11. Reigen
box 18/2
WEINT ASTA GLYZERIN! NLLA ZURNT DER ZEIT
Ein abscheulicher Verrater hatte
Herr Leo Kestenberg. Cassi¬
in einer Zeitung erzahlt, die geist¬
rers junger Mann. Hänischsjunger
reiche, scharmante Asta Nielsen
Mann. der Volksbühne eifriger
weine bei Filmaufnahmen nicht wirk¬
Arrangeur, kennt Frau Durieux.
liche Tranen, sondern traufle sich
Herrn Schrecker, Herrn Bab und
Glycerin in die Augen, das dann
Herrn Jefner, die alle — zufäl¬
rechtzeitig, wenn gekurbelt wird.
lig — gegen Schnitzlers. Reigen
in dicken Tropfen herunterrolle.
Gutachten abgegeben haben. Frau
Diese Anklage lief den ritterlichen
Durieux, ihrer Kollegin Gertrud
Paul Wegener nicht in Ruhe, er
Eysoldt mit aller Kameradschaft
griff zur Feder und stellte in einer
ergeben, deren die Genossin
Zeitung, die sich dazu hergab, fest.
fährg ist, fühlte das Bedürfnis
daf Asta Nielsen in dem Film
ihr sittliches Bedenken gegen
„Steuermann Holk“ echte Tranen
den „Reigen öffentlich zu be¬
geweint habe. Er, Wegener, habe
gründen. Sie erzählt in einer
sie ihr in zwei Szenen von den
Berliner Zeitung, sie habe in den
Wangen gekußt. die Tranen haben
Vorstellungen der Sudermann¬
salzig geschmeckt, Glycerin aber
schen „Freundin bei Rotter
schmeckt fettig und süß.
manche „ernsthaften und be¬
Nun ist Asta Nielsen vor ganz
deutenden Zuhörer gewußt, aber
Niedereuropa rehabiliert.
Wer
am Ende haben gerade ihre Er¬
wird nach Wegeners ritterlicher
fahrungen bei den Aufführungen
Erklarung noch daran zweifeln
der „Freundin sie gelehrt, dal
wollen, dak sie in dem sentimentalen
es noch ein anderes Publikum
Kitschfilm „Steuermann Holk
gäbe, vor dem man „derartige
wirklich bitter und nicht fettig-suß
Stücke nicht spielen solle
geweint habe?
Wie trefflich hat es die Natur
Nur ganz gemutlose Leute wer¬
gefügt, daf Frau Durieux diese
den finden, daß die geistreiche,
Erfahrungen erst nach hundert
scharmante Asta eigentlich durch
und so und so viel Aunührungen
den ritterlichen Paul ein wenig
der „Freundin aufgegangen sind.
comprommittiert wird. Sie hatte
Monatelang hat sie, ahnungslos.
sich des Glycerins im Kitsch gar
von ihrer sittlichen Mission er¬
nicht zu schamen! Aber echte
füllt, die homosexuelle Dame dar¬
Tranen bei unechten Ruhrstucken?
gestellt. Dann aber, (als die
Asta ist durch Pauls Ritterlichkeit
Kameradin Eysoldt den unver¬
erst recht blokgestellt, vorausgesetzt,
gleichlich feineren Schnitzler
daß sie nicht, wie viele geubte
wagte) kam ihr die Erleuchtung.
Schauspielerinnen, durch einen leisen
Nun runzelte sie die Stirn, weil
Druck auf eine bestimmte Korper¬
Schnitzler „den sexuellen Akt
stelle echte Tranen automatisch
selbst auf die Bühne bringt“. Aber
erzeugen kann.
scheltende Tilla, das ist ein Irr¬
tum, der freilich, wie die ganze
Gutachterei, den Zulauf ins kleine
Schauspielhaus steigern wird.
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WEINT ASTA GLYZERIN! NLLA ZURNT DER ZEIT
Ein abscheulicher Verrater hatte
Herr Leo Kestenberg. Cassi¬
in einer Zeitung erzahlt, die geist¬
rers junger Mann. Hänischsjunger
reiche, scharmante Asta Nielsen
Mann. der Volksbühne eifriger
weine bei Filmaufnahmen nicht wirk¬
Arrangeur, kennt Frau Durieux.
liche Tranen, sondern traufle sich
Herrn Schrecker, Herrn Bab und
Glycerin in die Augen, das dann
Herrn Jefner, die alle — zufäl¬
rechtzeitig, wenn gekurbelt wird.
lig — gegen Schnitzlers. Reigen
in dicken Tropfen herunterrolle.
Gutachten abgegeben haben. Frau
Diese Anklage lief den ritterlichen
Durieux, ihrer Kollegin Gertrud
Paul Wegener nicht in Ruhe, er
Eysoldt mit aller Kameradschaft
griff zur Feder und stellte in einer
ergeben, deren die Genossin
Zeitung, die sich dazu hergab, fest.
fährg ist, fühlte das Bedürfnis
daf Asta Nielsen in dem Film
ihr sittliches Bedenken gegen
„Steuermann Holk“ echte Tranen
den „Reigen öffentlich zu be¬
geweint habe. Er, Wegener, habe
gründen. Sie erzählt in einer
sie ihr in zwei Szenen von den
Berliner Zeitung, sie habe in den
Wangen gekußt. die Tranen haben
Vorstellungen der Sudermann¬
salzig geschmeckt, Glycerin aber
schen „Freundin bei Rotter
schmeckt fettig und süß.
manche „ernsthaften und be¬
Nun ist Asta Nielsen vor ganz
deutenden Zuhörer gewußt, aber
Niedereuropa rehabiliert.
Wer
am Ende haben gerade ihre Er¬
wird nach Wegeners ritterlicher
fahrungen bei den Aufführungen
Erklarung noch daran zweifeln
der „Freundin sie gelehrt, dal
wollen, dak sie in dem sentimentalen
es noch ein anderes Publikum
Kitschfilm „Steuermann Holk
gäbe, vor dem man „derartige
wirklich bitter und nicht fettig-suß
Stücke nicht spielen solle
geweint habe?
Wie trefflich hat es die Natur
Nur ganz gemutlose Leute wer¬
gefügt, daf Frau Durieux diese
den finden, daß die geistreiche,
Erfahrungen erst nach hundert
scharmante Asta eigentlich durch
und so und so viel Aunührungen
den ritterlichen Paul ein wenig
der „Freundin aufgegangen sind.
comprommittiert wird. Sie hatte
Monatelang hat sie, ahnungslos.
sich des Glycerins im Kitsch gar
von ihrer sittlichen Mission er¬
nicht zu schamen! Aber echte
füllt, die homosexuelle Dame dar¬
Tranen bei unechten Ruhrstucken?
gestellt. Dann aber, (als die
Asta ist durch Pauls Ritterlichkeit
Kameradin Eysoldt den unver¬
erst recht blokgestellt, vorausgesetzt,
gleichlich feineren Schnitzler
daß sie nicht, wie viele geubte
wagte) kam ihr die Erleuchtung.
Schauspielerinnen, durch einen leisen
Nun runzelte sie die Stirn, weil
Druck auf eine bestimmte Korper¬
Schnitzler „den sexuellen Akt
stelle echte Tranen automatisch
selbst auf die Bühne bringt“. Aber
erzeugen kann.
scheltende Tilla, das ist ein Irr¬
tum, der freilich, wie die ganze
Gutachterei, den Zulauf ins kleine
Schauspielhaus steigern wird.
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