II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 876

11.
box 18/2
igen
Klose
Bureau für Ze.
Bwin NO. 43, Geot,
Zeitung: Berliner Börsel.
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Ort:
0
Datum:
ekT
Vor einem neuen „Reigen“=Prozeßz. Man
entsäct sich noch der Angriffe, Skandale und Pro¬
zeffe, deren Gegenstand die „Reigen“=Aufführungen
Kleinen Schauspielhaus waren. Nach¬
dem Schnitzlers Werk jetzt dort neun Monate
hintereinander gespielt worden ist, schickt man sich in
denselben Kreisen, die schon damals im Grunde nur
die Geschäfte der Direktion besorgten, an, durch einen
neuen Prozeß dem durch die Lange der Zeit wohl
etwas gesunkenen Interesse an dem Stück frische
Nahrung zu geben. Die Direktion des Kleinen Schau¬
pielhauses schreibt uns darüber:
„Ein eigenartiger Sittlichkeitsprozeß“ steht am Land¬
gericht III bevor. Er wird sich gegen
Eysoldt, Herrn Maximilian Sladek und eine An¬
zahl Schauspieler des Kleinen Schauspielhauses richten.
Wie erinnerlich, hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts
III in einem Urteil vom 3. Januar festgestellt, daß die
Aufführung von Schnitzlers „Reigen
geeignel
nicht
wäre, sittlichen Anstoß zu erregen. Das Gericht, das
selbst die Aufführung gesehen hatte, erklärte, daß die
Darstellung alles, was frech, schlüpfrig oder obszön wir¬
ken könnte, vermeide, und bezeichnete die Aufführung ge¬
radezu als eine sittliche Tat. In ganz ähnlicher Weise
äußerte sich der wirklich maßgebende Teil der Kunst¬
kritik. Am Tag, nach dem dieses Urteil und seine Be¬
gründung in den Zeitungen gestanden hatten, leitete die
Zentralpolizeistelle zur Bekämpfung unzüchtiger Schrif¬
ten, deren Vorsitzender Herr Prof. Brunner ist, ein
Strafverfahren ein. Prof. Brunner stellte dann persön¬
lich Strafantrag bei der Staatsanwaltschaft worin er von
der durch die Zivilkammer als eine sittliche Tat bezeich¬
neten Aufführung behauptete, sie wäre „ein Skandal, der
für immer ein Zeichen der Schande unserer Zeit bleiben
würde“. Die Staatsanwaltschaft hat dann, ohne auf die
von dem Verteidiger, dem früheren Minister Wolfgang
Heine, angebotenen Beweismittel noch irgendwie ein¬
zugehen, bei der Strafkammer des Landgerichts III
Außerverfolgungsetzung der Frau Eysoldt, des Herrn
Maximilian Sladek und der Schauspieler „aus subjektiven
Gründen“ beantragt. Die Strafkammer 6 des Land¬
gerichts III hat darauf durch Beschluß vom 11. Juni
die
Angeschuldigten außer Verfolgung gesetzt, weil sie auf
Grund des Urteils der Zivilkammer und der „allerdings
ediglich vom Standpunkt der Kunstkritik aus“ ergangenen
Gutachten die Aufführung als nicht unzüchtig hätten an¬
sehen können, hat aber dabei erklärt, daß trotz des Urteils
der Zivilkammer des Landgerichts III die Aufführung
des Stückes sich „objektiv“ als Vornahme unzüchtiger
Handlungen darstellte.
Natürlich war es nicht Sache der Direktion, in einem
einen
Streit zwischen zwei Gerichten, der im Grund
Streit zwischen Personen, die literarisches Urteil haben,
und solchen, die es nicht besitzen, darstellt, sich auf den
unkünstlerischen Standpunkt zu stellen. Der Beschluß der
Strafkammer konnte auf sie nicht überzeugend wirken,
nachdem die Zivilkammer und so viele erste Autoritäten
Weil nun die
ihr vollkommen recht gegeben hatten.
Direktion die Aufführungen des „Reigen“ fortgesetzt hat,
will jetzt die Staatsanwaltschaft, unaufhörlich getrieben
von denselben Kreisen, mit denen im Einverständnis Herr
Prof. Brunner seinen Strafantrag gestellt hatte, doch noch
eine Anklage gegen die Direktoren und die Schauspieler
erheben, nachdem das Stück 9 Monate lang gespielt wor¬
den ist, ohne daß sich die geringsten Unzuträglichkeiten
daraus ergeben hätten. Die Sache kann lustig werden.
Welchem vernünftigen Zweck freilich eine derartige An¬
klage dienen, in welcher Weise sie namentlich den Re¬
spekt vor richterlichen Entscheidungen fördern soll, und
wie sie verträglich sein soll mit der künstlerischen Frei¬
#I¬
heit, die die Republik uns versprochen hat, ist eine
tischen und künstlerischen Presse obliegt.“
Wneenmte
Berlin N0. 45, Georgenfärchplatz 21
Zeitung:
Vorwärts
Ort:
Berlin
Datum:
Stepback
Der „Reigen“prozeß.
