11. Reigen
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anderes wollte, als diese Bilder weisen — dann ist Arthur Schnitzler
tatsächlich Pornograph. Wenn aber ein Gedanke, ein starker, guter
Gedanke diese Details beherrscht, wenn die Details notwendig sind,
um eine Idee zum Ausdruck zu bringen — dann ist das ganze Werk
durch diese Idee geadelt, geläutert, emporgehoben und dann haben
diejenigen Unrecht, die wider Schnitzler jetzt moralisch so lebhaft sich
entrüsten.
Nun ich sehe in dem Werk sehr deutlich eine solche Idee. Die
Form des Reigens ist nicht absichtslos gewählt; nicht absichtslos
gehen die Dialoge von der Dirne aus; nicht absichtslos kehrt der eine
Teilnehmer einer Szene in der nächsten jedesmal wieder, so daß eine
enge Verbindung, ein Zusammenhang zwischen allen Personen dieser
Vorgänge besteht; nicht absichtslos wirkt gerade ein Ehepaar in der
Mitte der Ereignisse; nicht absichtslos endlich schließt der Kreis, wie
er begonnen, mit der Dirne.
Es war nun kaum wohl Schnitzlers Intention, zu zeigen, daß
in dieser moralischsten aller Welten die ehelichen Geschlechtsbeziehungen
von den irregulären turmhoch umbrandet, überschwemmt und heuchlerisch
und verlogen gemacht werden; oder daß Monogamie eine Illusion ist
und daß, wie in seinen Szenen, auch im Leben jeder und jede zumindest
zwei Geschlechtsrelationen hat; oder daß man der einen seiner Geschlechts¬
relationen gebend, der andern empfangend gegenübersteht. Bei all diesen
Hypothesen bleibt ein ungeklärter Rest.
Was Schnitzler zeigen wollte, war etwas anderes. Und zwar,
wie ich glaube, war es dies: Er wollte darauf hinweisen, daß es eine
Gefährlichkeit des Ehebruchs und der Ausschweifung gibt, abgesehen von
der Überraschung durch den Mann oder durch die Frau und abgesehen
von der Verachtung durch die Gesellschaft —
eine Gefährlichkeit,
die sich darauf gründet, daß die irseguläre Geschlechtsbeziehung die
Schuldigen nicht isoliert läßt, sondern mit den unreinsten Persönlich¬
keiten in nahe Verbindung bringt, daß der Weg zum Ehebruch von
der Dirne kommt und von ihm fort zur Dirne führt, daß A und
0,
Anfang und Ende der irregulären Geschlechtsbeziehung die Dirne
und wieder nur die Dirne ist. Die Dirne ist gesund — dann geht
alles gut! Aber stellen Sie sich vor, daß sie krank ist, daß ein gefähr¬
licher Keim in ihr ruht, der sich „in Liebe“ weiterpflanzt — dann
wird der ganze, scheinbar so freudige Reigen zu einem drohenden
Todestanz, gemimt von gräulichen Skeletten, zu einer grinsenden
Gespensterreihe, die künftigen Generationen noch Aussatz und Stumpf¬
sinn bringt. Das ist die Idee, die das Werk suggeriert, die starke,
sittliche Idee, und wenn es die Idee eines Arztes ist (der Arthur
Schnitzler bekanntlich war), so hat die Hand eines Dichters, eines
ausgezeichneten Dichters, sie gestaltet.
Es ist wahr, der Gedanke steht nicht ausdrücklich im Buche;
aber wenn ich darauf kam, ich beinah'! ahnungsloser Engel, um wie
viel mehr muß die schuldige Frau, der schuldige Gatte beim Lesen dieses
Buches drauf verfallen, und um wie viel tiefer und stärker muß auf
sie die warnende, koerzitive Wirkung sein.
