II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 910

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Reigen
Nr. 320
Berliner Tageblatt
Freitag, den 11. November 1921
Die Sachverständigen im „Reigen“=Drozeß.
nur benutzt, um in dieser Form eine antisemitische Aktion
Fortsetzung der Beweisaufnahme.
I ins Werl zu setzen. Der Zeuge erklärt hierzu: Bei dem Skandal
am 22. Februar seien Rufe laut geworden, wie „Saujud¬
Im „Reigen"=Prozeß, zu dem sich nach wie vor ein großer
Gesindel
„Judendirektor
„Bande“, „
„Die
Andrang des Publikums geltend macht, wurde gestern zutächst die
Juden müßte man rausschmeißen“ usw usw. Nach
Vernehmung der Zeugin Frau Gertrud Gerken=Leitgabel
dem 22. Februar sei Direktor Sladek mit anonymen Schmähbriefen,
fortgesetzt.
Pamphleten des bekannten Knüppel=Kunze usw. überschüttet wor¬
Auf die Frage des Vorsitzenden, welchen Vereinigungen die
den, die sämtlich antisemitischen Inhalt hatten. Nirgends in diesen
Zeugin angehöre, erklärt diese, daß sie Mitglied des „Volks¬
Schmähschriften und offenen Postkarten sei von Gefährdung der
bundes zur Wahrung von Anstand und guter Sitte“,
Jugend oder dergl. die Rede, sondern nur von Indenhaß.
des „Berliner Vereins für Sittlichkeit“ und anderen
Aussage eines Ehescheidungsrichters.
Vereinen sei. Rechtsanwalt Wolfgang Heine: Haben Sie irgend
ein junges Mädchen gesprochen, das erklärt habe, daß es durch das
Zeuge Landgerichtsrat Jenne vom Landgericht I hat einer Auf¬
Stück sittlich gefährdet sei? — Zeugin: Jewohl. Ein junges
führung des „Reigen“ am 21. Februar beigewohnt und den Eindruck
Mädchen hat mir gesagt, daßdas Stück eine ganz andere Auffassung
gehabt, daß die gesamte Aufmachung des Stückes eine grob unzüchtige
über Liebe, Ehe und das, was erlaubt oder verboten sei, erzeugen
sei. Er sei Ehescheidungsrichter in Berlin, und die Gefahr
könne. Auf weitere Fragen des Rechtsanwalts Heine erklärt die
liege sehr nahe, daß die Flutder Ehescheidungen, die schon
Zeugin, daß sie sich der Protestbewegung gegen das Stück
sehr groß in Berlin ist, durch Aufführung deravtiger Stücke immer
angeschlossen habe und vielen geraten habe es sich anzusehen und sich
mehr zunimmt.
dann dem Protest anzuschließen. Sie selbst habe das Stück erst am
Instizrat Dr. Rosenberger: Kann denn der Zeuge angeben,
Sonntag zum ersten Male gesehen. Es sei ihr bekannt,
daß die Ehescheidungsstatistik seit der Aufführung des „Reigen“
daß Professor Brunne; hinter der ganzen Bewegung stehe.
zugenommen hat?
Dagegen weiß die Zeugin nicht, daß Gelder aus dem #onds des
Zeuge: Das kann ich nicht bekunden.
Wohlfartsministeriums zur Anschaffung der Billets für
den Reigen Vercbendet worden seien.
Auf zahlreiche Fragen der Verteidiger bekundet der Zeuge:
Der Sachverständige Dr. Alfred Kerr richtet an die Zeugin mit
Er wohne mit Professor Brunner in Lichterfelde nicht
weit von einander und arbeite mit ihm zusammen auf allen mög¬
Bezug auf ihre Angabe, daß durch das Stück eine tiefere Lebensauf¬
fassung gepredigt werde die Frage, ob sie meine, daß ein Dichter,
lichen Gebicten. Professor Brunner habe nicht den Versuch gemacht,
der in einem Stück die Dinge so schilbert, wie sie tatsächlich im Leben
ihn zu einer Agitation gegen das Stück zu gewinnen.
