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Reigen
box 18/2
Schnißzlers „Reigen“ vor Gericht.
Die Direktion des Kleinen Schauspielhauses unter Anklage.
Vor der sechsten Strafkammer des Landgerichts III begann heute
unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Braunhausen die Ver¬
handlung gegen die Direktoren Frau Eysold und Sladek, den
Regisseur Rengel und gegen zehn Schauspieler und Schauspielerin¬
nen des Kleinen Schauspielhauses wegen Erregung öffentlichen
Nergernisses durch die Darstellung des Schnitzlerschen
„Reigen“. Die Verhandlung findet im Schwurgerichtssaale statt,
der sich bald mit zahlreichen Zuhörern, Zeugen und Sachverständigen
follt. Die Anklage wird durch Staatsanwaltschaftsrat v. Bradik¬
vertreten, die Verteidigung führen die Rechtsanwälte Wolfgang
Heine. Justrizrat Dr. Rosenberger und Rechtsanwalt Neumond.
Der Kampf hat bekanntlich schon eine lange Vorgeschichte. Er be¬
gann mit dem Zivilprozeß der Direktion der Hochschule für Musik
gegen die Direktion des Kleinen Schauspielhauses auf Unterlassung
der Vorstellungen. Die Zivilkammer hatte damals zugunsten des
Kleinen Schauspielhauses erkannt und die Schnitzlerschen Szenen
nicht für unzüchtig, sondern für eine sittliche Tat erklärt.
Gegen die Angeklagten war dann ein strafrechtliches Verfahren ein¬
geleitet worden, sie sind aber durch Beschluß vom 22. Juni außer
Verfolgung gesetzt worden, in dem Beschluß wurde aber zum Aus¬
druck gebracht, daß objektiv eine Unzüchtigkeit in der Darstellung er¬
blickt werden könne. Die Angeklagten setzten aber die Vorstellungen
fort, weil sie ihr eigenes Urteil und das des Landgerichts in Zivil¬
achen und schließlich das der Sachverständigen für maßgebender er¬
achteten als diesen Beschluß. Am 4. Januar, nach der Entscheidung
der Zivilkammer, war das erste Verfahren durch den Leiter der Zen¬
tralstelle für Prüfung unzüchtiger Darstellungen und Schriften, Pro¬
fessor Brunner, eingeleitet worden. Neuerdings ist dann wieder
ein Verfahren inszeniert worden, das zur Anklage führte.
Als Sachverständige sind vom Gericht Regierungsrat Professor
Brunner und Geheimer Regierungsrat Professor Faßbender
geladen worden. Von der Verteidigung sind als Sachverständige
geladen Professor Dr. Witkowski (Leipzig), Dr. Max Osborn
Landgerichtsdirektor Geheimer Justizrat Bock, Oberverwaltungs
gerichtsrat Dr. Lindenau Professor Klahre, Schriftsteller
Ludwig Sternaux. Regisseur Lindt, berregierungsrat Dr.
Bulke, Regisseur Dr. Heim. Theaterdirektor Holländer
Dr. Hochdorf, Schriftsteller Artur Eloesser. Dr. Alfred
Kerr Redakteur Hupfeld, Direktor Robitschek, Professor
Bie, Gerhart Hauptmann, Schriftsteller Zapp, Maler
Karl Walser, Justizrat Dr. Lubczynski.
Dr. Ludwig
Fulda, Dr. Artur Wolff, Kapellmeister Meyrowitz, Frau
Troisch, M. d. R., und Minna Cauer.
Nach Aufruf der Zeugen und Suichverständigen gibt Rechtsanwalt
Wolfgang Heine folgende Erklärung ab: Die Angeklagten erbieten
sich für das Gericht, die Zeugen und Sachverständigen eine
Separatvorstellung des „Reigen“ im Kleinen Schau¬
spielhause zu veranstalten, da das Gericht die Aufführung größten¬
teils nicht gesehen hat. Wenn das Gericht dies beschließen würde,
so würde sich die ganze Zeugenvernehmung zum größten Teil er¬
übrigen.
Staatsanwalt v. Bradke: Ich würde es auch für sehr
wünschenswert halten, wenn das Gericht die Aufführung selbst sieht
Es würde sich dann empfehlen heute überhaupt nicht zu verhandeln,
sondern erst nach der Aufführung.
Zwischen den Verteidigern und dem Angeklagten einerseits, und
dem Gericht und dem Staatsanwalt andererseits entstehen nun län¬
gere Debatten über den Termin der Vorste###
dazu neigt, die Separatvorstellung am
# g. vormittags un
10 Uhr, stattfinden zu lossen, erklärt eine von der Staatsanwalt¬
schaft als Zeugin geladere ältere Dame, daß sie dagegen pro¬
testieren müsse, daß der Reigen am Sonntag während des
Gottesdienstes in den Kirchen stattfinde. Hierdurch werde das
religiöse Gefühl eines jeden Deutschen auf das tiefste verletzt¬
Sie
selbst würde jedenfalls zu der Vorstellung nicht erscheinen. (Zuruf
von der Anklagebank: „Gehen Sie lieber in die Kirche!
