der
fachem, ganzen, unverbildeten Sinne sich dem Wahren
Barberei und der Unkultur, das hat der Ausgang des
und Echten zuwendet, das einst Deutschlands Ruhm
Reigenprozesses dokumentiert, und darin liegt seine
und Größe ausmachte. Der Jugendring in Weimar
geschichtliche Bedeutung. Wohl uns, daß die Toten¬
hat gegen die Aufführung des Schnitzlerschen Reigen
gräber dieser schwülen, muffigen Atmosphäre bereit¬
protestiert und ist dafür als „Ruhestörer' nachdrücklich
stehen, um Abgelebtes zu vernichten und Neuem und
von der Polizei unter dem Beifall der an dem Schmutz
Gesunderem zum Leben zu verhelfen. Denn das
sich mästenden und durch den Einspruch „verietzten
Bühnenschauspiel war noch immer und ist zu allen
Zuschauer hinausbefördert worden. Nur ein alter
Zeiten das sittliche Barometer eines Volkes.
Herr traf das Wahre, als er in die entrüsteten „Pst'
2250
D
Der Aeigen.
Motto: Du bist mein Richter, Publikum. (Danny Gürtler.)
nicht leicht, hier den Lesern unseres Blattes in Wahr¬
ie Leser unserer Volkswacht wird es eigen¬
heit zu schildern, wie wir den Reigen sahen in den
artig berühren, daß wir einen Ausspruch
Hamburger Kammerspielen, aber wir kun es, auch auf
des so extremen sozialistischen Freiheits¬
die Gefahr hin, daß wir selber wegen Übertretung des
kämpfers, wie es Danny Gürtler war,
§ 184 des D. Str. G. B. bestraft werden und unser
an die Spitze unserer Ausführungen über
Blatt beschlagnahmt wird. Wir sind der Meinung, daß
den Reigen stellen. Wir halten es für notwendig,
wir nur so der Wahrheit zum Siege verhelfen kön¬
daß unser ganzes deutsches Volk sich ein Urteil über
nen. Wir drucken deshalb den ganzen ersten Dialog
den Reigen bildet, und wir sind nicht ängstlich darum,
der 10 Dialoge aus dem 69.—78. Tausend der Rei¬
daß es Fähigkeiten genug besitzt, über den Reigen zu
genveröffentlichung ab und stellen dabei fest, daß
Gericht zu sitzen und das Urteil über ihn spricht, wel¬
wir in all' den Dialogen nicht diese Schweinerei ge¬
ches lauten muß: Ins Feuer! Vor zwei Berliner Ge¬
lesen haben, die auf der Bühne in Worten und Ge¬
richten ist der Aufführung des Reigens das Zeugnis
bärden zur Darstellung kam. In dem ersten Dialog
gegeben worden: die Aufführung ist eine sittliche Tat.
steht auch nicht ein Wörkchen davon, daß die Bühne
Und über dieses Urteil müssen sich unsere Leser selber
verdunkelt werden soll, daß der Soldat bei Wieder¬
ein Urteil bilden, unbeeinflußbar durch die verrotteten
erhellung der Bühne mit ungeordnetem Beinkleid auf
Begriffe eines Ludwig Fulda oder eines sozialistischen
die Bühne gelaufen kommen soll.
Justizministers a. D. Wolfgang Heine. Es ist uns
11. Reigen
11
Der Reigen.
und „Ruhe“ aus dem Zuschauerraum die Bemerkung
ästheten und suchen die Moral in lauter ästhetisches
fallen ließ: „Deutschland sollte sich freuen, daß es
Genießertum aufzulösen, weil ihnen die Herbe der
noch eine solche Jugend hat.“ Die Schülerschaft einer
Forderung vom Überwindertum weh tut. Kant ist
höheren Lehranstalt faßte im Anschluß an diesen Vor¬
veraltet, seine Sitten- und Pflichtenlehre zum alten
gang folgende Entschließung: „Die Schülervertretung
Eisen geworfen! Man schlägt sich an den Kopf und
des Wilhelm-Ernst-Gymnasiums fordert ihre älteren
fragt: können das wirklich Männer von sich geben
Mitschüler auf, eingedenk zukünftiger geistiger Füh¬
und verantworten, die Anspruch auf die geistige Füh¬
rerschaft im Volke durch Nichtbesuch der Vorstellun¬
rerschaft im neuen Deutschland erheben? Zumal die
gen im Residenztheater die einmütige Ablehnung und
Geschichte ihnen sagen müßte, daß doch gerade Kant
gemeinsame Verabscheuung des Schnitzlerschen „Rei¬
durch seine Normgebung dieses schwächliche Astheten¬
gen kundzutun, eines Machwerkes, das eine Be¬
tum der Aufklärung zu überwinden strebte, das jene
leidigung unserer Mütter und Schwestern darstellt,
neuzeitlichen Geister wieder aufputzen und als Freiheit
und geeignet ist, unser Volkskum noch tiefer in den
und Weisheit ausgeben.
Schlamm der Gemeinheit versinken zu lassen.
