II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 903

11.
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igen
Ge#
Der „Reigen“ vor Gericht.
worden, was daran anstößlich ist usw.? Zeuge: Die Sache ist da¬
Fortsetzung der Zeugenvernehmung.
mals ausführlich besprochen worden. R.=A. Dr. Rosenberger:
Nach eintägiger Unterbrechung wurde heute vor der 6. Straf¬
Sie haben selbst gesagt, daß die Staatsanwaltschaft den Anstoß ge¬
kammer des Landgerichts III die Verhandlung gegen Frau Gertrud
geben hat, sich das Stück anzusehen? Zeuge: Ich bin aber nicht
im Auftrage meiner Organisation, sondern aus eigener Initiation
Eysoldt, Direktor Sladek und die 11 Büühnenmitglieder in der
hingegangen. R.=A. Dr Rosenberger: Als Sie hingingen,
Reigenaffäre fortgesetzt. Die Verhandlung hat auch heute
bußten Sie aber schon, daß es sich um ein Stück handelt, an dem
wieder zahlreiche Zuhörer angelockt, so daß lange vor Beginn der
Sie Anstoß nehmen würden? Zeuge: Jawohl, das mußte ich aus
verhältnismäßig kleine Zuhörerraum gefüllt ist. Unter den Zu¬
den Vorbesprechungen entnehmen. R.=A. Dr. Rosenberger;
hörern befinden sich zahlreiche Bühnenkünstlr und =künstlerinnen.
Haben Sie die Eintrittskarten selbst gekauft? Zeuge: Nein, Sie
Landgerichtsdirektor Brennhausen eröffnet die Sitzung mit
waren vom Polizeipräsidium besorgt worden. R.=A. Dr. Rosen¬
einiger Verspätung, da der Angeklagte. Regisseur Reusch, nicht
berger: Wer hat Ihnen die Karten gegeben? Zeuge: Herr
zur Terminsstunde erschienen ist. Von dem Vorsitzenden werden
Professor Brunner. (Bewegung). R.=A. Dr. Rosenber¬
mehrere Schreiben von Zeugen, unter anderen von Frau Triesch,
ger: Es handelt sich also um ein wohlorganisiertes Aergernis¬
M. d. R., zur Verlesung gebracht, in denen diese mitteilen, daß
nehmen. Die Verteidigung spielt für mit offenen Karaten und spricht
sie
nicht zum Termin erscheinen können. Der Zenge Rudolf Lebius
es offen aus: Wir werden jeden Zeugen danach fragen, ob sich hier
hat an das Gericht einen Brief gerichtet, in dem en mitteilt, daß
Professor Brunner als Organisator und Inspirator di##es
er der Separatvorstellung des „Reigen“ am Sonntag
Systems vorher bestellten Aergernisnehmens betätigt hat. R.=A.
nicht beigewohnt habe, da er es nicht über sich habe bringen können
Wolfgang Heine: Die Staatsanwaltschaft hat an 22 Organi¬
sich etwas Derartiges noch einmal anzusehen. Als Sachverständiger
sationen die Anfrage gerichtet, ob sie Anstoß nehmen.
ist ferner noch der Präsident des Bühnenvereins, Edler von
Als Zeugin wird hierauf die Generalsekretärin
Putlitz erschienen.
der Deutschen Bahnhofsmission, Fräulein Reineck, vernommen, die
Hierauf wird die Zeugenvernehmung fortgesetzt. Sanitäts¬
ebenfalls den „Reigen“ zweimal gesehen hat. Die Zeugin bekundet:
rat Dr. Peiser hat die „Reigen“=Aufführung am Sonntag zum
Ich bin beim erstenmal auf meine Kosten in die Vorstellung ge¬
erstenmal gesehen. Der Zeuge hat das Buch Schnitzlers seinerzeit
gangen, und ich kann nur sagen, daß mein sittliches Empfinden von
gelesen und es nicht für möglich gehalten, daß das Stück aufgeführt
Anfang bis Ende durch dieses Stück auf das tiefste gekränkt wurde.