Die Fortsetzung der Beweisaufnahme brachte gestern nachmittag
unächst eine überraschende Enthüllung. Die Zeugin Lehrerin
frl. Teusch, Mitglied des Reichstags und Angehörige der Christ¬
ichen Volkspartei, erklärte, sie halte das Stück für unzüchtig, weil
das Spiel auf der Bühne den
Geschlechtsverkehr als Folge des sinnlichen Triebes
zu deutlich vorführe. Leider unterließ der Vorsitzende, die Zeugin
zu fragen, durch welche Motive ihrer Meinung nach ein Geschlechts¬
verkehr veranlaßt werden dürfe. Wir möchten das Versäumte nach¬
holen, indem wir die Frage im Sinne des Frl. Teusch beantworten.
Der Geschlechtsverkehr — so wird sie als Pädagogin sagen — kann
eine Folge guter Erzlehung sein und er wird sich in diesem
Fall stets zwanglos in den Formen bewegen, die in der besseren
Gesellschaft üblich sind. Er kann aber auch — und hier spricht die
Zentrumsabgeordnete
— ein Ausfluß gefestigter religiöser
Ueberzeugung sein. In beiden Fällen fehlt dem Geschlechts¬
verkehr das Kriterium des Anstößigen und Unzüchtigen, denn es
kommt bei der ethischen Bewertung einer Handlung nicht auf den
Erfolg, sondern auf die Absicht an. Scon Wilhelm Busch klagte:
„Zwar man zeuget viele Kinder,
Doch man denkt sich nichts dabei.“
Dafür zu wirken, daß in dieser Hinsicht endlich eine Wandlung
zum Besseren eintritt und die sittlichen Nöte der Geschlechtsver¬
kehrenden gelindert werden, ist Aufgabe der ultramontanen Er¬
ziehung und Gewissensberatung. Wir möchten daher an Fräulein
Deusch die Bitte richten, für alle Benötigten noch in diesem Winter
einen theoretischen Kursus zu eröffnen.
Ein zarkes Gemül.
Zeuge Lebius, der Herausgeber und Verleger der „Staats¬
bürger=Zeitung“ bezeichnet sich als Republikaner und Frei¬
denker; er habe bei Anhörung des Stückes aus ästhetischen und poli¬
tischen Gründen die Empfindung gehabt: Wenn die Republik das
duldet, bringt sie sich um ihren guten Namen. Als die Szenen
sich abrollten, habe ihm geradezu der Atem gestockt denn
neben ihm hätten zwei junge Mädchen im Alter von 15 oder
16 Jahren gesessen. Er habe vor dem Stück einen solchen Abscheu
empfunden, daß es sich die letzten Bilder schenkte. Er hat sich auch
noch an einen Logenschließer gewendet und dieser habe ihn
gewarnt und gesagt: „Nehmen Sie sich in acht, bei dem ge¬
ringsten Zeichen des Mißfallens werden Sie ver¬
haftet und schließlich noch verhauen!“ — Auf Vorhalt
des R.=A. Heine bestätigt der Zeuge, daß er seinerzeit gegen die
Sozialdemokratie die gelbe Arbeiterbewegung organi¬
siert habe. Seitdem er von der Sozialdemokratie weg sei, sei er
„Nationaldemokrat“
In ähnlicher Weise wie die letzten Vorzeugen äußern sich nock
weitere Zeugen, die Anstoß an dem Stück genommen und den bei
dem Buchhändler Warthemann ausliegenden Protest unterschrieben
haben. Justizrat Dr. Rosenberger stellt bei einem dieser
Zeugen fest, daß er den
Prokest unterschrieben habe, bevor er das Stück gesehen habe.
Als Zeuge wird auch der Landgerichtsdirektor Geh.=Rat Bock ver¬
nommen, der Vorsitzender der Zivilkammer war, von welcher die
Entscheidung über die beantragte richterliche Verfügung ergangen
war. Er ist als Vorstandsmitglied der Deutschen Opernhauses mit
der Bühnentechnik vollständig
vertraut..
Der
Zeuge hat vor Fällung der Entscheidung der Aufführung beigewohnt
und sehr genau die Einzelheiten in bezug auf die Szenerie, die
Darstellung und die Kostüme beobachtet und nach keiner dieser
drei Richtungen hin irgendwie Anstößiges ger
unden. Die Beisitzer der Kammer haben gleichfalls einer Auf
führung beigewohnt. In der Szene „Die Schauspielerin und der
Graf“ habe er weder in den Gesten, noch in der Körperlage, noch in
dem Kostüm der Schauspielerin Anstößiges bemerkt, auch die Steige¬
rung bis zum Fallen des Vorhanges sei nicht obszön, beispielsweise
gehe sie im Venusberg bei Richard Wagner noch weiter. Was die
Darstellung betrifft, so hat weder in der ersten Vorstellung, die er
gesehen, noch sonst irgendeiner der Darsteller Gesten gemacht, die an
Vorgänge hinter dem Vorhang erinnerten. Gegenteilige Wahr¬
nehmungen einzelner Zeugen halte er nicht für zutreffend.
Was
den
angeblichen,
die

Lüsternheit
befördernden
Rhythmus der Musik betrifft, so sei ihm völlig unverständ¬
lich, wie der Rhythmus einer Musik auf gewisse Vorgänge delikater
Art hindeuten kann.
Nach der Vernehmung dieses Zeugen wird die Verhandlung auf
Donnerstag 9 Uhr vertagt.