II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 823

11.
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igen
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Der Reigen.
Anmerkung der Schriftleitung: An dieser Stelle wurde die
Der Reigen. — Von Arthur Schnitzler.
Bühne dunkel. Soldat und Dirne verschwanden an der Donau¬
10 Dialoge.
brücke in den Anlagen. Man hörte Slöhnseufzer. — Die Bühne
wird hell. Der Soldak kommt aus den Anlagen an der Donau¬
1. Dialog: Die Dirne und der Soldat.
brücke herausgelaufen und ordnet, dem Publikum zugewandt,
Spät Abends. An der Augartenbrücke.
sein Beinkleid.
Wahrlich, die Aufführung dieser Schweinerei ist eine „siltliche
Soldat (kommt pfeifend, will nach Hause).
Tat'!!
Dirne: Komm, mein schöner Engel.
Soldat (wendet sich um und geht wieder weiter).
Dirne: Auf der Bank wär's schon besser gewesen.
Dirne: Willst du nicht mit mir kommen?
Soldat: Da oder da . . . Na, krall' aufi.
Soldat: Ah, ich bin der schöne Engel?
Dirne: Was laufst denn
so —
Dirne: Freilich, wer denn? Geh', komm zu mir. Ich wohne
Soldak: Ich muß in die Kasern', ich komm' eh schon zu spät.
gleich in der Näh.
Dirne: Geh', du, wie heißt denn?
Soldat: Ich hab' keine Zeit. Ich muß in die Kasern'!
Soldat: Was interessiert dich denn das, wie ich heiß?
Dirne: In die Kasern' kommst immer noch zurecht. Bei mir
Dirne: Ich heiß Leocadia.
is besser.
Soldat: Ha! — So an' Namen hab' ich auch noch nie gehört.
Soldat (ihr nahe): Das ist schon möglich.
Dirne: Du!
Dirne: Pst. Jeden Momenk kann ein Wachmann kommen.
Soldat: Na, was willst denn?
Soldat: Lächerlich! Wachmann! Ich hab auch mein Seiten¬
g’wehr!
Dirne: Geh, ein Sechserl für'n Hausmeister gib mir wenig¬
stens!
Dirne: Geh', komm mit.
Soldat: Hal . . . . Glaubst, ich bin deine Wurzen ....
Soldat: Laß mich in Ruh'. Geld hab' ich eh kein's.
Servus! Leocadia
**
Dirne: Ich brauch' kein Geld.
Dirne: Strizzi! Fallot!
Soldat bleibt stehen. (Sie sind bei einer Laterne.) Du brauchst
kein Geld? Wer bist denn du nachher?
(Er ist verschwunden).
Dirne: Zahlen kun mir die Zivilisten. So einer wie du,
kann's immer umsonst bei mir haben.
Soldat: Du bist am End' die, von der mir der Huber erzählt
Nun fragen wir unsere Leser: Haben wir nicht mit
hat?
Fug und Recht in der Dezembernummer unserer
Dirne: Ich kenn' kein' Huber nicht.
Volkswacht geschrieben: „Hier zeigt sich nur zu deut¬
Soldat: Du wirst schon die sein. Weißt — in dem Kaffeehaus
der Schiffsgassen — von dort ist er mit dir z'Haus gangen.
lich, daß die Besucher, die betreffende Theater¬
Dirne: Von dem Kaffeehaus bin ich schon mit gar vielen
direktion, die Schauspieler und Schauspielerinnen vom
z'Haus gangen . . . . .. ohl oh!
Bordell- und Hurengeist beseelt sind Die Kunst muß
Soldat: Also geh'n wir, geh'n wir.
in Scham ihr Haupt verhüllen vor solchem Schma¬
Dirne: Was, jetzt hast's eilig?
Soldat: Na, worauf soll'n wir noch warten? Und um Zehn
roßersum, getrieben von der Ausbeutegier, das auf
muß ich in der Kasern' sein.
einer Stufe steht mit dem des Bordellunternehmer¬
Dirne: Wie lange dienst denn schon?
tums.“ Und doch muß hier gesagt werden, daß die
Soldat: Was geht denn das dich an? Wohnst weit?
