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einer besonders Trschen
weder beim erstenmal noch am Sonntag irgendwie Anston
g
nommen. Wenn man aber, wie er, vier Stunden auf dem Korriben
vor dem Gerichtssaal warten mußte und dann die Szenen, die sich
dort abgespielt haben, gesehen hat, dann müsse man zu der Ueber
zeugung kommen, daß die Sittlichkeit gar nicht als Selbstzweck,
ondern als Mittel zum Zweck der Tendenzmache diente.
Redakteur Sachers bekundet als Zeuge, daß er nach der An¬
prache, die Frau Eysoldt vor Beginn der „Reigen“=Aufführungen
an das Publikum gerichtet, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß es
sich um den Kampf einer künstlerischen Seele handelt
und daß es sich bei dem Schnitzlerschen „Reigen“ um ein wirklich
künstlerisches Werk handele, bei dem, seines Erachtens nach, ein
normales Empfinden nicht behelligt werden könne.
In ähnlicher Weise äußert sich der Registrator Bannert, der
in keiner Weise an dem Stück Anstoß genommen hat.
Die Schauspielerin Beck, die in den ersten Wochen der
Aufführung die Rolle der „Dirne" gespielt hat, bekundet,
daß von dem Regisseur Reusch schon bei den Proben besonderer Wert
darauf zelegt worden sei, daß alles vermieden würde, was zu
realistisch wirken und mit höchster Dezenz gespielt würde. Einer
der Angeklagten, der seinerzeit der Partner der Zeugin war und
den „Soldaten“ gespielt hatte, fragt die Zeugin, ob er jemals, wie
die Zeugin Frau Hauptmann Müller bekundet hat, ihre Beine
„pervers umschlungen“ habe. Die Zeugin Beck erklärt, daß dies nie
der Fall gewesen sei, und daß eine derartige Angabe eine glatte
Unwahrheit sei. —
Auf eine Frage des Rechtsanwalts Dr.
Rosenberger erklärt die Zeugin, daß nach einer nur für
Bühnenkünstler bestimmten Nachmittagsaufführung keinesfalls,
wie behauptet wird, unter den Künstlern die Ansicht be¬
standen habe, ein anständiger Künstler dürfte in einem derartigen
Stück nicht spielen. Es habe im Gegenteil die Meinung bestanden,
daß das Stück, so wie es gespielt werde, hochkünstlerisch sei und keines¬
falls unsittlich wirke. Mit Rücksicht auf die Bekundung eines von
der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen, eines 22jährigen Studenten.
der erklärt hatte, daß der „Soldat“ auf der Bühne eine unsittliche
Bewegung an seinen Kleidern gemacht habe, fragt der Sachverstän¬
dige Dr. Alfred Kerr die Zeugin, ob sie as für möglich halte,
daß ein Schauspieler, der weiß, daß im Parkett ein „Stinkbomben¬
pöbel“ sitze, eine derartige Bewegung machen würde. Die Zeugin
erklärt, daß sie eine solche Bewegung nicht wahrgenommen habe und
sie auch nicht für möglich halte.
Auf Veranlassung des Vorsitzenden äußern sich kämtliche Dar¬
steller der Reihe nach darüber, daß sie sich danach gedrüngt hätten, die
Rollen zu spielen, mit Rücksicht auf ihren hohen künftlerischen Wert.
Von irgend einer Berinflussung oder Anstiftung durch Frau Eysoldt
oder Direktor Sladek könne keine Rede sein.
Stattsanwaltschaftskat v Bradke weist dorauf hin, daß der
Schauspioler Moissi erklärt haben soll: „Wenn man mir eine
Rolle in dem Stück angeboten hätte, so hätte ich dem Direktor die
Rolle vor die Füße geworfen.“
Leider sei Herr Moissi nicht in
Börlin, sonst wäre er geladen worden.
Direktor Sladek erklärt, daß er es ebenfalls bedauere, dast
Moissi hier nicht als Zeuge erscheinen könne, denn sonst würde
er
rim Stantsanwalt erklären, daß et sich in einem großen Irrtum
584
finde und ihm seinen künstlerischen Standpunkt über den „Reigen
klarlegen. Moissi hatte durchaus nicht sittliche Bedenken.
sondern nur künstlerische. Es wurde von ihm angeregt, öb es nicht
möglich sei, die sämtlichen Rollen in dem Stück von denselben Schau¬
spielern darstellen zu lassen und dadurch die Idee des Reigens erst
so richtig zur Anschauung zu bringen. Das war das künstlerische
Problem, das wir da besprochen haben. Keinesfalls hat sich Moissi
über die moralische Einwirkung des Stückes auf das Publikum über¬
haupt ausgesprochen.
