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Reigen
Die
zeugenaussagen im „Reigen“=Drozeß.
Aergernis bei ihnen erregt worden sei. Die Zeugin, Lehrerin Fräu¬
Was die Frauen sagen.
lein Teusch, Mitglied des Reichstags, hält das Stück für unzuchtig,
da das Spiel auf der Bühne den Geschlechtsverkehr als Folge des
Im Prozeß gegen Direktor, Regisseur und Darsteller der
sinnlichen Treibens zu deutlich vorführe. Besonders das fünfte Bild,
„Reigen“=Aufführung im Kleinen Schauspielhaus
die Unterhaltung zwischen den Eheleuten, habe abstoßend auf sie ge¬
wurde die Zeugenvernehmung fortgesetzt.
wirkt.
In der Darstellung, die allerdings hart an die zu¬
Die Zeugin Frau Doris Wittner hat weder bei ihrem Besuch
lälssige Grenze streift, hat die Zeugin Unzüchtiges nicht heraus¬
der Première, noch gestern Aergernis genommen, noch begriffen, wie
gefunden.
an dem Werk Anstoß genommen werden könne. Der 72 jährige Kauf¬
Die Zeugin Fräulein Gulke, Vorsitzende des Landesverbandes
mann Köhne ist mit seiner Frau auf Verabredung mit anderen, die
preußischer Volksschullehrerinnen, hat gleichfalls Aergernis an dem
einen Protest erlassen wollten, im August in eine Aufführung
Stück genommen. Auf die Jugend müsse ein solches Stück verwirrend
des
Reigen“ gekommen. Seine Frau ist Vorstandsmitglied des
wirken, denn die Jugend, die das Stück sieht, müsse zu der Ansicht
Berliner Frauenvereins gegen den Alkoholismus.
kommen: so sei das Leben wirklich.
Die moralische Tendenz des Stückes sei nicht wirksam; es möge
Der Zeuge Lebius, der
Verleger der
Herausgeber und
vielleicht auf den gereiften, willensstarken Menschen abschreckend
„Staatsbürger Zeitung" bezeichnet sich als Nationaldemo¬
wirken, aber auf die Jugend wirke es demoralisierend. Er sei be¬
krat. Er sei Republikaner und Freidenker und habe bei Anhörung
drückt gewesen über den Schmutz, der hier öffentlich hervorgezogen
des Stückes aus ästhetischen und politischen Gründen die Empfindung
werde, und es sei jammervoll, daß vor so zahlreichen, anwesenden
gehabt: Wenn die Republik das duldet, bringt sie sich um ihren
jungen Paaren ein Ehebruch nach dem anderen vorgeführt werde.
guten Namen. Als die Szenen sich abrollten, habe ihm geradezu der
Die Zeugin Frau Köhne äußert sich ähnlich wie ihr vernommener
Athem gestockt, denn neben ihm hätten zwei junge Mädchen im
Ehemann über die Stellen, an denen sie Anstoß genommen hat. Be¬
Alter von 15 bis 16 Jahren gesessen. Er habe vor dem Stück einen
sonderes Aergernis hat es ihr bereitet, daß die sexuelle Entwicklung
solchen Abscheu empfunden, daß er sich die letzten Bilder schenkte.
der Dinge in zehnmaliger Wiederholung dargestellt wird.
Er habe sich auch noch an einen Logenschließer gewendet und dieser
Theater solle eine Stätte der Erholung und seelischen Erhebung
habe ihn gewarnt und gesagt: „Nehmen Sie sich in Acht.
hier aber werden nur Ausschreitungen des finnlichen Gefühlslebens
bei dem geringsten Zeichen des Mißfalls werden
vor Augen geführt. Der Darstellung wirft die Zeugin nur vor, daß
Sie verhaftet und schließlich noch verhauen!
sie zu natürlich und gewissermaßen selbsiverständlich sich gebe. Die
Auf Vorhalt des Rechtsanwalts Heine bestätigt der Zeuge, daß
Zeugin Frau Rektorin Christ, Vorsitzende des Vereins Berliner
er seinerzeit gegen die Sozialdemokratie, die gelbe Arbeiterbewegung
Lehrerinnen, hat den Protest gegen die Aufführung des Stückes
organisiert habe. Seitdem er von der Sozialdemokratie weg sei, fei
unterschrieben; das Werk habe keinerlei erzieherischen Wert, das
er Nationaldemokrat.
