II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 850

11. Reigen
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Gutachten
des Sachverständigen des „Deutschen Bühnen¬
vereins“, Herrn Professor Alfred Klaar.=
Die Frage, ob die Bilderreihe „Reigen“, zehn Dialoge von Arthur
Schnitzler, die gestern, den 23. Dezember 1920, im „Kleinen Schauspiel¬
haus“ vorgeführt wurde, als sittlich anstößig von der Bühne ferngehalten
werden soll, kann ich nur mit „Nein“ beantworten. Jemand, der die
Dichtung Schnitzlers nur aus dem Buche kennen lernt und dessen Ein¬
bildungskraft zur Ausmalung sinnlicher Vorstellungen neigt, kann viel¬
leicht zu der Annahme gelangen, daß die szenische Darstellung der Vor¬
gänge, an die die Dialoge geknüpft sind, sittlich anstößig wirken dürfte.
Der gestrige Eindruck aber hat eine derartige Annahme widerlegt. Die
Aufführung, die sich an die äußere und innere Vorschrift des Dichters hielt,
das Geistige in den Vordergrund rückte und das Rohstoffliche nur als
Anlaß der Charakterstudien andeutete, war frei von allen erotischen Aus¬
schreitungen, die das Schamgefühl reifer Menschen verletzen könnten und
hielt sich, was die intime Annäherung zwischen Mann und Weib anlangt,
in den für viele dramatische Motive unerläßlichen, auf der Bühne längst
eingebürgerten Darstellungsformen, die keinerlei Anstoß erregen.
Was
abet die geistige Wirkung der Dialoge anlangt, so zeigte die Aufführung
auf das deutlichste, daß die Dichtung Schnitzlers von der Tendenz,
das
Laster verführerisch darzustellen, vollkommen freizusprechen ist.
Im
Gegenteil: Die geistreiche Satire zielt darauf ab, den flüchtigen Rausch
der
Genußgier sowie den Selbstbetrug und die Henchelei, die rein sinnliche
Be¬
gehrungen mit falscher Sentimentalität und erlogener Vornehmheit um¬
kleiden, dem Gelächter und der Geringschätzung preiszugeben. Zu
der
komischwirksamen Verspottung gesellschaftlicher Lüge geselli sich in
den
Szenen, die uns durch die verschiedensten Lebenskreise hindurchführen,
ein
wehmütiger Humor, der die Verkennung der Lebenswerte beleuchtet.
Die
Dialoge wirken also durchaus nicht sinnlich aufreizend, vielmehr aufklärend
über die Täuschungen, denen viele Menschen im Bereiche der Erotik aus¬
gesetzt sind und unter denen sie leiden, ohne sich von ihnen Rechenschaft
zu geben. Eine sittlich bedenkliche Wirkung erscheint mir darum nach beiden
gekennzeichneten Seiten hin ausgeschlossen.
Berlin, den 24. Dezember 1920.
gez. Prof. Dr. Alfred Klaar.
OG
Urteil
der 6. Zivilkammer des Landgerichts III zu
Berlin, Schnitzlers „Reigen“ betreffend.
In einem Rechtsstreit, ob die Aufführung von Schnitzlers „Reigen“
in sittlicher Beziehung Anstoß erregt, hat die 6. Zivilkammer des Land¬
gerichts III in Berlin folgendes inzwischen rechtskräftig gewordene Urteil
ergehen lassen:
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