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gen
box 18/2
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnine
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatzs 21
Zeitung: Berliner Lokal-Anzeiger
Berlin
Ort:
Datum:
6./0V 192
(Der Kampf um den „Reigen¬
Im weiteren Verlauf der Verhändlung, über
deren Beginchwir berichtet haben, wurde die Ver¬
nehmung des Direktors Sladek fortgesetzt.
Der Augeklagte verwahrt sich nochmals mit aller
Entschiedg##it dagegen, daß das Schnitzlersche
Werk unüchtig sei, er wie die Darsteller hätten
keine utzächtigen Handlungen begangen. Jede
Anstößigkeit in der Darstellung sei ängstlich ver¬
nieden worden. Ebenso seien aus dem Buch
zahlreiche Stellen gestrichen worden, die vielleicht
Anstoß erregen könnten.
— Auf eine Frege des
Staatsanwalts von Bradtke, welchen pe¬
kuniären Erfolg das Stück gehabt habe, erklärt
Sladek, daß der materielle Erfolg dank der
ausgezeichneten
Reklame durch die Staatsanwaltschaft und
das Kultusministerium
ein guter gewesen sei.
—
Der Angeklagte
Reusch der als Regisseur bei der Einstudie¬
rung tätig war, bekundet, daß es keinesfalls be¬
absichtigt gewesen sei, ein Sensationsstück
zu
bringen, sondern der hohe künstlerische Wert des
Schnitzlerschen Werkes sei die Triebfeder der Auf¬
führung gewesen. Er habe außerdem nur die
künstlerische Leitung der Einstudierung gehabt
und sich dann später nicht mehr um die Auffüh¬
rungen bekümmert.
Die mitangeklagten
Darsteller
weisen den Vorwurf, auf der Bühne unzüchtige
Handlungen zur Darstellung gebracht zu haben,
mit Entrüstung zurück und betonen, daß nur der¬
jenige, der sittlich unreif oder sittlich unsauber sei,
etwas Nichtkünstlerisches in der Darstellung
finden könne.
Die „unsittliche Musik“.
Zu leisen Heiterkeitsausbrüchen, die den Vor¬
sitzenden zu einer Drohung mit der Räumung
des Zuhörerraums veranlaßt, kommt es, als der
Angeklagte Forster die Tatsache, daß die Staats¬
anwaltschaft selbst den Ryhthmus der Zwischen¬
aktsmusik als auf unzüchtigen Verkehr hinweisend
bezeichnet, als die größte Erfindung dieses Jahr¬
hunderts bezeichnet. Das Interessanteste dabei
sei, daß er die „unzüchtige" Musik im Jahre 1907,
also vor vierzehn Jahren, als er den „Reigen
noch gar nicht kannte, als „Valse noir“, als einen
tragischen Walzer“, komponiert habe. Da er die
melancholische Art Schnitzlers kannte und den
„Reigen“ für ein sehr melancholisches Stück halte,
so habe er geglaubt, daß dieser „tragische Walzer
am besten zur Ausfüllung der Zwischenakte ge¬
ignet sei. Da der Staatsanwalt den „Rhytmus
chon für ungüchtig halte, habe er nichts mehr zu
sagen.
Die ersten Belastungszeugen.
Hiermit ist die Vernehmung der Angeklagten
beendet, und es beginnt die Beweisaufnahme.
Als erster Zeuge wird der von der Staatsanwalt¬
schaft geladene Geh. Reg.=Rat Prof. Faßben¬
der gehört, der zwei Aufführungen
gesehen hat und empört darüber gewesen ist
namentlich, da auch viele junge Pärchen zuhörten
und die jungen Mädchen gewissermaßen gewalt¬
sam der Prostitution in die Arme getrieben
werden. Gerade das Herablassen des Vorhanges
in dem Augenblick, wo die Illusion und die
Phantasie am stärksten erregt war, schien ihm be¬
sonders anstößig und vielsagend. Die letzte Szene
habe durch die starke Realistik besonders brutal¬
unzüchtig gewirkt
Rechtsanwalt Wolfgang Heine richtet an den
Zeugen eine Reihe von Fragen, die sich auf den
hm seinerzeit in seiner Eigenschaft als Minister
gemachten Vorwurf beziehen, er habe seine Be¬
rugnis überschritten, als er drohte, er würde
Ruhestörer verhaften lassen. (Es handelte sich
seinerzeit um die „Pfarrhauskomödie“ von Lau¬
tensack.) Der Zeuge erklärt, daß er als Katholik
nicht nur für die Katholiken, sondern für die
Thristen an sich, deren religiöses Empfinden durch
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Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnine
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatzs 21
Zeitung: Berliner Lokal-Anzeiger
Berlin
Ort:
Datum:
6./0V 192
(Der Kampf um den „Reigen¬
Im weiteren Verlauf der Verhändlung, über
deren Beginchwir berichtet haben, wurde die Ver¬
nehmung des Direktors Sladek fortgesetzt.
