II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 957

11.
Reigen
box 18/2
nose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Zeitung: d# dh-Aös.
*
Ort:
Datutt'.
PFR. 1022
Bühne und Staat.
Von Oberverwaltungsgerichtsrat
Dr. H. Lindenau.
(Nachdruck verboten.)
Indem wir die folgenden Ausführungen
wiedergeben, möchten wir betonen, daß wir
das polizeiliche Verbot von Theaterauf¬
ührungen, die keinen strafrechtlichen Tat¬
bestand verwirklichen, doch für höchst uner¬
wünscht halten, und ein Theatergesetz fordern,
das eine solche Möglichkeit ausschließt. Vor
allem aber erachten wi, es mit dem Ver¬
asser für notwendig, daß die Theaterpolizei
chleunigst dem Kultusministerium unterstellt
wird.
Die Redaktion.
Der Prozeß um Schnitzlers „Reigen“
ist durch das freispreche de Urteil der Straf¬
kammer
hoffentlich endgültig erledigt.
Offengeblieben ist die Frage: Wie können
undesollen in Zukunft Meinungsverschieden¬
heiten zwischen Staat und Bühne über die
Zulässigkeit von Aufführungen ausgetragen
werden?
Die Wiedereinführung der Zensur darf
nicht in Frage kommen. Diese Einführung
macht jede Aufführung von der zuvor er¬
wirkten behördlichen Genehmigung abhängig
Sie erfordert also die positive Zustimmung
des Staates zu jeder theatralischen Vor¬
stellung und belastet die Regierung mit der
vollen Verantwortung für den Gesamt¬
inhalt der Bühnendarbietungen. Selbst¬
verständliche Folgen hiervon sind äußerste
Zurückhaltung und Aengstlichkeit bei jeder
Zensurprüfung, und auf der anderen Seite
unerträgliche Hemmungen für die künst
lerische Entwickelung. Man erwäge einmal,
welche Folgen es für das Gedeihen eines
beliebigen Industriezweiges haben müßte,
wenn vor jedem Geschäftsabschlusse erst die
Entscheidung einer bureaukratischen Stelle
einzuholen wäre. Also keine Rückkehr zur
Zwangsbewirtschaftung der dramatischen
Kunst
Daß der Strafprozeß ein höchst unge¬
eignetes Mittel ist, um die Grenzen der
öffentlichen Kunstbetätigung abzustecken,
dürfte der „Reigen“=Prozeß jedem Teil¬
nehmer mit genügender Klarheit vor Augen
geführt haben. Der Anblick der von Barre
und Gitter der Anklagebank eingeschlossenen
Künstlerschar, ihre Preisgabe an die Auf¬
regungen einer fast vierzehntägigen Ver¬
handlung und an die Härten der Ange¬
klagtenstellung, die selbst bei der entgegen¬
kommendsten Verhandlungsleitung unver¬
meidlich sind, boten ein Bild, dessen be¬
drückende Nachwirkungen schwer aus der
Erinnerung zu entfernen sind. Der Ge¬
danke
besonderer Kunstkammern unter
Ueberwachung eines obersten Kunsthofes ist
aufgetaucht.
Die Hypertrophie des Be¬
e Bühne
geltende Recht in dem polizeilichen Auf¬
ührungsverbote. Erst kürzlich ist in einer
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes
mit eingehender Begründung dargelegt
worden, daß solches Verbot auch nach Auf¬
hebung der Zensur ausgesprochen werden
kann, sobald eine Aufführung geeignet ist,
die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicher¬
heit zu stören, oder einen strafbaren Tat¬
bestand verwirklicht (§§ 2 und 10 ll. 17
des Allgemeinen Landrechtes). Auf diesem
Wege ist die Behörde nicht genötigt, wie
bei Ausübung der Zensur der einzelnen
Aufführung den obrigkeitlichen Zulassungs¬
stempel aufzudrücken. Sie beschränkt sich
vielmehr darauf, die Stücke herauszugreifen,
die nach den Beobachtungen bei der Erst¬
aufführung oder einigen Wiederholungen in
ihrer Wirkung ernstlich gegen die Staats¬
ordnung verstoßen. Gegen ein darauf er¬
lassenes Verbot steht dem Bühnenleiter die
Klage bei den unabhängigen Verwaltungs¬
gerichten offen, bei denen er nicht als An¬
geklagter vor die Schranken gefordert wird,
sondern der Polizeibehörde als gleich¬
berechtigte Partei entgegentritt. Die Klage
hat aufschiebende Wirkung, so daß erst der
rechtskräftige Richterspruch die Einstellung
der Vorstellungen erzwingt. Jedoch bleibt
der Behörde die Möglichkeit, auf Grund
des § 53 des Landesverwaltungsgesetzes ihr
Verbat sofort zur Ausführung zu bringen,
„soferiletztere ohne Nachteil für das Ge¬
meinwesen nicht ausgesetzt bleiben kann
ein Machtmittel, von dem die Polizei schon
nit Rücksicht auf die im Falle des Unter¬
iegens drohenden Regreßansprüche nicht
leichten Herzens Gebrauch machen wird
Man darf diese Ordnung im geltenden
Recht als ganz erträglich bezeichnen, ohne
reilich die Notwendigkeit abschließender und
den Anforderungen künstlerischer Freiheit