II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 929

11.
box 18/2
Reigen
Die Anträge des Staaksanwalts im „Reigen“=Prozeß.
Gefängnisstrafe für Frau Eysoldt und Direktor Sladek.
Nachdem im „Reigen“=Prozeß gestern mittag die Beweis¬
letzterer bekommt es über sich, unberührt durch
aufnahme geschlossen worden war, wurden nach Beendigung einer
Wissenschaft und Kunst, gegen die Angeklagten Ge¬
sängnisstrafen zu beantragen. Der Staatsanwalt hat
kurzen Pause die Plaidoyers eröffnet. Zunächst ergriff der
damit gezeigt, daß er in dieser 1½ Wochen währenden Verhandlung
Vertreter der Antlage, Staatsanwaltschaftsrat v. Bradtke das
nichts gelernt hat Nach dem Staatsanwalt kommt es nur auf die
Wort und führte aus:
Zeugen an, die nach dem 22. Juni Aergernis genommen haben. Nun
Auf die langen ethischen, moralischen und künstlerischen Er¬
sind aber die meisten Zeugen der Anklage aus der früheren Zeit¬
örterungen, die hier in den letzten Tagen stattgefunden haben, wolle
insbesondere die „Brüder vom Februar“
er nicht nochmals eingehen. Die Anklage sei erhoben wegen Er¬
Nur eine ganz verdorbene Phantasie und einseitige Einstellung kann
regung öffentlichen Aergernissesss. Zur Anklage stehe nur die Auf¬
in den Bewegungen der Schauspieler unzüchtige Handlungen er¬
führung, was in dem Schnitzlerschen Buch steht, stehe nicht zur Ver¬
blicken. Die Schauspieler können nur für das verantwortlich ge¬
handlung. Bei der Erörterung des öffentlichen Aergernisses ist es
macht werden, was auf der Bühne selbst geschieht. Sei je einem
nicht von ausschlaggebender Bedeutung, ob das Werk ein Kunstwerk
Menschen eingefallen, die Aufführungen des „Tannhäuser“ und der
ist oder nicht. Er erkenne an, daß das in Frage stehende Werk ein
„Walküre“ aus denselben Gründen zu verbieten. Nach Professor
Kunstwerk ist, aber auch ein solches kann auch unzüchtig sein. Un¬
Brunner und dem Staatsanwalt müßte das geschehen. Geschehen
züchtig ist, was dem normalen Menschen gegenüber schamverletzend
ist nichts auf der Bühne von unzüchtigen Handlungen. Noch nie¬
virkt. Dies ist bei der Aufführung des Schnitzlerschen zu be¬
mals ist bisher ein Stück, dessen Inhalt bedenklich erschien, nach
ahen. Die Form kann nicht das allem Entscheidende sein, es
§ 103 unter Anklage gestellt worden. Das sei eine Neuentdeckung
kommt darauf an, welche Stellung dem Inhalt gegenüber das Theater¬
von Professor Brunner. Oeffentliches Aergernis im Sinne
bublikum einnimmt. Die große Masse geht nicht ins Theater, um den
des § 183 liege also nicht vor. Die normalen Beurteiler,
Dichter und sein Werk zu kritisieren, sondern um sich zu erbauen oder
die unbefangen und mit dem richtigen Gefühl des Anstandes der
zu belustigen usw. Dem Publikum stellt sich das Stück als Ganzes
Vorstellung gegenüberstanden, haben nur künstlerische Empfindungen
dar als ein unzüchtiges, denn es stellt sich dar als ein solches, dem es
gehabt. Der Dichter denkt nicht daran, die bargestellten Dinge zu
iediglich auf Beischlafvollziehung ankomme. Die große Menge kann
verherrlichen und zu beschönigen, er steht über den Dingen mit einem
nicht erkennen, daß der Zweck, den der Dichter mit seinem Werke ver¬
gewissen schmerzlichen Zug. Es sei doch in die Augen springend,
folgt, ein ganz anderer sei als die bloße Hinweisung auf den
was der Dichter sagen wolle. Dazu bedürfe es nicht eines besonderen
rein animalischen Akt des Beischlafes.
Eine
ganze Reihe
Eiferers. Der Verteidiger spricht alsdann über die moralische und
vor Zeugen habe bekundet, daß sie Anstoß an der Aufführung des
politische Wirkung des Stückes und dessen Bühnendarstellung. Die
„Reigen“ genommen haben. Alle Zeugenaussagen gipfeln in dieser
Klapperstorch= und Kinderstubenpolitik Professor Brunners und des
Ansicht. Die Aufführung eines Stückes bedeutet eine Handlung
Staatsanwalts sind verfehlte, am unserem Volke sittlich wieder
und alle Schauspieler in ihrer essamtheit sind verantwertlich für
auf
die Beine zu helfen.
Wir dürfen uns nicht scheuen,
diese Darstellung, die die Vornahme unzüchtiger Handlungen ent¬
die Dinge, wie sie sind, zu sehen. Das Einmischen Brunners
hält. Obwohl die Musik an sich sicherlich nicht unzüchtig ist, über
in Kunstdinge, ist gemeinschädlich. Ueber den Antrag
an dieser Stelle wircht sie derartig. Der Vorgang des Einsetzens
des Staatsanwalts auf Freiheitsstrafe wolle
des auf und ab schaukelnden Walzertaktes ist ganz eindeutig. Nach¬
er
kein Wort verlieren. Es handele sich
dem der Vorhang gefallen, weiß man, was jetzt vorgehen soll.
nicht bloß um eine bedeutende.
geschätzte
Das Gesamtbild muß unzüchtig wirken. Ob das Werk ein
Künstlerin, sondern es gehe hier um die Frei¬
Kunstwerk ist.
scheidet hier aus.
es kommt hier
heit des deutschen Geisteslebens. Was Professor Brunner.
die
Wirkung der
auf
2

