II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 906

11. Reigen
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Die Bewessaufnahme
ii „Rei##en“=Drozeß.
Aussagen der Darstelle
Die Fortsetzung der Verhandlung gegen Frau Certrud Cysoldt,
den Direktor Sladek, Regisseur Reusch und die zehn Darsteller
des Reigens“ findet heute nach eintägiger Unterbrechung in einem
etwas größeren Sitzungssaal statt.
Nach Aufruf der Sachverständigen und Zeugen wird die Beweis¬
aufnahme fortgesetzt. Architekt Moritz Lesser bekundet als Zeuge,
daß er den „Reigen“ in einer der ersten Aufführungen gesehen habe,
ebenso in der Separatvorstellung am letzten Sonntag, zu der er in
einer besonders kritischen Stimmung gegangen sei. Er habe aber
weder beim erstenmal noch am Sonntag irgendwie Anstoß ge¬
nommen. Wenn man aber, wie er, vier Stunden auf dem Korridor
vor dem Gerichtssaal warten mußte und dann die Szenen, die sich
dort abgespielt haben, gesehen hat, dann müsse man zu der Ueber¬
zeugung kommen, daß die Sittlichkeit gar nicht als Selbstzweck,
sondern als Mittel zum Zweck der Tendenzmache diente.
Redakteur Sachers bekundet als Zeuge, daß er nach der An¬
sprache, die Frau Eysoldt vor Beginn der „Reigen'=Aufführungen
an das Publikum gerichtet, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß es
sich um den Kampf einer künstlerischen Seele handelt
und daß es sich bei dem Schnitzlerschen „Reigen“ um ein wirklich
künstlerisches Werk handele, bei dem, seines Erachtens nach, ein
normales Empfinden nicht behelligt werden könne.
In ähnlicher Weise äußert sich der Registrator Bannert, der
in keiner Weise an dem Stück Anstoß genommen hat.
Die Schauspielerin Beck. die in, den ersten Wochen der
Aufführung die Rolle der „Dirne
gespielt hat, bekundet,
daß von dem Regisseur Reusch schon bei den Proben besonderer Wert
darauf gelegt worden sei, daß alles vermieden würde, was zu
realistisch wirken und mit höchster Dezenz gespielt würde. Einer
der Angeklagten, der seinerzeit der Partner der Zeugin war und
den „Solpaten“ gespielt hatte, fragt die Zeugin, ob er jemals, wie
die Zeugin Frau Hauptmann Müller bekundet, hat, ihre Beine
„pervers umschlungen“ habe. Die Zeugin Beck erklärt, daß dies nie
der Fall gewesen sei, und daß eine derartige Angabe eine glatte
Unwahrheit sei. —
Auf eine Frage des Rechtsanwalts Dr.
Rosenberger erklärt die Zeugin, daß nach einer nur für
Bühnenkünstler bestimmten Nachmittagsaufführung keinesfalls,
wie behauptet wird, unter den Künstlern die Ansicht be¬
standen habe, ein anständiger Künstler dürfte in einem derartigen
Stück nicht spielen. Es habe im Gegenteil die Meinung bestanden,
daß das Stück, so wie es gespielt werde, hochkünstlerisch sei und keines¬
falls unsittlich wirke. Mit Rücksicht auf die Bekundung eines von
der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen, eines 22jährigen Studenten,
der erklärt hatte, daß der „Soldat“ auf der Bühne eine unsittliche
Bewegung an seinen Kleidern gemacht habe, fragt der Sachverstän¬
dige Dr. Alfred Kerr die Zeugin, ob sie es für möglich halte,
daß ein Schauspieler, der weiß, daß im Parkett ein „Stinkbomben¬
pöbel“ sitze, eine derartige Bewegung machen würde. Die Zeugin
erklärt, daß sie eine solche Bewegung nicht wahrgenommen habe und
sie auch nicht für möglich halte
Auf Veranlassung des Vorsitzenden äußern sich sämtliche Dar¬
steller der Reihe nach darüber, daß sie sich danach gedrängt hätten, die
Rollen zu spielen, mit Rücksicht auf ihren hohen künftlerischen Wert.
Von irgend einer Beeinflussung oder Anstiftung durch Frau Eysoldt
oder Direktor Sladek könne keine Rede sein.
Stattsanwaltschaftsrat v Bradke weist darauf hin, daß der
Schauspioler Moissi erklärt haben soll: „Wenn man mir eine
Rolle in dem Stück angeboten hätte, so hätte ich dem Direktor die
Rolle vor die Füße geworfen.“ Leider sei Herr Moissi nicht in
Borlin, sonst wäre er geladen worden.
Direktor Sladek erklärt, daß er es ebenfalls bedauere, daß
Moissi hier nicht als Zeuge erscheinen könne, denn sonst würde er
dem Stantsanwalt erklären, daß er sich in einem größen Irrtum be¬
inde und ihm seinen künstlerischen Standpunkt über den „Reigen
klarlegen. Moissi hatte durchaus nicht sittliche Bedenken.
sondern nur künstlerische. Es wurde von ihm angeregt, ob es nicht
möglich sei, die sämtlichen Rollen in dem Stück von denselben Schau¬
pielern darstellen zu lassen und dadurch die Idee des Reigens erst
so richtig zur Anschauung zu bringen. Das war das künstlerische
Problem, das wir da besprochen haben. Keinesfalls hat sich Moissi
über die moralische Einwirkung des Stückes auf das Publikum über¬
haupt ausgesprochen.
Frau Eysold bestätigt dies. Moissi, der nach seiner ganzen
seiner
künstlarischen Entwickelung nach Tolstoi und anderen Werken
Tendenz hinneigt, hat durchblicken lassen, daß ihn alle solche Stücke
wie der „Reigen“ und dergleichen bei seiner künstlerischen Entwicke¬
lung nicht interessieren. — Direktor Sladek: Schon in dem Zivil¬
prozeß hat man versucht, die Aeußerungen Moissis so zu verdrehen.
Längere Auseinandersetzungen mit Professor Brunner drehen
sich um dessen Bemerkung, daß hier immer so getan wird, als ob
es sehr schwer gewesen sei, für die Rollen die geeigneten Schau¬
pieler und Schauspielerinnnen zu finden, während nach seiner
Reinung die Rollen doch sehr einfach seien. Gegen diese Ansicht
wenden sich Angeklagte und Verteidiger. — Justizrat Dr. Rosen¬
berger meint, die Ansicht des Sachverständigen Brunner sei völlig
abwegig. Herr Professor Brunner sei zwar als Sachverständiger
geladen, er wolle nicht sagen, daß er ist, aber er sei doch als solcher