Für höhere Töchter ist das Werk natürlich gleichwohl keine
Lektüre. Aber nur ganz oberflächliche Leser, die nicht den Zusammen¬
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anderes wollte, als diese Bilder weisen — dann ist Arthur Schnitzler
tatsächlich Pornograph. Wenn aber ein Gedanke, ein starker, guter
Gedanke diese Details beherrscht, wenn die Details notwendig sind,
um eine Idee zum Ausdruck zu bringen — dann ist das ganze Werk
durch diese Idee geadelt, geläutert, emporgehoben und dann haben
diejenigen Unrecht, die wider Schnitzler jetzt moralisch so lebhaft sich
entrüsten.
Nun ich sehe in dem Werk sehr deutlich eine solche Idee. Die
Form des Reigens ist nicht absichtslos gewählt; nicht absichtslos
gehen die Dialoge von der Dirne aus; nicht absichtslos kehrt der eine
Teilnehmer einer Szene in der nächsten jedesmal wieder, so daß eine
enge Verbindung, ein Zusammenhang zwischen allen Personen dieser
Vorgänge besteht; nicht absichtslos wirkt gerade ein Ehepaar in der
Mitte der Ereignisse; nicht absichtslos endlich schließt der Kreis, wie
er begonnen, mit der Dirne.
Es war nun kaum wohl Schnitzlers Intention, zu zeigen, daß
in dieser moralischsten aller Welten die ehelichen Geschlechtsbeziehungen
von den irregulären turmhoch umbrandet, überschwemmt und heuchlerisch
und verlogen gemacht werden; oder daß Monogamie eine Illusion ist
und daß, wie in seinen Szenen, auch im Leben jeder und jede zumindest
zwei Geschlechtsrelationen hat; oder daß man der einen seiner Geschlechts¬
relationen gebend, der andern empfangend gegenübersteht. Bei all diesen
Hypothesen bleibt ein ungeklärter Rest.
Was Schnitzler zeigen wollte, war etwas anderes. Und zwar,
wie ich glaube, war es dies: Er wollte darauf hinweisen, daß es eine
Gefährlichkeit des Ehebruchs und der Ausschweifung gibt, abgesehen von
der Überraschung durch den Mann oder durch die Frau und abgesehen
von der Verachtung durch die Gesellschaft —
eine Gefährlichkeit,
die sich darauf gründet, daß die irseguläre Geschlechtsbeziehung die
Schuldigen nicht isoliert läßt, sondern mit den unreinsten Persönlich¬
keiten in nahe Verbindung bringt, daß der Weg zum Ehebruch von
der Dirne kommt und von ihm fort zur Dirne führt, daß A und
0,
Anfang und Ende der irregulären Geschlechtsbeziehung die Dirne
und wieder nur die Dirne ist. Die Dirne ist gesund — dann geht
alles gut! Aber stellen Sie sich vor, daß sie krank ist, daß ein gefähr¬
licher Keim in ihr ruht, der sich „in Liebe“ weiterpflanzt — dann
wird der ganze, scheinbar so freudige Reigen zu einem drohenden
Todestanz, gemimt von gräulichen Skeletten, zu einer grinsenden
Gespensterreihe, die künftigen Generationen noch Aussatz und Stumpf¬
sinn bringt. Das ist die Idee, die das Werk suggeriert, die starke,
sittliche Idee, und wenn es die Idee eines Arztes ist (der Arthur
Schnitzler bekanntlich war), so hat die Hand eines Dichters, eines
ausgezeichneten Dichters, sie gestaltet.
Es ist wahr, der Gedanke steht nicht ausdrücklich im Buche;
aber wenn ich darauf kam, ich beinah'! ahnungsloser Engel, um wie
viel mehr muß die schuldige Frau, der schuldige Gatte beim Lesen dieses
Buches drauf verfallen, und um wie viel tiefer und stärker muß auf
sie die warnende, koerzitive Wirkung sein.
Für höhere Töchter ist das Werk natürlich gleichwohl keine
Lektüre. Aber nur ganz oberflächliche Leser, die nicht den Zusammen¬