Von seinem politischen Standpunkte müsse
Gegenteil von erzieherischer Wirkung sei festzustellen. Die Lehrerin
er solche Vorführungen als das Volk entsittlichend bezeichnen und
Fräulein Grade erklärt den ganzen Inhalt des „Reigen“ für un¬
bekämpfen.
künstlerisch und unsittlich. Sie hat andere Stücke, in denen auch
Die Studienrätin Fräulein Scheidel, Vorsitzende des Ver¬
sexuelle Dinge behandelt wurden, wie „Rose Berndt“, „Fuhr¬
bandes der akademisch gebildeten Lehrerinnen Berlins, hat den Protest
mann Hentschel", „Nachtasyl“ gesehen dort würden aber
gegen die Aufführung des Stückes unterschrieben. In ähnlicher Weise
diese Dinge denn doch ganz anders behandelt. Zu denen, die großes
wie die letzten Vorzeugen äußern sich noch weitere Zeugen, die An¬
Aergernis genommen haben, gehörten auch der Zeuge Regierungs¬
stoß an dem Stück genommen und den bei dem Buchhändler Warthe¬
und Baurat Biermann, Mitglied der christlichen Studentenver¬
mann ausliegenden Protest unterschrieben haben. Justizrat Dr.
einigung und christlichen Studentenweltbundes, und Zeuge
Rosenberger stellt bei einem dieser Zeugen fest, daß er den
Schreiber, Theologe und Vorsitzender der deutsch=evangelischen
Protest unterschrieben habe, bevor er das Stück gesehen habe.
Mission für Fragen der Volkssittlichkeit. Dieser hat Anstoß
Als Zeuge wird auch der Landgerichtsdirektor Geheimrat Bock
nommen als Deutscher Preuße und Berliner, denn
vernommen, der Vorsitzender der Zivilkammer war, vor der die
Wien, München, Dresden sei die Aufführung des Stückes unmöglich
Entscheidung über die beantragte richterliche Verfügung
gemacht worden.
ergangen war. Er ist als Vorstandsmitglied des Deutschen Opern¬
Bei vielen dieser Zeugenaussagen greifen die Rechtsanw. Heine
hauses mit der Bühnentechnik vollständig vertraut. Der Zeuge hat
und Justizrat Dr. Rosenberger sowie der Angekl. Direktor
vor der Fällung der Entscheidung der Aufführung beigewohnt und
Sladek wiederholt mit Vorhaltungen an die Zeugen ein. Speziell
sehr genau die Einzelheiten in bezug auf die Szenerie, die Dar¬
wird vom Rechtsanw. Heine immer wieder festzustellen versucht,
stellung und die Kostüme beobachtet und nach diesen drei Richtungen
daß einzelnen von ihnen bekannt gewesen sei, daß der viel erwähnte
nichts Anstößiges gefunden. Ueber das Werk als solches
Theaterskandal am ?2 Februar losgehen sollte, und daß sie
könne er hier nicht aussagen, da er bei der Zivilkammer mitgewirkt und
aus diesem Grunde in das Theater gegangen seien. Der Verteidiger
deshalb nicht als Sachverständiger fungieren könne. Die Beisitzer der
behauptet, daß die bei dieser Gelegenheit geworfenen Stink¬
Kammer haben gleichfalls einer Aufführung beigewohnt. In der Szene
bomben von den Plätzen ausgegangen sein müssen, wo die Zeugen
„Die Schauspielerin und der Graf“ habe er weder in
Platz genommen hatten. Die Zeugen bestreiten, ihrerseits an dem
den Gesten, noch in der Körperlage, noch in dem Kostüm der Schau¬
Radau teilgenommen oder gar die Stinkbomben geworfen zu haben.
pielerin Anstößiges bemerkt, auch die Steigerung bis zum Fallen
Rechtsanw. Heine bringt noch Einzelheiten über den Ausbruch
des Vorhanges sei nicht obskön, beispielsweise gehe sie im Venusberg
des Theaterskandals und dessen Verlauf zur Sprache.