Darstellung,
auf
große

an die Stelle der beseitigten Zensur setzen wolle, sei viel schlimmer
Masse an. Auf diese Masse muß der Direktor, der Schauspieler Rück¬
als diese. Man dürfe nicht auf Grund einer künstlichen Auslegung
sicht nehmen. Sie haben die Dinge nicht vom Standpunkte auf
ein Stück als unzüchtig bezeichnen, dessen politische und andere Rich¬
höherer Ebene stehender Künstler, Literarhistoriker und Kritiker
tung einem mißfalle. Deshalb rechne er bestimmt mit der Frei¬
zu betrachten. Nach der Entscheidung der Zivilkammer konnten die
sprechung aller Angeklagten. Es wäre ein Fleck auf Deutsch¬
Angeklagten sich subjektiv in dem Irrtum befinden, daß das Stück
lands Ehre Frau Eysoldt ins Gefängnis zu werfen.
nicht geeignet sei, auf die Menge unzüchtig zu wirken.
J.=R. Dr. Rosenberger ergänzte dann diese Ausführungen
Der Anklagevertreter ko imt dann zu dem Schluß, daß die Auf¬
und ging besonders auf die Anklage von der rechtlichen Seite
führung des „Reigen“ als Vornahme einer unzüch¬
tigen
Handlung aufzufassen,
und
Das Urteil wird Freitag früh um 9 Uhr verkündet werden.
die
An¬
geklagten strafrechtlich verantwortlich seien,
da alle objektiven und
subjektiven Voraussetzungen er¬
füllt
600 000 Mark zur Milchverbilligung.
Die
beiden

Theaterleiter
direktonen seien nicht Anstifter, sondern Mit¬
Hilfe für die minderbemittelte Bevölkerung.
täter, der Angeklagte Reusch als Spielleiter Ge¬
hilfe. Das Ausmaß der Strafe ist schwierig. Daß die Vor¬
Vom Nachrichtenamt des Magistrats Berlin wird mitgeteilt:
führungen nach dem 22. Juni fortgesetzt wurden,
Die Stadt Berlin gewährt bei wirtschaftlicher Notlage
bedeutet eine Verhöhnung des Gerichtes. Eine
für Schwangere (3 Monate vor der Entbindung bis ## Entbindung) und
Geldstrafe wäre ein Hohn. Nur Gefängnis ist
für Kinder bis zum vollendeten 2. Lebensjahre einen Milchgeldzuschuß
hier angebracht.
von täglich 30 Pfg. bzw. 45 Pfg. Seit dem 1. März hat die Versamm¬
Der Staatsanwalt beantragt gegen die Angeklagten
lung 2950000 Mark bewilligt, die inzwischen verausgabt sind.
Sladek und Eysoldt je vier Monate Gefängnis, gegen die
Wegen Bewilligung der Mittel bis zum 1. Oktober 1921 ist der
übrigen Angeklagten je drei Monate Gefängnis, gegen
Stadtverordnetenversammlung bereits eine Vorlage über sechshun¬
Rensch Freisprechung.
derttausend Mark zugegangen. Zur Durchführung der Milchver¬
billigung bis zum 31. März 1922 hat der Magistrat beschlos¬
Verteidiger R.=A. Heine: Auf der Anklagebank sitzt
eine der ersten Schauspielerinnen, eine der grö߬
sen, den ausreichend erscheinenden Betrag von weiteren sechs¬
ten Tragödinnen Deutschlands, deren
Name zwei
hunderttausend Mark bereitzustellen, und der Stadtver¬
Jahrzehnte hindurch mit der Schauspielkunst verknüpft
ist, der wir
ordnetenversammlung eine entsprechende Vorlage eingereicht. Vom
Dank schuldig sind für die unerhörten Leistungen mit der sie uns
1. April 1922 ab werden die Geschäfte der Milchverbilligung auf die
die Schönheiten der klassischen und nachklassischen Kunst von
Bezirke übergehen, die auch die Mittel durch ihre Etats anfordern
Shakespeare bis Strindberg verkörpert hat. Neben ihr sitzen ihre
werden.
Mitarbeiter und Schauspieler, vor ihr hochangesehene führende
Männer unseres Geisteslebens. Leuchten der Wissenschaft, Kenner
Der Aeltestenrat der Berliner Stadtverordnetenversamm¬
der
Präsidenten
100
Weltliteratur,
die beiden
Deutschen
lung hat sich sehr eingehend mit der Magistratsvorlage über die
Bühnenvereins und Kenner der gesamten Theaterkultur. Von
beschlossenen Erhöhungen der Löhne und Gehälter für Ar¬
allen diesen Männern hören wir immer dasselbe Gutachten,
beiter. Angestellte und Beamte beschäftigt und schließlich
daß
die

Aufführung eine
künstlerische, sein abgetönte,
beschlossen, die Vorlage im Plenum der Stadtverordnetenversamm¬
fast
allzu dezente gewesen
sei.
Die Angeklagten
lung nur kurz zu erörtern, sie aber recht gründlich in einem Aus¬
haben auch noch einen anderen Sukkurs erhalten durch das Urteil
schuß vorzuberaten. — Die Dezernenten des Wohlfahrtsamts
des Zivilaerichts in ihrer Sache, das das Werk als eine „sittliche
und der Erwerbslosenfürsorge traten gestern zu einer Besprechung
Tat“ erklärt hat. Auf der anderen Seite sitzen Pro¬
beim Stadtkämmerer Dr. Karding zusammen. Es wurde be¬
fessor Brunner und der Staatsanwalt, und

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