Wir werden niemals wieder hochkommen, wenn
Hier regt sich neues Leben, und wir glauben die
nicht die drei großen Imperative als Leitsterne der
Sonne eines neuen Tages vorauszuschauen, die ihre
Volks- und Jugenderziehung aufs neue zu leuchten
Strahlen hineinsendet in das, was alt und verkalkt
und zu regeln anfangen: Lerne gehorchen! Lerne dich
ist und mit Schminke und Firnis im Lampenlicht der
anstrengen! Lerne dir versagen und deine Begierden
Bühne mühsam zur Morgenröte frisiert wird. Dieses
überwinden! Und alle drei, nicht bloß die letzte For¬
Überalterte, dem Schund und Trödelkram Anheim¬
derung, helfen jene alte, ewig neue und nie veraltete
gefallene ist nicht — die ewig neue, überzeitliche
Sittlichkeit begründen, in der die stärksten und einzi¬
Ethik des Gewissens und der Pflicht, sondern der
gen Sicherungen gegen die Übermacht des Trieb¬
Augiasstall voll Auswurf und voll Unrat, der in unsrer
satans und die Niederringung des geistigen Seins
modernen Bühne eine Nähr- und Pflegestätte ge¬
durch die Natur gegeben sind.
so
funden hat. Die Bühne eine moralische Anstalt,
wollte es einst Friedrich von Schiller, der Dichter des
Gotklob, daß unsere Jugend in weiten Kreisen sich
deutschen Idealismus. So wis es für die Zukunft
von aller auflösenden Begehrlichkeit und müßig¬
eine ringende Jugend in ehrlicher Leidenschaft und von
gängerischen Verweichlichung lossagt und mit ein¬
tarkem Willen. Das Heute gehört noch vielfach der
fachem, ganzen, unverbildeten Sinne sich dem Wahren
Barberei und der Unkultur, das hat der Ausgang des
und Echten zuwendet, das einst Deutschlands Ruhm
Reigenprozesses dokumentiert, und darin liegt seine
und Größe ausmachte. Der Jugendring in Weimar
geschichtliche Bedeutung. Wohl uns, daß die Toten¬
hat gegen die Aufführung des Schnitzlerschen Reigen
gräber dieser schwülen, muffigen Atmosphäre bereit¬
protestiert und ist dafür als „Ruhestörer' nachdrücklich
stehen, um Abgelebtes zu vernichten und Neuem und
von der Polizei unter dem Beifall der an dem Schmutz
Gesunderem zum Leben zu verhelfen. Denn das
sich mästenden und durch den Einspruch „verietzten
Bühnenschauspiel war noch immer und ist zu allen
Zuschauer hinausbefördert worden. Nur ein alter
Zeiten das sittliche Barometer eines Volkes.
Herr traf das Wahre, als er in die entrüsteten „Pst'
2250
D
Der Aeigen.
Motto: Du bist mein Richter, Publikum. (Danny Gürtler.)
nicht leicht, hier den Lesern unseres Blattes in Wahr¬
ie Leser unserer Volkswacht wird es eigen¬
heit zu schildern, wie wir den Reigen sahen in den
artig berühren, daß wir einen Ausspruch
Hamburger Kammerspielen, aber wir kun es, auch auf
des so extremen sozialistischen Freiheits¬
die Gefahr hin, daß wir selber wegen Übertretung des
kämpfers, wie es Danny Gürtler war,
§ 184 des D. Str. G. B. bestraft werden und unser
an die Spitze unserer Ausführungen über
Blatt beschlagnahmt wird. Wir sind der Meinung, daß
den Reigen stellen. Wir halten es für notwendig,
wir nur so der Wahrheit zum Siege verhelfen kön¬
daß unser ganzes deutsches Volk sich ein Urteil über
nen. Wir drucken deshalb den ganzen ersten Dialog
den Reigen bildet, und wir sind nicht ängstlich darum,
der 10 Dialoge aus dem 69.—78. Tausend der Rei¬
daß es Fähigkeiten genug besitzt, über den Reigen zu
genveröffentlichung ab und stellen dabei fest, daß
Gericht zu sitzen und das Urteil über ihn spricht, wel¬
wir in all' den Dialogen nicht diese Schweinerei ge¬
ches lauten muß: Ins Feuer! Vor zwei Berliner Ge¬
lesen haben, die auf der Bühne in Worten und Ge¬
richten ist der Aufführung des Reigens das Zeugnis
bärden zur Darstellung kam. In dem ersten Dialog
gegeben worden: die Aufführung ist eine sittliche Tat.
steht auch nicht ein Wörkchen davon, daß die Bühne
Und über dieses Urteil müssen sich unsere Leser selber
verdunkelt werden soll, daß der Soldat bei Wieder¬
ein Urteil bilden, unbeeinflußbar durch die verrotteten
erhellung der Bühne mit ungeordnetem Beinkleid auf
Begriffe eines Ludwig Fulda oder eines sozialistischen
die Bühne gelaufen kommen soll.
Justizministers a. D. Wolfgang Heine. Es ist uns