Zu
bei Richard Wagner noch weiter. Was die Darstellung betrifft, so
den damals durch die Polizei Verhafteten gehörte auch der
hat weder in der ersten Vorstellung, die er gesehen, noch sonst irgend¬
Lehrer Siebert, der auf die Polizeiwache gebracht und 24 Stun¬
einer der Darsteller Gesten gemacht, die an Vorgänge hinter dem
den in Einzelhaft gehalten wurde. Der Zeuge hat einen Ekeler¬
Vorhang erinnerten. Gegenteilige Wahrnehmungen
regenden Eindruck empfangen. Auch Frau Hauptmann
einzelner Zeugen halte er nicht für zutreffend.
Müller Mitglied des Völkischen Schutz= und Trutz¬
Was den angeblichen, die Lüsternheit befördernden Rhythmus
bündnisses, des „Herold“, des „Aufrechten“, des Deut¬
der Musik betrifft, so sei ihm völlig unverständlich, wie der
schen Offizierbundes, des Verbandes deutschenatio¬
Rhythmus einer Musik auf gewisse Vorgänge delikater Art hindeuten
naler Soldaten usw. hat gewußt, daß am 22. Februar das
kann.
Kleine Schauspielhaus ausgeräuchert" werden solle und ist
Nach der Vernehmung dieses Zengen wird die Verhandlung auf
auf ein selbstbezahltes Billett in die Vorstellung gegangen, um zu
Donnerstag, 9 Uhr, vertagt.
sehen. „wie das deutsche Volk sich diesem Stücke gegenüber verhält.
Direktor Sladek behauptet, daß diese Zeugin im Foyer großen
Lärm gemacht und mehrfach geschrien habe: „Das verdanken
Mordversuch an der Mutter.
wir diesen Judenbengels! Das wäre ja noch schöner, wenn
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wir uns so etwas gefallen lassen!" usw. Die Zeugin erklärt dies, für
Der Sohn und seine Geliebte verhaftet.
unwahr, hält es aber für durchaus begreiflich, daß sich das deutsche
Ein Verbrechen hat sich gestern nachmittag im Hause
Volk eine so bodenlose Schweinerei nicht mehr gefallen
lasse. Auf Vorhalt gibt die Zeugin zu, daß sie gestern ihre beiden
Linienstraße 195a zugetragen. Dort wohnte bei seiner Mutter,
21= und 20jährig en Söhne unbefugt mit in die nicht¬
der 47 Jahre alten Witwe Minna Cagacki, der 19 Jchre alte
öffentliche Vorstellung genommen habe. Ihr ältester Sohn sei im
Arbeiter Franz Cagacki. Der junge Mann war auf die schiefe
Kriege Offizier gewesen und beide Söhne, die doch zu der Generation
Bahn gekommen und hatte der Mutter, die in der Markihalle in der
gehören, die das Deutschland der Zukunft repräsentiert und deutsches
Ackerstraße einen Stand hat, schon oft Sorgen gemacht. Als die
Wesen und deutsche Ehre hochhalten soll, hätten ein lebhaftes Inter¬
Mutter gestern nachmitag aus der Halle nach Hause kam, mußte sie
esse daran gehabt, dieses Stück kennen zu lernen und sich selbst ein
ihm wieder Vorwürfe machen. Darauf schlug er mit seiner Ge¬
Bild davon zu machen.
liebten, der 17jährigen Gertrud Jubs, die er in der Wohnung ver¬
Der Vorsitzende, Landgerichtsdirekior Brennhausen, betont
borgen gehalten hatte, die Mutter nieder. Die Niedergeschlagene
bei der Vernehmung der Zeugen immer wieder, daß es darauf a“
komme, durch welche unzüchtigen Handlungen der Angeklagien.
katte jedoch noch nicht die Besinnung vorloren und versuchte sich
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Aergernis bei ihnen erregt worden sei. Die Zeugin, Lehrerin Fräu¬
Was die Frauen sagen.
lein Teusch, Mitglied des Reichstags, hält das Stück für unzuchtig,
da das Spiel auf der Bühne den Geschlechtsverkehr als Folge des
Im Prozeß gegen Direktor, Regisseur und Darsteller der
sinnlichen Treibens zu deutlich vorführe. Besonders das fünfte Bild,
„Reigen“=Aufführung im Kleinen Schauspielhaus
die Unterhaltung zwischen den Eheleuten, habe abstoßend auf sie ge¬
wurde die Zeugenvernehmung fortgesetzt.
wirkt.