Frau Eysold bestätigt dies. Moissi, der nach seiner ganzen
künstlorischen Entwickelung nach Tolstoi und anderen Werken seiner
Tendenz hinneigt, hat durchblicken lassen, daß ihn alle solche Stücke
wie der „Reigen“ und dergleichen bei seiner künstlerischen Entwicke¬
lun nicht interessieren. — Direktor Sladek: Schon in dem Zivil¬
prozeß hat man versucht, die Aeußerungen Moissis so zu verdrehen.
Längere Auseinandersetzungen mit Professor Brunner drehen
sich um dessen Bemerkung, daß hier immer so getan wird, als ob
es sehr schwer gewesen sei, für die Rollen die geeigneten Schau¬
spieler und Schauspielerinnnen zu finden, während nach seiner
Meinung die Rollen doch sehr einfach seien. Gegen diese Ansicht
wenden sich Angeklagte und Verteidiger. — Justizrat Dr. Rosen¬
berger meint, die Ansicht des Sochverständigen Brunner sei völlig
abwegig. Herr Professor Brunner sei zwar als Sachverständiger
geladen, er wolle nicht sagen, daß er ist, aber er sei doch als solcher
geladen. — Professor Brunner protestiert gegen diese Rede¬
wendung, auch der Vorsitzende bittet, solche zu unterlassen. — Justiz
rat Dr. Rosenberger und Rechtsanw. Heine erklären, daß
die Verteidigung nicht davon ablassen wird, zu erörtern, ob ein
Sachverständiger, der von dem Staatsanwalt geladen ist, als solcher
legitimiert ist. — Frau Eysold hält es für ganz ausgeschlossen,
daß Moissi über ein künstlerisches Werk sich in solcher Weise ge¬
äußert haben könne, wie der Staatsanwalt behaupte.
Zu interessanten Zwiegesprächen mit den Sachverständigen Ludwig
Fulda, Alfred Kerr, Holländer, Hirsch, Dr. Osborn u. a. kommt es
bei der Vernehmung der Zeugin Frau Gertrud Gerken=Leit¬
gabel. Die Zeugin bekundet, daß sie zuerst durch Zeitungsartikel
von dem Stück erfahren und dann das Buch gelesen habe. Sie ist
der Meinung, daß auch die dezenteste und künstlerisch vollendetste
Darstellung des Schauspielers den Schmutz und die G meinheit, die
in dem Inhalt des Stückes selbst liege, nicht abzumildern und zu ent¬
kräften geeignet sei.
Das Altimatum
der Berliner städtischen Arbeiter.
Im Rathaus war bis in die zweite Nachmittagsstunde nichts
darüber zu erfahren, ob der Magistrat heute neuerdings mit den
Arbeitern in Verbindung getreten ist. Der Oberbürgermeister wohnte
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vor dem Gerichtssaal warten mußte und dann die Szenen, die sich
dort abgespielt haben, gesehen hat, dann müsse man zu der Ueber
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ondern als Mittel zum Zweck der Tendenzmache diente.
Redakteur Sachers bekundet als Zeuge, daß er nach der An¬
prache, die Frau Eysoldt vor Beginn der „Reigen“=Aufführungen
an das Publikum gerichtet, die Ueberzeugung gewonnen habe, daß es
sich um den Kampf einer künstlerischen Seele handelt
und daß es sich bei dem Schnitzlerschen „Reigen“ um ein wirklich
künstlerisches Werk handele, bei dem, seines Erachtens nach, ein
normales Empfinden nicht behelligt werden könne.
In ähnlicher Weise äußert sich der Registrator Bannert, der
in keiner Weise an dem Stück Anstoß genommen hat.
Die Schauspielerin Beck, die in den ersten Wochen der
Aufführung die Rolle der „Dirne" gespielt hat, bekundet,
daß von dem Regisseur Reusch schon bei den Proben besonderer Wert
darauf zelegt worden sei, daß alles vermieden würde, was zu
realistisch wirken und mit höchster Dezenz gespielt würde. Einer
der Angeklagten, der seinerzeit der Partner der Zeugin war und
den „Soldaten“ gespielt hatte, fragt die Zeugin, ob er jemals, wie
die Zeugin Frau Hauptmann Müller bekundet hat, ihre Beine
„pervers umschlungen“ habe. Die Zeugin Beck erklärt, daß dies nie
der Fall gewesen sei, und daß eine derartige Angabe eine glatte
Unwahrheit sei. —
Auf eine Frage des Rechtsanwalts Dr.