Der Augeklagte verwahrt sich nochmals mit aller
Entschiedg##it dagegen, daß das Schnitzlersche
Werk unüchtig sei, er wie die Darsteller hätten
keine utzächtigen Handlungen begangen. Jede
Anstößigkeit in der Darstellung sei ängstlich ver¬
nieden worden. Ebenso seien aus dem Buch
zahlreiche Stellen gestrichen worden, die vielleicht
Anstoß erregen könnten.
— Auf eine Frege des
Staatsanwalts von Bradtke, welchen pe¬
kuniären Erfolg das Stück gehabt habe, erklärt
Sladek, daß der materielle Erfolg dank der
ausgezeichneten
Reklame durch die Staatsanwaltschaft und
das Kultusministerium
ein guter gewesen sei.
—
Der Angeklagte
Reusch der als Regisseur bei der Einstudie¬
rung tätig war, bekundet, daß es keinesfalls be¬
absichtigt gewesen sei, ein Sensationsstück
zu
bringen, sondern der hohe künstlerische Wert des
Schnitzlerschen Werkes sei die Triebfeder der Auf¬
führung gewesen. Er habe außerdem nur die
künstlerische Leitung der Einstudierung gehabt
und sich dann später nicht mehr um die Auffüh¬
rungen bekümmert.
Die mitangeklagten
Darsteller
weisen den Vorwurf, auf der Bühne unzüchtige
Handlungen zur Darstellung gebracht zu haben,
mit Entrüstung zurück und betonen, daß nur der¬
jenige, der sittlich unreif oder sittlich unsauber sei,
etwas Nichtkünstlerisches in der Darstellung
finden könne.
Die „unsittliche Musik“.
Zu leisen Heiterkeitsausbrüchen, die den Vor¬
sitzenden zu einer Drohung mit der Räumung
des Zuhörerraums veranlaßt, kommt es, als der
Angeklagte Forster die Tatsache, daß die Staats¬
anwaltschaft selbst den Ryhthmus der Zwischen¬
aktsmusik als auf unzüchtigen Verkehr hinweisend
bezeichnet, als die größte Erfindung dieses Jahr¬
hunderts bezeichnet. Das Interessanteste dabei
sei, daß er die „unzüchtige" Musik im Jahre 1907,
also vor vierzehn Jahren, als er den „Reigen
noch gar nicht kannte, als „Valse noir“, als einen
tragischen Walzer“, komponiert habe. Da er die
melancholische Art Schnitzlers kannte und den
„Reigen“ für ein sehr melancholisches Stück halte,
so habe er geglaubt, daß dieser „tragische Walzer
am besten zur Ausfüllung der Zwischenakte ge¬
ignet sei. Da der Staatsanwalt den „Rhytmus
chon für ungüchtig halte, habe er nichts mehr zu
sagen.
Die ersten Belastungszeugen.
Hiermit ist die Vernehmung der Angeklagten
beendet, und es beginnt die Beweisaufnahme.
Als erster Zeuge wird der von der Staatsanwalt¬
schaft geladene Geh. Reg.=Rat Prof. Faßben¬
der gehört, der zwei Aufführungen
gesehen hat und empört darüber gewesen ist
namentlich, da auch viele junge Pärchen zuhörten
und die jungen Mädchen gewissermaßen gewalt¬
sam der Prostitution in die Arme getrieben
werden. Gerade das Herablassen des Vorhanges
in dem Augenblick, wo die Illusion und die
Phantasie am stärksten erregt war, schien ihm be¬
sonders anstößig und vielsagend. Die letzte Szene
habe durch die starke Realistik besonders brutal¬
unzüchtig gewirkt
Rechtsanwalt Wolfgang Heine richtet an den
Zeugen eine Reihe von Fragen, die sich auf den
hm seinerzeit in seiner Eigenschaft als Minister
gemachten Vorwurf beziehen, er habe seine Be¬
rugnis überschritten, als er drohte, er würde
Ruhestörer verhaften lassen. (Es handelte sich
seinerzeit um die „Pfarrhauskomödie“ von Lau¬
tensack.) Der Zeuge erklärt, daß er als Katholik
nicht nur für die Katholiken, sondern für die
Thristen an sich, deren religiöses Empfinden durch
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