werden könnte. Er sei durch die Aufführung angenehm überrascht
In 10 Bildern wurden Frauen vorgeführt, die ihre weibliche Ehe
durch das feine, künstlerische Herausarbeiten der einzelnen Hand¬
und Würde völlig vergaßen. In dem ganzen Stück kommt, gewissermaße
lungen. Als Arzt und Vater sei er bestrebt, sexuelle Dinge mit
als Ausgleich, nicht eine einzige anständige Frau vor. — Vors.: Haben
größter Offenheit zu behandeln und aufklärend und warnend zu
Sie auch durch unsittliche Gesten oder durch die Kleidung
wirken. Nur auf den könne die Aufführung unsittlich wirken, der
der Schauspielerinnen Anstoß genommen?
— 4
eugin: Nein.
etwas hineinlege oder heraussuche.
Ich habe den Eindruck gehabt, daß die Künstler selbst durch den In
Der praktische Arzt Dr. Kröner (Charkottenburg) bekundet
halt des Stückes jene Gesten so bringen mußten, um das Stück gut
als Zeuge, daß er den „Reigen“ für ein reines Kunstwerk halte und
zu spielen. Auch bezüglich der Musik kann ich nur sagen, daß ich
daß er kein fittliches Aergernis genommen habe. Das Stück hält
sie besonders bestrickend gefunden habe. Ich möchte doch hier öffentlich
sich weder auf der Ebene des Kitsches noch auf der der Pornographie
sagen, daß das Heiligste und Verborgenste des menschlichen Lebens
Vorsitzender: Sind auf der Bühne nach Ihrer Meinung un¬
n unverhülltester Form auf die Bühne gebracht worden ist, und zwar
züchtige Handlungen vorgekommen?. Zeuge: Nein." Ich halte
n einer Weise, die auf jugendliche oder sittlich unreise
den Tert für dezent, und auch die Schauspieler haben im Rahmen
Menschen verderdlich wirken muß. Dieser mein Eindruck wurde
dieses Textes durchaus dezent gespielt.
bestätigt durch die Beobachtungen, die ich vor, während und nach der
Vorstellung an Leuten machte, die ich nicht kannte, und die mich nicht
Der Zeuge Direktor Steinweg Direkkor des Zentrolaus¬
kannten.
Ich habe ganz junge Leute im Theater gesehen.
schusses für innere Mission, bekundet: Wir haben seinerzeit von der

Vors.: Was verstehen Sie unter „ganz jungen Leuten““
Staatsanwaltschaft eine Anfrage erhalten, ob der „Reigen“ noch nach
Zeugin: Jünglinge und junge Mädchen von 16 bis
dem 22. Juli aufgeführt worden sei und welche Stellung wir dazu
5 Jahren.
einnehmen. Ich hatte bis dahin den „Reigen“ nicht gesehen und bin
Die Zeugin, geschiedene Frau Margarete v. Arnim, geborene
deshalb mit dam Regierungsrat Biermann in die Vorstellung
v. Arnim, ist die Hausdame in einem Knabenerziehungsamt, und ist
gegangen. J# habe im Theater sofort den Eindruck gehabt, daß
seinerzeit in eine Aufführung des „Reigen“ gegangen, weil sie aus
etwas anstößiges Aergernis erregendes vorge
Gesprächen einiger Knaben dazu Veranlassung nahm. Die Zeugin
führt werde. Ich kann sagen, daß ich an jeder Szen? Anstoß
erklärt, daß sie aufs höchste empört darüber war, daß die Kunst
genommen habe; insbesondere wurde durch die fünfte Szene das
dazu gebraucht wird, um solche empörenden Szenen, die doch bis
Gefühl vieler Kreise auf das tiefste verletzt. Diese ethisch vollig
an die äußerste Grenze der Andeutungen gehen, aufzuführen. Ein
indifferente Behandlung gewisser Dinge mußte Anstoß und Aergernis
Mann aus dem Publikum habe damals geäußert: „Der Direktor
erregen. Ich habe mich gefragt, ob die künstlerische Darstellung einen
könnte hier ein Bordell errichten, er würde damit
sewissen Gegenwert darstellt. Ich gebe offen zu, daß die künstlerische
auch noch gute Geschäfte machen.“
Darstellung sich durchaus im Nahmen des Inhalts des Stücks hielt
Der Bankbeamte Tschermanski hat Anstoß an verschiedenen
und man sehr wohl einzelne Szenen viel gröber hätte wiedergeben
Stellen genommen. Er ist, wie er versichert, nicht nach einer be,
können.
