11.
igen
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er
sitzenden zu einer Drohung mit der Räumung
des Zuhörerraums veranlaßt, kommt es, als der
Angeklagte Forster die Tatsache, daß die Staats
anwaltschaft selbst den Rhythmus der Zwischen
aktsmusik als auf unzüchtigen Verkehr hinweisend
bezeichnet, als die größte Erfindung dieses Jahr¬
hunderts bezeichnet. Das Interessanteste dabei
sei, daß er die „unzüchtige" Musik im Jahre 1907,
also vor vierzehn Jahren, als er den „Reigen
noch gar nicht kannte, als „Valse noir“ als einen
„tragischen Walzer“, komponiert habe. Da er die
melancholische Art Schnitzlers kannte und den
„Reigen“ für ein sehr melancholisches Stück halte,
so habe er geglaubt, daß dieser „tragische Walzer
am besten zur Ausfüllung der Zwischenakte ge¬
eignet sei. Da der Staatsanwalt den „Rhytmus
schon für ungüchtig halte, habe er nichts mehr zu
sagen.
Die ersten Belastungszeugen.
Hiermit ist die Vernehmung der Angeklagten
endet, und es beginnt die Beweisaufnahme
Als erster Zeuge wird der von der Staatsanwalt¬
schaft geladene Geh. Reg.=Rat Prof. Faßben¬
der gehört, der
zwei Aufführungen
gesehen hat und enpört darüber gewesen ist,
namentlich, da auch ziele junge Pärchen zuhörten
und die jungen Mädchen gewissermaßen gewalt¬
am der Prostitution in die Arme getrieben
werden. Gerade das Herablassen des Vorhanges
in dem Augenblick, wo die Illusion und die
Phantasie am stärksten erregt war, schien ihm be¬
sonders anstößig und vielsagend. Die letzte Szene
habe durch die starke Realistik besonders brutal¬
unzüchtig gewirkt.
Rechtsanwalt Wolfgang Heine richtet an den
Zeugen eine Reihe von Fragen, die sich auf den
ihm seinerzeit in seiner Eigenschaft als Minister
gemachten Vorwurf beziehen, er habe seine Be¬
fugnis überschritten, als er drohte, er würde
Ruhestörer verhaften lassen. (Es handelte sich
seinerzeit um die „Pfarrhauskomödie“ von Lau¬
tensack.) Der Zeuge erklärt, daß er als Katholik
nicht nur für die Katholiken, sondern für die
Christen an sich, deren religiöses Empfinden durch
jene Aufführung verletzt worden sei, dagegen
protestiert habe. Auf eine Frage des Rechts¬
anwalts Heine, ob dem Zeugen bekannt sei,
von wem die Agitation gegen den „Reigen aus¬
gegangen sei, und daß es richtig sei, daß Formu¬
tare, die von katholischen Frauenvereinen, evan¬
gelischen Jünglingsvereinen und von einem
jüdischen Frauenverein ausgegangen seien, herum¬
geschickt worden seien, die den Inhalt hatten:
„Wir Unterzeichneten nehmen schweren Anstoß an
der Aufführung des „Reigens“ und bitten die
Staatsanwaltschaft, dagegen einzuschreiten.
Rechtsanwalt Dr. Rosenberger stellt an
den Zeugen die Frage, wie oft er ins Theater
gehe und wann er zuletzt im Theater gewesen sei.
Zeuge schweigt.
Rechtsanwalt
Dr.
Rosenberger:
Sie
müssen doch irgendeine Erinnerung an das Stück
haben, das Sie zuletzt gesehen haben?
Zeuge schweigt.
Rechtsanwalt Rosenberger: Herr Pro¬
fessor, ich frage jetzt ganz deutlich: Wann sind
Sie zum letzten Male im Theater gewesen, und
was haben Sie gesehen?
Zeuge (nach langem Besinnen): Vor einem
Jahre habe ich mir „Das Gelübde“ angesehen.
Rechtsanwalt Dr. Rosenberger: Haben
Sie sich dieses Stück im Interesse des Zentrums
angesehen?
Zeuge: Jawohl.
Rechtsanwalt Heine: Haben Sie sonst aus
persönlichem Interesse zur dramatischen Kunst
irgendein Theater besucht?
Zeuge: Jawohl, aber die Titel der Stücke
sind mir entfallen. Vor längerer Zeit habe ich
im Deutschen Theater „Hamlet“ gesehen.
Die nächste Zeugin, die 71jährige Frau von
Braunschweig, ist Vorsitzende des Berliner
Frauen=Vereins, des Berliner kirchlich=sozialen
Frauen=Vereins, des Berliner Frauenbundes zur
Hebung der Sittlichkeit und im Ausschuß zur
Hebung der Volkssittlichkeit. Die Zeugin bekundet,
daß die Mitglieder aller evangelisch=kirchlichen
Frauenvereine auf das höchste entrüstet gewesen
seien, daß ein derartiges Stück überhaupt auf¬
geführt werden dürfe. Sie habe das Stück selbst
nicht gesehen, aber von Mitgliedern ausführliche
schriftliche Berichte erhakten, in denen diese ihrer
hochsten Empörung Ausdruck gaben.
Hierauf wurde die Verhandlung abgebrochen,
undh=auf Dienstag, 9 Uhr, vertagt.
