II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 895

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11. Reigen
Rioie & Seider
Bureau für Zeftungsausschnitte
Berlin IIO. 45, Georgenklechplatz 21!
Abendpost.
Seitung:
Berlin
0r1: —
AIUU O:
Datum: —
Tondervorstellung des „Reigen“
Gerichtshof und Prozeßbeteiligte.
In
Schwurgerichtssaale des Berliner Landgerichts
IIN
begann heute dek Prozeß gegen die Direktion
des Kleinen Schäuspielhauses Frau Gertrud
Eysoldt un)Maximilian Sladek sowie
gegen acht gahn Schauspieler und
Schauspielerinnen. Die Schauspieler
werden, wie schon bekannt, beschuldigt, seit dem
22. Juni 1920 fortgesetzt bei Derstellurg von
Schnitzlers „Reigen“ auf der Bühne durch unzüch¬
tige Handlungen Aergernis erregt zu haben. Auch
die Musik, die die Pausen ausfüllte, wird von
der Staatsanwaltschaft für anstößig gehalten,
da der Rhythmus im Zusammenhang mit den
Vorgängen auf der Bühne sinnliche Vorstellungen
habe erwecken können. Noch bevor in die Ver¬
handlung eingetreten wird, gibt der eine Ver¬
teidiger folgende Erklärung ab: Der Angeklagte
Direktor Sladek und Frau Gertrud Eysoldt haben
sich darüber schlüssig gemacht, dem Gerich
und allen Prozeßbeteiligten das Stück „Rei¬
gen“ vorzuführen. Es soll genau in der
gleichen Art vorgeführt werden, wie die bis¬
herigen Vorführungen erfolgt sind. Dadurch
würde wahrscheinlich die ganze Zeugenverneh¬
mung überflüssig werden. Da das Gericht und
der Staatsanwalt diesem Vorschlage zustimmen,
einigt man sich nach langem Hin= und Herreden,
daß am Sonntag mittag 12 Uhr für die Proze߬
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beteiligten im Kleinen Schauspielhause eine Son¬
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dervorstellung des „Reigen“ arrangiert werder
soll. Zum Schluß macht der Vorsitzende die Zeu¬
gen noch darauf aufmerksam, daß die Vorstellung
einen Lokaltermin darstelle, und daß sich jeder
Zeuge, der nicht zu der Vorstellung erscheine, straf¬
bar mache.
Klost
Besblatt
Bures
Be#iir Meldungen von Verbänden ent¬
Die „Sondervorstellung
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des „Reigen.
Itermin im Kleinen Schauspielhause.
Eine geschlossene Aufführung des „Reigen“. Die
eigenartigste, die diesen Szenen wohl je zuleil ge¬
worden ist. Das Theater nur sehr schwach „be¬
ucht“. Viele Reihen zeigten starke Lücken, andere
ware.. ganz leer. Kein erwartungsvolles Drän¬
##n, kein Umschauen nach Bekannten, wie sonst im
Theater. Wenigstens nicht in der sonst üblichen
Form. Einer sah sich freilich sehr genau um,
hatte ein großes Blatt Papier in der Hand und
tief sogar alle Anwensenden auf. Er stand ganz
vorn an der Bühne, wo man ihm eine elektrische
Lampe hingestellt hatte. Der Regisseur? Wahr¬
scheinlich wohl, denn er trat recht energisch und
icher auf, genau als wäre er dei Herr im Hause.
Nur eins fiel auf, daß dieser „Regisseur“ namlich
von jedem im Parkett so genau wissen wollte, wer
er sei: Unwillkürlich dachte man dabei an die
öffentlichen Aufführungen des „Reigen“ in der Pro¬
binz, wo jeder Besucher sich in eine Liste einzeich¬
nen mußte und versichern, daß er teinerlei Protest
erheben werde. Das Sonderbarste war aber, daß
der Gestrenge an der Rampe sich ausdrücklich ver¬
hat, Zustimmung oder Ablehnung durch irgend¬
welche Kundgebungen darzutun.
„Man sei
hier nicht im Theater, fügte der gestrenge
Mann ausdrücklich hinzu, und dabei war man doch
im Theater! So merkte man es freilich bald deut¬
lich, daß man zwar auf einem Schauspiel, aber
einem forensischer Art war, und dieser Leiter der
Veranstaltung kein Regisseur im üblichen Sinne.
sondern der Heir Landgerichtsdirektor Brenn¬
hausen war, Vorsitzender der Strafkammer, die
darüber befinden soll, ob Gertrud Eysold
und ihre Künstlerschar wegen der Darstellung
von Schnitzlers „Reigen“ zu verurteilen sind. Wer
reilich über einen schnellen Blick verfügt, mußte
schon früher merken, daß es sich um eine Art
Lokaltermin handelte, besonders wer über etwas
Lokalkenntnis von — Moahit verfügt. Denn
da sprang einem sogleich in die Augen, daß
der würdig dreinschauende Herr, der im Gehrock
und weißer Binde beim Eintritt in das Kleine
Schauspielhaus sozusagen die Honneurs machte,
der
— Justizwachtmeister war, der sonst nicht
Theaterbesucher hinein=, sondern Angeklagte
vorzuführen pflegt. Auch anderes fiel auf.
Die Garderobe wurde wie selbstverständlich ohne
jede Berechnung abgenommen, und im Parkent
konnte man Platz nehmen, wo man wollte. Und
wen sollte es nicht verblüffen, wenn die Hörer, er¬
wartungsvoll gestimmt, was die erste Szene brin¬
gen wird, plötzlich durch ein ganz untheatralisches
Zwischenspiel aus schweigender Andacht gerissen
werden. Wie das kam? Der Herr Vorsitzende —
n diesem Fall der Spielleiter
— wurde nämlich
von einem Zeugen aus der vierten Parkettreihe
laut gefragt, ob er von der weiteren Teilnahme
an der Vorstellung — Verzeihung: Verhand¬
lung — befreit werden könne. Er habe plötzlich
außerhalb einen Posten als Molkerei¬
inspektor erhalten und wolle abreisen.
Stimmung! Dem Herrn Molkereiinspektor
wurde die Bitte erfüllt, worauf sich der Vorhang
hob, und Dirne und Soldat mit ihrem Dialog am
Bahnviadukt beginnen konnten. ... Wahrhaftig,
es war hier zu stimmungslos.
Die Aufführung verlief nach Lage der Dinge
venig eindrucksvoll, zumal unmittelbar, nachdem
der Vorhang zum letzten Male gefallen war, Land¬
gerichtsdirektor Brennhausen erklärte: „Fort¬
setzung der Verhandlung Dienstag früh
9½ Uhr, worauf man sofort auseinanderging.
Die Direktion hatte, obwohl ein Teil der Mit¬
wirkenden nicht mehr dem Kleinen Schauspielhause
angehört, sämtliche Beteiligten, die in der letzten
beanstandeten Aufführung spielten, wieder ver¬
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