Rosenberger erklärt die Zeugin, daß nach einer nur für
Bühnenkünstler bestimmten Nachmittagsaufführung keinesfalls,
wie behauptet wird, unter den Künstlern die Ansicht be¬
standen habe, ein anständiger Künstler dürfte in einem derartigen
Stück nicht spielen. Es habe im Gegenteil die Meinung bestanden,
daß das Stück, so wie es gespielt werde, hochkünstlerisch sei und keines¬
falls unsittlich wirke. Mit Rücksicht auf die Bekundung eines von
der Staatsanwaltschaft geladenen Zeugen, eines 22jährigen Studenten.
der erklärt hatte, daß der „Soldat“ auf der Bühne eine unsittliche
Bewegung an seinen Kleidern gemacht habe, fragt der Sachverstän¬
dige Dr. Alfred Kerr die Zeugin, ob sie as für möglich halte,
daß ein Schauspieler, der weiß, daß im Parkett ein „Stinkbomben¬
pöbel“ sitze, eine derartige Bewegung machen würde. Die Zeugin
erklärt, daß sie eine solche Bewegung nicht wahrgenommen habe und
sie auch nicht für möglich halte.
Auf Veranlassung des Vorsitzenden äußern sich kämtliche Dar¬
steller der Reihe nach darüber, daß sie sich danach gedrüngt hätten, die
Rollen zu spielen, mit Rücksicht auf ihren hohen künftlerischen Wert.
Von irgend einer Berinflussung oder Anstiftung durch Frau Eysoldt
oder Direktor Sladek könne keine Rede sein.
Stattsanwaltschaftskat v Bradke weist dorauf hin, daß der
Schauspioler Moissi erklärt haben soll: „Wenn man mir eine
Rolle in dem Stück angeboten hätte, so hätte ich dem Direktor die
Rolle vor die Füße geworfen.“
Leider sei Herr Moissi nicht in
Börlin, sonst wäre er geladen worden.
Direktor Sladek erklärt, daß er es ebenfalls bedauere, dast
Moissi hier nicht als Zeuge erscheinen könne, denn sonst würde
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rim Stantsanwalt erklären, daß et sich in einem großen Irrtum
584
finde und ihm seinen künstlerischen Standpunkt über den „Reigen
klarlegen. Moissi hatte durchaus nicht sittliche Bedenken.
sondern nur künstlerische. Es wurde von ihm angeregt, öb es nicht
möglich sei, die sämtlichen Rollen in dem Stück von denselben Schau¬
spielern darstellen zu lassen und dadurch die Idee des Reigens erst
so richtig zur Anschauung zu bringen. Das war das künstlerische
Problem, das wir da besprochen haben. Keinesfalls hat sich Moissi
über die moralische Einwirkung des Stückes auf das Publikum über¬
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Frau Eysold bestätigt dies. Moissi, der nach seiner ganzen
künstlorischen Entwickelung nach Tolstoi und anderen Werken seiner
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wie der „Reigen“ und dergleichen bei seiner künstlerischen Entwicke¬
lun nicht interessieren. — Direktor Sladek: Schon in dem Zivil¬
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Längere Auseinandersetzungen mit Professor Brunner drehen
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es sehr schwer gewesen sei, für die Rollen die geeigneten Schau¬
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wenden sich Angeklagte und Verteidiger. — Justizrat Dr. Rosen¬
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abwegig. Herr Professor Brunner sei zwar als Sachverständiger
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rat Dr. Rosenberger und Rechtsanw. Heine erklären, daß
die Verteidigung nicht davon ablassen wird, zu erörtern, ob ein
Sachverständiger, der von dem Staatsanwalt geladen ist, als solcher
legitimiert ist. — Frau Eysold hält es für ganz ausgeschlossen,
daß Moissi über ein künstlerisches Werk sich in solcher Weise ge¬
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Zu interessanten Zwiegesprächen mit den Sachverständigen Ludwig
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von dem Stück erfahren und dann das Buch gelesen habe. Sie ist
der Meinung, daß auch die dezenteste und künstlerisch vollendetste
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in dem Inhalt des Stückes selbst liege, nicht abzumildern und zu ent¬
kräften geeignet sei.
Das Altimatum
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Im Rathaus war bis in die zweite Nachmittagsstunde nichts
darüber zu erfahren, ob der Magistrat heute neuerdings mit den
Arbeitern in Verbindung getreten ist. Der Oberbürgermeister wohnte
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