In einem Gesprüch mit Prösessor Brunner sei auch die
liegen, damit auch predigen will, so solle es gemacht werden. —
Teugin: So eine Banause bin ich nicht Ich weiß genau, daß
Rede auf den „Reigen“ gekommen und man wollke gemeinsam in die
der Dichter keinesfulls damit sagen will: „Tuk'es auch so.“
Vorstellung gehen. Professor Brunner sei aber verhindert gewesen
Sachverständighr Dr. Osborn: Frau Zeugin, ist Ihnen nicht
und so habe er sich mit einem anderen Herrn ins Theater begeben,
aufgefallen, daß sämtliche Szenen mit einer gewissen Ernüchterung
und zwar auf die ihnen zur Verfügung gestellten Dienstplätze
Er
und Enttäuschung enden. — Zeugin: Ich habe das Gefühl der
Professor Brunners vom Polizeipräsidium. Außer der Dar¬
nüchterung in dem Stü#k stets nur auf seiten des Mannes feststellen
stellung hätten sie auch die Musik mit ihrer=süßlichen Melodie und
können. Ein junger Mensch muß dabei zu der Ansicht kommen.
daß
ausgeprägter Sinnlichkeit als ein raffiniertes Mittel empfunden.
es üblich ist. der Mann genießt und gibt dann derfenigen, die
sich
Von besonderen Schritten, die Professor Brunner gegen den „Reigen“
ihm hingegeben hat einen Fußtrikt. Er muß den. Eindruck
eingeleitet habe, wisse er nichts. Professor Brunner habe ihn
nür
kommen, daß es erlaubt sei, sich jeder Frau, auch der verheirateten,
gelegentlich auf eine Protestversammlung aufmerksam gemacht.
Auf
Befragen der Verteidiger erklärt der Zeuge: er gehöre dem Deutsch¬
zu nähern.
völkischen Schutz= und Trutzbund an und sei Kandidat der
Ludwig Fmda:
Deutschnationalen Partei für den Reichstag gewesen. Der Zeuge,
Sis haben gesagt, daß gezeigt wird daß der Minn die Frau,
Amtsgerichtsrat Ganze, erklärt nach einigen Fragen des Dr. Alfred
nachdem er sich ihr genähert hat fortstößt. Muß da nicht gerade
Ke#r, daß er die schädliche Auswirkung des „Reigen“ hauptsächlich
auch ein junges Mädchen erkennen, daß ein Mann, der nur aus sian¬
darin erblicke, daß das Stück gerade in der heutigen Zeit des sitt¬
licher Lust ein Mädchen begehrt, nachdem er sein Ziel erreicht hat,
lichen Verfalls gegeben worden sei. Hierauf wird
sich von ihr aswendet Ein junges Mädchen kann das doch nicht
für anreizend halten, sondern must es für widerlich halten.
Professor Dr. Beunner
Zeugin: Dai ist richtig. Es ist aber ein großer Unterschied.
als Zeuge vernommen. Er bekundet, daß er an der Organi¬
Wenn ein Jungfrauenverein mit sittlich gefestigtem
sation des Theaterskandals am 32. Februar in keiner
Charasser das Stück sehen würde, so würde das Stück auf diese
Weise beteiligt gewesen sei. Ebenso sei es nicht richlig,
jungen Mädchen dieselbe Wirkung ausüben, die es auf mich gemacht
daß er die Vorstellung am Sonntag vorzeitig verlassen habe, da er
hat. Wenn dagegen Großstadtmädchen, die durch mangelnde
sich etwas derartiges“ nicht mit ansehen könne. Er habe den Ein
Erziehung und schlechten Umgang ein gewisses schwankendes Seelen¬
druck daß gegen ihn noch vor der Abgabe seines Gutachtens ein
leben haben und sich durch Verführungen leicht beeinflussen lassen,
Kesseltreiben veranstaltet werde, um ihn zu Falle
ctwas derartiges sehen, so glaube ich nicht, daß eine abschreckende
zu.
bringen. Es sei völlig unrichtig, wenn die Verteidigung hier
be¬
Wirkung in die Erscheinung tritt.
haupts, daß er der Organisator des ganzen Kampfes gegen den
Ludwig Fulda: Die Zeugin hat meine Frage nicht beantwortet.
„Reigen“ sei. Im Gegenteil:er halte sich fern von jeg¬
Sie sagt nämlich, daß auf der einen Seite das weibliche Geschlecht
lichen tätlichen Vorgehen in den Theaiern und
„angemidert und abgestoßen und auf der anderen Seite aber augsreiit
#inos und hubt es sogar seinem 32 jährihen Sohhe verdvien, sü
würde. Das ist ein zu starker Widersprüch.
an irgendwelchem Vorgehen gegen das Theater selbst zu beteiligen..
Sachverständiger Felix Holländer: Frau Zeugin. Sie wissen.