übrigen neun Dialoge an Gemeinheit und Nieder¬
Dirne: Zehn Minuken zum geh'n.
Soldat: Das ist mir zu weit. Gib mir ein Pussel.
trächtigkeil #m ersten nicht nachstehen. Wir haben
Dirne (küßt ih..): Das ist mir eh das Liebste, wenn ich einen
uns an de opf gefaßt und uns gefragk: Ist es wirk¬
gern' hab'
lich mögs# daß solche Schweinerei Jahr und Tag
Soldat: Mir nicht. Nein, ich geh' nicht mit dir, es ist mir zu
weit.
über Deutschlands Bühnen eht? Findet sich kein
Dirne: Weißt was, komm' morgen am Nachmittag.
starker Mann in Regierungskreisen, der dieser Bor¬
Soldat: Guk is. Gib mir deine Adresse.
dellkunst ein Ende macht? Vom Großstadtpublikum
Dirne: Aber du kommst am End' nicht.
kann man nichts anderes erwarten, es ist groß ge¬
Soldat: Wenn ich dir's sag'!
wachsen in engsten Räumlichkeiten, mitten unter
Dirne: Du, weißt was, wenn's dir zu weit ist heut' Abend
zu mir — da . . . da ... (weist auf die Donau).
dem Dirnentum der Bordellstraßen und mußte es
Soldat: Was ist das?
von Jugend auf sehen, wie z. B. in einer Hambur¬
Dirne: Da ist auch schön ruhig . .. jetzt kommt kein Mensch.
ger Bordellstraße Abend für Abend 50—60 Mäd¬
Soldat: Ah, das ist nicht das Rechte.
chen nackt auf der Straße herumlanzen. Hier in diesen
Dirne: Bei mir ist immer das Rechte. Geh', bleib' jetzt bei
mir. Wer weiß, ob wir morgen noch's Leben haben.
Straßen sahen sie diese Gemeinheit ohne einen Pfen¬
Soldat: So komm' — aber g’schwind.
nig dafür ausgeben zu müssen. Aber man kann das
Dirne: Gib Obacht, da ist so dunkel. Wennst ausrutsch'st,
Verlangen verstehen, auch diese Niederträchtigkeit
liegst in der Donau.
Soldat: Wär' eh das Beste.
noch einmal auf der Bühne zu sehen, mag es dann
Dirne: Pst, so wark' nur ein bissel. Gleich kommen wir zu
kosten, was es will. Deutschlands alte Regierung (wir
einer Bank.
verteidigen sie hier nicht) war wenigstens stark genug,
Soldat: Kennst dich da gut aus?
diese Bordellkunst von der Bühne fernzuhalten.
Dirne: So einen wie dich möcht' ich zum Geliebten.
Soldak: Ich tät' dir zu viel eifern.
Heute findet sich ein Justizminister a. D., Rechtsanwalt
Dirne: Das möcht' ich dir schon abgewöhnen.
Wolfgang Heine bereit, diese Bordellschweinerei
Soldat: Ha
öffentlich zu verteidigen. Wir lehnen ihn nicht ab,
Dirne: Nicht so laut. Manchmal is doch, daß sich ein
weil er Sozialist ist (da sei sich jeder seiner Meinung
Wachter her verirrk. Sollk man glauben, daß wir da mitten in
der Wienerstadt sind?
gewiß), wir lehnen ihn aber ab, weil er sich zum . ..
Soldat: Daher komm', daher.
hirten erniedrigt. Wir bedauern den Stand der
Dirne: Aber was fällt dir denn ein, wenn wir da ausrutschen,
Justizminister und der Rechtsanwälte, daß sie ihn unter
liegen wir im Wasser unten.
die Ihrigen zählen müssen. Damik halten wir den
Soldat (hat sie gepackt): Ah, du
Dirne: Halt dich nur fest an.
Reigen für gerichet. Kein Wort sei mehr über ihn
Soldat: Hab' kein' Angst ....
verloren.
Adolf Müller, Hamburg.

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