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er
sitzenden zu einer Drohung mit der Räumung
des Zuhörerraums veranlaßt, kommt es, als der
Angeklagte Forster die Tatsache, daß die Staats
anwaltschaft selbst den Rhythmus der Zwischen
aktsmusik als auf unzüchtigen Verkehr hinweisend
bezeichnet, als die größte Erfindung dieses Jahr¬
hunderts bezeichnet. Das Interessanteste dabei
sei, daß er die „unzüchtige" Musik im Jahre 1907,
also vor vierzehn Jahren, als er den „Reigen
noch gar nicht kannte, als „Valse noir“ als einen
„tragischen Walzer“, komponiert habe. Da er die
melancholische Art Schnitzlers kannte und den
„Reigen“ für ein sehr melancholisches Stück halte,
so habe er geglaubt, daß dieser „tragische Walzer
am besten zur Ausfüllung der Zwischenakte ge¬
eignet sei. Da der Staatsanwalt den „Rhytmus
schon für ungüchtig halte, habe er nichts mehr zu
sagen.
Die ersten Belastungszeugen.
Hiermit ist die Vernehmung der Angeklagten
endet, und es beginnt die Beweisaufnahme
Als erster Zeuge wird der von der Staatsanwalt¬
schaft geladene Geh. Reg.=Rat Prof. Faßben¬
der gehört, der
zwei Aufführungen
gesehen hat und enpört darüber gewesen ist,
namentlich, da auch ziele junge Pärchen zuhörten
und die jungen Mädchen gewissermaßen gewalt¬
am der Prostitution in die Arme getrieben
werden. Gerade das Herablassen des Vorhanges
in dem Augenblick, wo die Illusion und die
Phantasie am stärksten erregt war, schien ihm be¬
sonders anstößig und vielsagend. Die letzte Szene
habe durch die starke Realistik besonders brutal¬
unzüchtig gewirkt.
Rechtsanwalt Wolfgang Heine richtet an den
Zeugen eine Reihe von Fragen, die sich auf den
ihm seinerzeit in seiner Eigenschaft als Minister
gemachten Vorwurf beziehen, er habe seine Be¬
fugnis überschritten, als er drohte, er würde
Ruhestörer verhaften lassen. (Es handelte sich
seinerzeit um die „Pfarrhauskomödie“ von Lau¬
tensack.) Der Zeuge erklärt, daß er als Katholik
nicht nur für die Katholiken, sondern für die
Christen an sich, deren religiöses Empfinden durch
jene Aufführung verletzt worden sei, dagegen
protestiert habe. Auf eine Frage des Rechts¬
anwalts Heine, ob dem Zeugen bekannt sei,
von wem die Agitation gegen den „Reigen aus¬
gegangen sei, und daß es richtig sei, daß Formu¬
tare, die von katholischen Frauenvereinen, evan¬
gelischen Jünglingsvereinen und von einem
jüdischen Frauenverein ausgegangen seien, herum¬
geschickt worden seien, die den Inhalt hatten:
„Wir Unterzeichneten nehmen schweren Anstoß an
der Aufführung des „Reigens“ und bitten die
Staatsanwaltschaft, dagegen einzuschreiten.
Rechtsanwalt Dr. Rosenberger stellt an
den Zeugen die Frage, wie oft er ins Theater
gehe und wann er zuletzt im Theater gewesen sei.
Zeuge schweigt.
Rechtsanwalt
Dr.
Rosenberger:
Sie
müssen doch irgendeine Erinnerung an das Stück
haben, das Sie zuletzt gesehen haben?
Zeuge schweigt.
Rechtsanwalt Rosenberger: Herr Pro¬
fessor, ich frage jetzt ganz deutlich: Wann sind
Sie zum letzten Male im Theater gewesen, und
was haben Sie gesehen?
Zeuge (nach langem Besinnen): Vor einem
Jahre habe ich mir „Das Gelübde“ angesehen.
Rechtsanwalt Dr. Rosenberger: Haben
Sie sich dieses Stück im Interesse des Zentrums
angesehen?
Zeuge: Jawohl.
Rechtsanwalt Heine: Haben Sie sonst aus
persönlichem Interesse zur dramatischen Kunst
irgendein Theater besucht?
Zeuge: Jawohl, aber die Titel der Stücke
sind mir entfallen. Vor längerer Zeit habe ich
im Deutschen Theater „Hamlet“ gesehen.
Die nächste Zeugin, die 71jährige Frau von
Braunschweig, ist Vorsitzende des Berliner
Frauen=Vereins, des Berliner kirchlich=sozialen
Frauen=Vereins, des Berliner Frauenbundes zur
Hebung der Sittlichkeit und im Ausschuß zur
Hebung der Volkssittlichkeit. Die Zeugin bekundet,
daß die Mitglieder aller evangelisch=kirchlichen
Frauenvereine auf das höchste entrüstet gewesen
seien, daß ein derartiges Stück überhaupt auf¬
geführt werden dürfe. Sie habe das Stück selbst
nicht gesehen, aber von Mitgliedern ausführliche
schriftliche Berichte erhakten, in denen diese ihrer
hochsten Empörung Ausdruck gaben.
Hierauf wurde die Verhandlung abgebrochen,
undh=auf Dienstag, 9 Uhr, vertagt.