stimmten Verabredung, sondern durch Zufall in jene Vorstellung
Vors.: Haben Sie einen Unterschied in der Aufführung,
gekommen, die durch den großen Radau, Werfen von Stinkbomben
Sie zuerst gesehen und der am Sonntag bemerkt?
die
usw. gestört wurde. Der nächste Zeuge, der Bankbeamte Hitz¬
euge: Rein.
mann, war auch in jener gestörten Aufführung. Er ist Mit¬
Vors.: Welche Handlungen halten Sie als besonders unzüchtig!
gliet des Deutschvölkischen Schutz= und Trutz¬
Zeuge: Ich halte alle Szenen für unzüchtig.
bundes, ist aber nicht mit irgenbeinem Auftrag des Bundes in
Staatsanwalt v. Bradke: Haben Sie an einzelnen Stellen des
die Vorstellung gegangen. Er habe ja nach den Vorgängen in Wien
Stücks nicht lüsternes Lachen und Richern gehört
Zeuge:
damals wohl annehmen können, daß auch hier etwas passieren
Jawohl. — Staatsanwalt: Haben Sie nicht die Empfindung
würde.
An der Art der Aufführung habe er nichts auszusetzen
gehabt, daß die Betreffenden aus Freude an niedrigen Instinkten
gehabt, desto mehr aber an dem Stück selbst. Bei der Angabe ein¬
kicherten, daß man auf der Bühne auch niedrige Dinge zu sehen be¬
zelner „Stellen, an denen der Zeuge Anstoß genommen hatte. gab
— Zeuge: Inwohl, das war mein Empfinden. — Rechts¬
kommt?
er anheim, die Oeffentlichkeit auszuschließen da ##
anvalt Wolfgang Heine: Es scheint mir schwer, in einem dunklen
ihm peinlich sei, hierüber zu sprechen. Der Antrag auf Aus¬
Theaterraum erkennen zu können, ob jemand „lüstern“ lacht oder
chluß der Oeffentlichkeit wird indessen vom Ge¬
aus Freude an dem im Stück ständig zutage tretenden Humor. Haben
richtshof abgelehnt. Der Zeuge hat u. a. Anstoß genommen
Sie sich schon gefragt, weshalb das Stück „Reigen“ hoißt? — Zeuge:
an der Stelle, wo im Chambre séparée der Darsteller zum Abschlußt
Weil ein gewisser erotischer Rhythmus durch das ganze Stück geht.
dieser Szene laut ruft: „Kellner, zahlen!“, auch hat er, do er
Rechtsanwalt Heine: Haben Sie nicht das Empfinden gehabt, daß
religiös sehr empfindlich sei, Anstoß daran genommen, daß in der
sich durch das ganze Stück ein melancholischer Gedanke hindurchzieht?
Szene zwischen Schriftsteller und Schauspielerin im Zimmer auch
Zeuge: Rein, das ist mir nicht klar geworden. Ich habe nur den
ein Madonnenbild angebracht sei. Einzelne Stellenseienfür
Eindruck der völligen ethischen Indiffereng. Rechtsanwalt Dr. Ro
ihn furchtbar gewesen.
senberg: Ist vorher in Ihren Kreisen über das Stück gesprochen
Hierauf wird in die Mittagspause eingetreten.