II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 905

Er habe ja nach den Vorgängen in Wien damals
wohl annehmen können, daß auch hier elwas
passieren würde. An der Art der Aufführung
habe er nichts auszusetzen gehabt, desto mehr
aber an dem Stück selbst. Bei der Angabe ein¬
zelner Stellen, an denen der Zeuge Anstoß ge¬
nommen hatte, gab er anheim, die Oeffentlich
keit auszuschließen, da es ihm peinlich sei, hier¬
über zu sprechen. Der Antrag auf Ausschluß der
Oeffentlichkeit wird vom Gerichtshof abgelehnt.
Der Zeuge hat u. a. Anstoß genommen an der
Stelle, wo im Chambre séparée der Darsteller
zum Abschluß dieser Szene laut ruft: „Kellner,
zahlen!“, auch hat er, der religiös sehr empfind¬
lich sei, Anstoß daran genommen, daß in der
Szene zwischen Schriftsteller und Schauspielerin
im Zimmer auch ein Madonnenbild angebracht sei.
Einzelne Stellen seien für ihn furchtbar gewesen.
Als junger Mann hätte er sich so etwas ja ge¬
fallen lassen, aber jetzt in reiferen Jahren se
das anders, denn jetzt denke er dabei an die Zu¬
kunft seines Kindes, das allerdings erst vier
Jahre alt sei. Das Stück sei doch zu realistisch.
Zeugin Frau Doris Wittner hat weder be
ihrem Besuch der Premiere noch gestern Aerger¬
nis genommen, noch begriffen, wie an dem Wer
Anstoß genommen werden könne.
Der 72 jährige Kaufmann Köhne ist mil
seiner Frau auf Verabredung mit anderen, die
einen Protest erlassen wollten, im August in ein
Aufführung des „Reigen“ gekommen. Sein
Frau ist Vorstandsmitglied des Berliner Frauen¬
wgegen den Allbholtsmus. Die moralische
Tendenz des Stückes sei nicht wirksam; es möge
vielleicht auf den gereiften, willensstarken Men¬
chen abschreckend wirken; aber auf die Jugend
wirke es demoralisierend. Er sei bedrückt ge¬
wesen über den Schmutz, der hier öffentlich her¬
vorgezogen werde, und es sei jammervoll, daß vor
so vielen anwesenden jungen Paaren ein Ehe¬
bruch nach dem andern vorgeführt werde.
Die Zeugin Frau Köhne äußert sich ähnlich
wvie ihr vernommener Ehemann über die Stellen,
in weichen Anstoß von ihr genommen ist. Be¬
sonderes Aergernis hat es ihr bereitet, daß die
exuelle Entwicklung der Dinge in zehnmaliger
Wiederholung dargestellt wird.
Das Theater
solle eine Stätte der Erholung und feelischen Er¬
hebung sein, hier aber werden nur Ausschreitun
gen des sinnlichen Gefühlslebens vor Augen ge¬
führt. Der Darstellung wirst die Zeugin nur
vor, daß sie zu natürlich und gewissermaßen selbst¬
verständlich sich gebe. — Zeugin Frau Rektorin
Christ,
Vorsitzende des Vereins Berliner
Lehrerinnen,
hat den Protest gegen die Aufführung des Stückes
unterschrieben; das Werk habe keinerlei erzieheri¬
chen Wert, das Gegenteil von erzieherischer Wir¬
kung sei festzustellen. Durch das Stück werde die
Stellung der Frau erniedrigl, ebenso das ganze
weibliche Geschlecht, und auf die Jugend eine be¬
denkliche Wirkung ausgeübt. Als Frau protestiere
ie dagegen. —
Lehrerin Frl. Grade erklärt
den ganzen Inhalt des „Reigen“ für unkünstle¬
risch und unsittlich. Sie hat andere Stücke, in
denen auch sexuelle Dinge behandelt wurden, wie
„Rose Berndt, „Fuhrmann Hentschel", „Nacht¬
asyl“ gesehen, dort wurden aber diese Dinge denn
doch ganz anders beha#delt.
Weitere Belastungszeugen.
Zu denen, die großes Aergernis genommen
haben, gehört der Zeuge Regierungs= und Bau¬
rat Biermann, Mitglied der christlichen Stu¬
dentenvereinigung und christlichen Studenten¬
Weltbundes, und Zeuge Dr. Schreiber, Theo¬
loge und Vorsitzender der Deutsch=evangelischen
Mission für Fragen der Volkssittlichkeit. Dieser
hat Anstoß genommen als Deutscher, Preuße und
Berliner, denn in Wien, München, Dresden sei
die Aufführung des Stückes unmöglich gemacht
worden. Die Abtönung des Buches durch die
Darstellung habe die gefährliche Wirkung nur
noch gesteigert. Das ganze Stück sei eine Dar¬
tellung der Unzucht: Mißbrauch der Kunst, Ver¬
letzung der Sittlichkeit, Gefährdung des Volkes
und damit der Jugend. — Lehrer Rost, Mit¬
glied des Deutsch=völkischen Vereins, ist auf Grund
der Mitteilungen Schlailjer in der Tägl. Rund¬
schau, mit mehreren Kollegen an dem Tage des
Theaterskandals in die Vorstellung gegangen.
Was sie da gesehen, habe alles übertroffen, was
sie sich vorgestellt hätten. Sie seien da sehr empör
gewesen, denn was da verzapft wurde, sei nur
Zeugen Pra mnn
bestreiten, ihrerkeits an dem Radau teilgenommen
oder gar die Stinkbomben geworfen zu haben.