In der Darstellung, die allerdings hart an die zu¬
Die Zeugin Frau Doris Wittner hat weder bei ihrem Besuch
lälssige Grenze streift, hat die Zeugin Unzüchtiges nicht heraus¬
der Première, noch gestern Aergernis genommen, noch begriffen, wie
gefunden.
an dem Werk Anstoß genommen werden könne. Der 72 jährige Kauf¬
Die Zeugin Fräulein Gulke, Vorsitzende des Landesverbandes
mann Köhne ist mit seiner Frau auf Verabredung mit anderen, die
preußischer Volksschullehrerinnen, hat gleichfalls Aergernis an dem
einen Protest erlassen wollten, im August in eine Aufführung
Stück genommen. Auf die Jugend müsse ein solches Stück verwirrend
des
Reigen“ gekommen. Seine Frau ist Vorstandsmitglied des
wirken, denn die Jugend, die das Stück sieht, müsse zu der Ansicht
Berliner Frauenvereins gegen den Alkoholismus.
kommen: so sei das Leben wirklich.
Die moralische Tendenz des Stückes sei nicht wirksam; es möge
Der Zeuge Lebius, der
Verleger der
Herausgeber und
vielleicht auf den gereiften, willensstarken Menschen abschreckend
„Staatsbürger Zeitung" bezeichnet sich als Nationaldemo¬
wirken, aber auf die Jugend wirke es demoralisierend. Er sei be¬
krat. Er sei Republikaner und Freidenker und habe bei Anhörung
drückt gewesen über den Schmutz, der hier öffentlich hervorgezogen
des Stückes aus ästhetischen und politischen Gründen die Empfindung
werde, und es sei jammervoll, daß vor so zahlreichen, anwesenden
gehabt: Wenn die Republik das duldet, bringt sie sich um ihren
jungen Paaren ein Ehebruch nach dem anderen vorgeführt werde.
guten Namen. Als die Szenen sich abrollten, habe ihm geradezu der
Die Zeugin Frau Köhne äußert sich ähnlich wie ihr vernommener
Athem gestockt, denn neben ihm hätten zwei junge Mädchen im
Ehemann über die Stellen, an denen sie Anstoß genommen hat. Be¬
Alter von 15 bis 16 Jahren gesessen. Er habe vor dem Stück einen
sonderes Aergernis hat es ihr bereitet, daß die sexuelle Entwicklung
solchen Abscheu empfunden, daß er sich die letzten Bilder schenkte.
der Dinge in zehnmaliger Wiederholung dargestellt wird.
Er habe sich auch noch an einen Logenschließer gewendet und dieser
Theater solle eine Stätte der Erholung und seelischen Erhebung
habe ihn gewarnt und gesagt: „Nehmen Sie sich in Acht.
hier aber werden nur Ausschreitungen des finnlichen Gefühlslebens
bei dem geringsten Zeichen des Mißfalls werden
vor Augen geführt. Der Darstellung wirft die Zeugin nur vor, daß
Sie verhaftet und schließlich noch verhauen!
sie zu natürlich und gewissermaßen selbsiverständlich sich gebe. Die
Auf Vorhalt des Rechtsanwalts Heine bestätigt der Zeuge, daß
Zeugin Frau Rektorin Christ, Vorsitzende des Vereins Berliner
er seinerzeit gegen die Sozialdemokratie, die gelbe Arbeiterbewegung
Lehrerinnen, hat den Protest gegen die Aufführung des Stückes
organisiert habe. Seitdem er von der Sozialdemokratie weg sei, fei
unterschrieben; das Werk habe keinerlei erzieherischen Wert, das
er Nationaldemokrat.
Von seinem politischen Standpunkte müsse
Gegenteil von erzieherischer Wirkung sei festzustellen. Die Lehrerin
er solche Vorführungen als das Volk entsittlichend bezeichnen und
Fräulein Grade erklärt den ganzen Inhalt des „Reigen“ für un¬
bekämpfen.
künstlerisch und unsittlich. Sie hat andere Stücke, in denen auch
Die Studienrätin Fräulein Scheidel, Vorsitzende des Ver¬
sexuelle Dinge behandelt wurden, wie „Rose Berndt“, „Fuhr¬
bandes der akademisch gebildeten Lehrerinnen Berlins, hat den Protest
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gegen die Aufführung des Stückes unterschrieben. In ähnlicher Weise
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Der Vorsitzende, Landgerichtsdirekior Brennhausen, betont
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