Bezüglich der Frage der Verwendung von öffentlichen Geldern für
daß die größten Meister der Malerei die Nacktheit des menschlichen
die Billetts zum „Reigen“, könne er nur sagen, daß davon keine Rede
Körpers dargestellt haben. Wie denken Sie diesbezüglich über die
sei. Der Zeuge erklärt weiter, daß er mit der Lebinsschen Ver¬
Einwirkung auf die Jugend?
sammlung absolut nichts zu tun habe. (Als das Publikum bei
Zeugin: Als ich noch Lehrerin war, bin ich mit meinen Schüle¬
einzelnen Ausführungen Professor Brunners
itonische
rinnen der ersten Klasse in die Museen gegangen, um ihnen die
Zwischenrufe macht, droht Landgerichtsdireklor Berenhausen
Schönheiten der reinen künstlerischen Nacktheit klar¬
im Wiederholungsfalle die Räumung des Zuhörerraumes an.)
zumachen.
Holländer: Sie wissen auch, daß große Künstler den
Rechtsanwalt Wolfgang Hetne erklärt hierzu daß er auch gegen
geschlechtlichen Akt dargesteilt haben. Glauben Sie, daß in der
eine derartige Milbeteiligung der Zuhörer sei, daß aber derartige
Zurufe begreiflich seien, wenn sich Professor Brunner hier als Ver¬
Jugend, wenn sie solche Dinge sieht, solche Empfindungen geweckt
werden könnten, wie durch den „Reigen“.
treter der öffentlichen freien Meinung bezeichne. Auf eine Frage
Der Zeuge Friedländer beantwortete dann verschiedene Frage
des Rechtsanwalts Heino, ob er als Beamter des Polizeipräsidiums
des Justizrats Dr. Rosenberger. Der Verteidiger betont:
sich nicht für verpflichtet gehalten habe, seiner Behörde dienstliche
den
handle sich in Wirklichkeit gar nicht um einen Kampf geden
Anzeige zu erstatten, als er von seinem Sohne hörte daß im
„Reigen“, sondern gegen die Juden. Man habe den „Reigen“
Theater Skandalszenen provoziert werden sollten, er¬
Frauen seine frühere Bedeutung so gut wie gang eingebüßt. — Ebeni¬
waAL ur-N Rolundkoft
hat die Einschynrung
Oberkörbers und
Druck
klärt Zeuge in höchster
artigen Denunzitation auf
Familie niemals hergegeber
rein persönliche Angriffe ge
R.=A. Heine. Die Ang
Ich werde mich noch an an
Professor Brunner
Fragen des R.=A. Heine e
Organisation des.
böllig fernstehe.
sei der Schriftsteller Sch
Direktoel
vom Deutschen Theater be
derem: Das Stück „Reig
sein Schamgefühl verleht.
nommen. Die Vorstellur
keiner Weise verlohend,
Der „Reigen“ seiauch
angenommen gewesen
dem Ko
zwischen
der
Schauspiell
dem. Kleinen
schaft dem letzteren
ist absolut ein sehr großes
erkennen werde. Die Darste
Sachverständiger Ludw
verständiger für dramatisch
gerichten ist, war von Frau
prods zu besuchen, da gege
erhoben wurden. Er habe
Eindruck gehabt, wie diese
auf der Bühne verkörpe
detiken sittlicher Art durch
entstehen Er habe in kein
Aergernis genommen. Rie
werden durch etwas, was
großer Teil
werke und Werke
für unzüchtig erklä
nie daran gedacht, daß
auf die Bühne gelangen so
türe geschrieben.
" Der
„Reigen=Aufführü
ardt
der Dr. Schnif
Ihres Werkes künstlerisch
aus wünschenswert.“ Erst
Schnitzler das Aufführungs
Bieles, was auf Berliner
fänglicher und frivolet son
die Darstellung, als wes
des
an die Andeutungen
in
„Romeo und Julia“
Das Buch der „Walküre
und dieser schrieb hinter
schnell“ die Bemerkung:
Künst habe nicht nur
auch die Schattenseiten des
nächste Sachye
hat sich in seiner Eigensch
Bühnenvereins mit
Nach seiner Ueberzeugung
Reigan“ die künstlersschen
Kassenerfolge gedacht. Sein
litz bei den wiederholt vor
as Gefühl des
Der Sachverständige
und anstößig empfunden,
9
deren angebliche Beobachtn
Dr
Der Sachverständige,
Staaisanwalt die Frage,
Geiger und Flöt.isten, die
lichen Handlung mitgewir
seien. Der Staatsanwalt
geordnetet Natur gewesen
anwaltschaft gelangt sei.
zunächst über die Stimmun
entstanden sei, das er in
Viertelfahrhunderts bereit
zuführen, daß das Stück
S