Rechtsanwalt Heine: Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf sol
gendes hinweisen und einen Antrag stellen. Unter den hier er¬
chienenen von der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen befinden
sich mehrere, die an den bekannten Lärmszenen im Kleinen
Schauspielhaus anläßlich der Reigen=Aufführung am 22. Februa#
beteiligt gewesen und sogar verhaftet worden waren. Ich bitte des¬
halb, die Akten des Polizeipräsidiums über diese Zeugen und diese
Vorfälle herbeizuschaffen. Staatsanwalt v. Bradke widersprich
idesem Antrage.
Dann beschließt das Gericht, morgen mittag um 12 Uhr eine ge¬
richtliche Augenscheinsnahme in Gestalt einer
Separatvorstellung des „Reigens“ im Kleinen Schai¬
spielhause stattfinden zu lassen, zu der sämtliche Zeugen und Sach¬
verständige unter Strafandrohung im Falle ihres Nichterscheinens
geladen sind.
Staatsanwalt v. Bradke stellt den Antrag auf Ausschluß
der Oeffentlichleit wegen Gefährdung der Sittlichkeit. Recht
anwalt Wolfgang Heine, ebenso der Angeklagte Sladek widersprechen
Nach kurzer Beratung beschließt das Gericht, den Antrag des
Staatsanwalté abzulehnen, da von einer öffent¬
lichen Verhandlung eine Gefährdung der Sitt¬
lichkeit nicht zuerwarten ist. In der Vernehmung erklärt
die Angeklagte Frau Eysoldt, daß sie jede strafbare Handlung
bestreiten und den Vorwurf, etwas Unzüchtiges auf die Bühne ge¬
bracht zu haben, mit aller Entschiedenheit zurückweisen müsse.
habe sich lediglich von rein künstlerischen Motiven leiten lassen. Der
Vorsitzende erinnert daran, daß sich Schnitzler selbst im Jahre
1912
über die Aussichtslosigkeit einer Aufführung geäußert habe.
Frau
Eysoldt erklärt dies damit, daß seinerzeit die Zensur bestand und
Schnitzler offenbar mit Rücksicht auf diese von einer Aussichtslosigkeit
der Aufführung gesprochen habe. Frau Eysoldt entwickelt sodann
des längeren ihre künstlerischen Anschauungen, die sie veranlaßt
hatten, den „Reigen“ aufzuführen.
Die Beileauna des Kellnerstreiks.
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Schnißzlers „Reigen“ vor Gericht.
Die Direktion des Kleinen Schauspielhauses unter Anklage.
Vor der sechsten Strafkammer des Landgerichts III begann heute
unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Braunhausen die Ver¬
handlung gegen die Direktoren Frau Eysold und Sladek, den
Regisseur Rengel und gegen zehn Schauspieler und Schauspielerin¬
nen des Kleinen Schauspielhauses wegen Erregung öffentlichen
Nergernisses durch die Darstellung des Schnitzlerschen
„Reigen“. Die Verhandlung findet im Schwurgerichtssaale statt,
der sich bald mit zahlreichen Zuhörern, Zeugen und Sachverständigen
follt. Die Anklage wird durch Staatsanwaltschaftsrat v. Bradik¬
vertreten, die Verteidigung führen die Rechtsanwälte Wolfgang
Heine. Justrizrat Dr. Rosenberger und Rechtsanwalt Neumond.
Der Kampf hat bekanntlich schon eine lange Vorgeschichte. Er be¬
gann mit dem Zivilprozeß der Direktion der Hochschule für Musik
gegen die Direktion des Kleinen Schauspielhauses auf Unterlassung
der Vorstellungen. Die Zivilkammer hatte damals zugunsten des
Kleinen Schauspielhauses erkannt und die Schnitzlerschen Szenen
nicht für unzüchtig, sondern für eine sittliche Tat erklärt.
Gegen die Angeklagten war dann ein strafrechtliches Verfahren ein¬
geleitet worden, sie sind aber durch Beschluß vom 22. Juni außer
Verfolgung gesetzt worden, in dem Beschluß wurde aber zum Aus¬
druck gebracht, daß objektiv eine Unzüchtigkeit in der Darstellung er¬
blickt werden könne. Die Angeklagten setzten aber die Vorstellungen
fort, weil sie ihr eigenes Urteil und das des Landgerichts in Zivil¬
achen und schließlich das der Sachverständigen für maßgebender er¬
achteten als diesen Beschluß. Am 4. Januar, nach der Entscheidung
der Zivilkammer, war das erste Verfahren durch den Leiter der Zen¬
tralstelle für Prüfung unzüchtiger Darstellungen und Schriften, Pro¬
fessor Brunner, eingeleitet worden. Neuerdings ist dann wieder
ein Verfahren inszeniert worden, das zur Anklage führte.