R.=A. Heine bringt noch Einzelheiten über der
Ausbruch des Theaterskandals und dessen Ver
lauf zur Sprache. Zu den damals durch die Polizei
Verhafteten gehörte auch der Lehrer Siebeni,
er auf die Polizeiwache gebracht und 24 Stunden
in Einzelhaft gehalten wurde. Der Zeuge hat
einen ekelerregenden Gindruck empfangen.
Auch Frau Hauptmann Müller, Mitglied des
Völkischen Schutz= und Trutzbündnisses, des
„Herold“, des „Aufrechten“, des Deutschen Offi¬
zierbundes, des Verbandes deutschnationaler Sol¬
daten usw. hat gewußt, daß am 22. Februar das
Kleine Schauspielhaus ausgeräuchert werden
ollte, und ist auf ein selbst bezahltes Billet in
die Vorstellung gegangen, um zu sehen, „wie das
deutsche Volk sich diesem Stücke gegenüber ver¬
hält
Direktor Sladek behauptet, daß diese Zeu¬
gin im Foyer großen Larm gemacht und mehr¬
fach geschrien habe: „Das verdanken wir diesen
Judenbengels! Das wäre ja noch schöner, wenn
wir uns so etwas gefallen lassen!“ usw. Die
Zeugin erklärt dies für unwahr, hält es aber
für durchaus begreiflich, daß sich das deutsche
Volk eine so bodenlose Schweinerei nicht mehr
gefallen lasse. Auf Vorhalt gibt die Zeugin zu,
daß sie gestern ihre beiden 21= und 20jährigen
Söhne unbefugt mit in die nichtöffentliche Vor¬
stellung genommen habe. Ihr iltester Sohn sei
im Kriege Offizier gewesen, und
beide
Föhne, die doch zu der Generation gehören,
die das Dentschland der Zukunft reprasentiert
und deutsches Wesen und deutsche Ehre hochhalten
oll, hätten ein lebhaftes Interesse daran gehabt,
dieses Stück kegnenzulernen, und sich selbst ein
Bild davon zu machen.
Die Nachmittagssitzung.
Nach der Mittagspause wird die Beweisauf¬
nahme fortgesetzt. Sie bringt noch eine Reihe
von Zeugen vor den Gerichtstisch, die die Gründe
auseinandersetzen, warum sie empört über die
Aufführung waren.
Die Zeugin Lehrerin Frl. Teusch, Mitglied
des Reichstages, hält das Stück für unzüchtig, da
das Spiel auf der Bühne den Geschlechtsverkehr
als Folge des sinnlichen Triebes zu deutlich vor¬
führe. In der Darstellung, die allerdings
hart an die zulässige Grenze streift, hat die Zeu¬
gin Unzüchtiges nicht herausgefunden.
Zeugin Frl. Gulke, Vorsitzende des Landes¬
verbandes preußischer Volksschullehrerinnen, hat
gleichfalls Aergernis an dem Stück genommen
Auf die Jugend müsse ein solches Stuck verwir¬
rend wirken.
Zeuge Lebius bezeichnet sich als National¬
demokrat. Er habe bei Anhörung des Stückes
aus ästhetischen und politischen Gründen die
Empfindung gehabt: Wenn die Republik das
duldet, bringt sie sich um ihren guten Namen.
Er habe vor dem Stück einen solchen Ab¬
cheu empfunden, daß er sich die letzten Bilder
chenkte. Er habe sich auch noch an einen Logen¬
schließer gewendet, und dieser habe ihn gewarnt
ind gesagt: „Nehmen Sie sich in acht, bei dem
geringsten Zeichen des Mißfallens werden Sie
verhaftet und schließlich noch verhauen!
Studienrätin Frl. Scheidel, Vorsitzende des
Verbandes der akademisch gebildeten Lehrerinnen
Berlins, hat den Protest gegen die Aufführung
des Stückes unterschrieben.
Als Zeuge wird auch der Landgerichtsdirektor
Geh. Rat Bock vernommen, der Vorsitzender der
Zivilkammer war, von welcher die Entscheidung
über die beantragte einstweilige Verfügung er¬
gangen war. Der Zeuge hat vor Fällung der
Entscheidung auch der Aufführung beigewohnt
und sehr genau die Einzelheiten in bezug auf die
Szenerie, die Darstellung und die Kostüme be¬
obachtet und nach keiner dieser drei Richtungen
hin irgendwie Anstößiges gefunden. Ueber das
Wert als solches könne er hier nicht aus¬
sagen, da er bei der Zivilkammer mitgewirkt und
deshalb nicht als Sachverständiger fungieren
könne. In der Szene „Die Schauspielerin und
der Graf“ habe er weder in den Gesten, noch in
der Körperlage, noch in dem Kostüm der Schau¬
spielerin Anstößiges bemerkt, auch die Steigerung
bis zum Fallen des Vorhanges sei nicht obszön,
beispielsweise gehe sie im Venusberg bei
Richard Wagner noch weiter. Was den an
geblichen die Lusternheit befördernden Rhyth¬
musder Musik betrifft, so sei ihm völlig un¬
verständlich, wie der Rhythmus einer Musik auf
gewisse Vorgänge delikater Art hindenten kann
Nach der Vernehmung dieses Zeugen wird die
Verhandlung auf Donnerstag 9 Uhr vertagt.