Als Sachverständige sind vom Gericht Regierungsrat Professor
Brunner und Geheimer Regierungsrat Professor Faßbender
geladen worden. Von der Verteidigung sind als Sachverständige
geladen Professor Dr. Witkowski (Leipzig), Dr. Max Osborn
Landgerichtsdirektor Geheimer Justizrat Bock, Oberverwaltungs
gerichtsrat Dr. Lindenau Professor Klahre, Schriftsteller
Ludwig Sternaux. Regisseur Lindt, berregierungsrat Dr.
Bulke, Regisseur Dr. Heim. Theaterdirektor Holländer
Dr. Hochdorf, Schriftsteller Artur Eloesser. Dr. Alfred
Kerr Redakteur Hupfeld, Direktor Robitschek, Professor
Bie, Gerhart Hauptmann, Schriftsteller Zapp, Maler
Karl Walser, Justizrat Dr. Lubczynski.
Dr. Ludwig
Fulda, Dr. Artur Wolff, Kapellmeister Meyrowitz, Frau
Troisch, M. d. R., und Minna Cauer.
Nach Aufruf der Zeugen und Suichverständigen gibt Rechtsanwalt
Wolfgang Heine folgende Erklärung ab: Die Angeklagten erbieten
sich für das Gericht, die Zeugen und Sachverständigen eine
Separatvorstellung des „Reigen“ im Kleinen Schau¬
spielhause zu veranstalten, da das Gericht die Aufführung größten¬
teils nicht gesehen hat. Wenn das Gericht dies beschließen würde,
so würde sich die ganze Zeugenvernehmung zum größten Teil er¬
übrigen.
Staatsanwalt v. Bradke: Ich würde es auch für sehr
wünschenswert halten, wenn das Gericht die Aufführung selbst sieht
Es würde sich dann empfehlen heute überhaupt nicht zu verhandeln,
sondern erst nach der Aufführung.
Zwischen den Verteidigern und dem Angeklagten einerseits, und
dem Gericht und dem Staatsanwalt andererseits entstehen nun län¬
gere Debatten über den Termin der Vorste###
dazu neigt, die Separatvorstellung am
# g. vormittags un
10 Uhr, stattfinden zu lossen, erklärt eine von der Staatsanwalt¬
schaft als Zeugin geladere ältere Dame, daß sie dagegen pro¬
testieren müsse, daß der Reigen am Sonntag während des
Gottesdienstes in den Kirchen stattfinde. Hierdurch werde das
religiöse Gefühl eines jeden Deutschen auf das tiefste verletzt¬
Sie
selbst würde jedenfalls zu der Vorstellung nicht erscheinen. (Zuruf
von der Anklagebank: „Gehen Sie lieber in die Kirche!
Rechtsanwalt Heine: Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf sol
gendes hinweisen und einen Antrag stellen. Unter den hier er¬
chienenen von der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen befinden
sich mehrere, die an den bekannten Lärmszenen im Kleinen
Schauspielhaus anläßlich der Reigen=Aufführung am 22. Februa#
beteiligt gewesen und sogar verhaftet worden waren. Ich bitte des¬
halb, die Akten des Polizeipräsidiums über diese Zeugen und diese
Vorfälle herbeizuschaffen. Staatsanwalt v. Bradke widersprich
idesem Antrage.
Dann beschließt das Gericht, morgen mittag um 12 Uhr eine ge¬
richtliche Augenscheinsnahme in Gestalt einer
Separatvorstellung des „Reigens“ im Kleinen Schai¬
spielhause stattfinden zu lassen, zu der sämtliche Zeugen und Sach¬
verständige unter Strafandrohung im Falle ihres Nichterscheinens
geladen sind.
Staatsanwalt v. Bradke stellt den Antrag auf Ausschluß
der Oeffentlichleit wegen Gefährdung der Sittlichkeit. Recht
anwalt Wolfgang Heine, ebenso der Angeklagte Sladek widersprechen
Nach kurzer Beratung beschließt das Gericht, den Antrag des
Staatsanwalté abzulehnen, da von einer öffent¬
lichen Verhandlung eine Gefährdung der Sitt¬
lichkeit nicht zuerwarten ist. In der Vernehmung erklärt
die Angeklagte Frau Eysoldt, daß sie jede strafbare Handlung
bestreiten und den Vorwurf, etwas Unzüchtiges auf die Bühne ge¬
bracht zu haben, mit aller Entschiedenheit zurückweisen müsse.
habe sich lediglich von rein künstlerischen Motiven leiten lassen. Der
Vorsitzende erinnert daran, daß sich Schnitzler selbst im Jahre
1912
über die Aussichtslosigkeit einer Aufführung geäußert habe.
Frau
Eysoldt erklärt dies damit, daß seinerzeit die Zensur bestand und
Schnitzler offenbar mit Rücksicht auf diese von einer Aussichtslosigkeit
der Aufführung gesprochen habe. Frau Eysoldt entwickelt sodann
des längeren ihre künstlerischen Anschauungen, die sie veranlaßt
hatten, den „Reigen“ aufzuführen.
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