II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 958

Bühne und Staat.
Von Oberverwaltungsgerichtsrat
Dr. H. Lindenau.
(Nachdruck verboten.)
Indem wir die folgenden Ausführungen
wiedergeben, möchten wir betonen, daß wir
das polizeiliche Verbot von Theaterauf¬
führungen, die keinen strafrechtlichen Tat¬
bestand verwirklichen, doch für höchst uner¬
wünscht halten, und ein Theatergesetz fordern,
das eine solche Möglichkeit ausschließt. Vor
allem aber erachten wir es mit dem Ver¬
fasser für notwendig, daß die Theaterpolizei
chleunigst dem Kultusministerium unterstellt
wird.
Die Redaktion.
Der Prozeß um Schnitzlers „Reigen“
ist durch das freisprechende Urteil der Straf¬
erledigt.
kammer hoffentlich endgültig
und söllen in Zukunft Meinungsverschieden¬
heiten zwischen Staat und Bühne über die
Zulässigkeit von Aufführungen ausgetragen
werden
Die Wiedereinführung der Zensur darf
nicht in Frage kommen. Diese Einführung
macht jede Aufführung von der zuvor er¬
wirkten behördlichen Genehmigung abhängig.
Sie erfordert also die positive Zustimmung
des Staates zu jeder theatralischen Vor¬
stellung und belastet die Regierung mit der
vollen Verantwortung für den Gesamt¬
inhalt der Bühnendarbietungen.
Selbst¬
verständliche Folgen hiervon sind äußerste
Zurückhaltung und Aengstlichkeit bei jeder
Zensurprüfung, und auf der anderen Seite
unerträgliche Hemmungen für die künst
lerische Entwickelung. Man erwäge einmal,
welche Folgen es für das Gedeihen eines
beliebigen Industriezweiges haben müßte,
wenn vor jedem Geschäftsabschlusse erst die
Entscheidung einer bureaukratischen Stelle
einzuholen wäre. Also keine Rückkehr zur
Zwangsbewirtschaftung der dramatischen
Kunst!
Daß der Strafprozeß ein höchst unge¬
eignetes Mittel ist, um die Grenzen der
öffentlichen Kunstbetätigung abzustecken,
dürfte der „Reigen"=Prozeß jedem Teil¬
nehmer mit genügender Klarheit vor Augen
geführt haben. Der Anblick der von Barre
und Gitter der Anklagebank eingeschlossenen
Künstlerschar, ihre Preisgabe an die Auf¬
regungen einer fast vierzehntagigen Ver¬
handlung und an die Härten der Ange¬
klagtenstellung, die selbst bei der entgegen¬
kommendsten Verhandlungsleitung unver¬
meidlich sind, boten ein Bild, dessen be¬
drückende Nachwirkungen schwer aus der
Erinnerung zu entfernen sind. Der Ge¬
danke besonderer Kunstkammern unter
Ueberwachung eines obersten Kunsthofes ist
aufgetaucht. Die Hypertrophie des Be¬
mehrt und wieder ein Stück von der
Einheitlichkeit der ordentlichen Rechtsprechung
abgesprengt werden, die sich doch, wie das
Urteil im „Reigen“=Prozeß lehrt, dem
Verständnisse auch für feine und schwierige
Es
Kunstfragen gewachsen gezeigt hat.
kommt also nicht darauf an, den Straf¬
richter auszuschalten und damit dem
Bühnenangehörigen eine Ausnahmestellung
zu gewähren. Die Aufgabe besteht viel¬
mehr darin, die Anwendung des Straf¬
rechts als äußerstes und scharfstes Macht¬
mittel des Staates zurückzustellen, bis alle
anderen Möglichkeiten erschöpft sind.
Ein hierfür nach Form und Wirkung
durchaus geeignetes Mittel bietet das
e Bühne
geltende Recht in dem polizeilichen Auf¬
ührungsverbote. Erst kürzlich ist in einer
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes
mit eingehender Begründung dargelegt
worden, daß solches Verbot auch nach Auf¬
hebung der Zensur ausgesprochen werden
kann, sobald eine Aufführung geeignet ist,
die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicher¬
heit zu stören, oder einen strafbaren Tat¬
bestand verwirklicht (§§ 2 und 10 ll. 17
des Allgemeinen Landrechtes). Auf diesem
Wege ist die Behörde nicht genötigt, wie
bei Ausübung der Zensur der einzelnen
Aufführung den obrigkeitlichen Zulassungs¬
Sie beschränkt sich
stempel aufzudrücken.
vielmehr darauf, die Stücke herauszugreifen,
die nach den Beobachtungen bei der Erst¬
aufführung oder einigen Wiederholungen in
ihrer Wirkung ernstlich gegen die Staats¬
ordnung verstoßen. Gegen ein darauf er¬
lassenes Verbot steht dem Bühnenleiter die
Klage bei den unabhängigen Verwaltungs¬
gerichten offen, bei denen er nicht als An¬
geklagter vor die Schranken gefordert wird
ondern der Polizeibehörde als gleich¬
berechtigte Partei entgegentritt. Die Klage
hat aufschiebende Wirkung, so daß erst der
rechtskräftige Richterspruch die Einstellung
der Vorstellungen erzwingt. Jedoch bleibt
der Behörde die Möglichkeit, auf Grund
des § 53 des Landesverwaltungsgesetzes ihr
Verbat sofort zur Ausführung zu bringen,
„sofern letztere ohne Nachteil für das Ge¬
meinwesen nicht ausgesetzt bleiben kann“
ein Machtmittel, von dem die Polizei schon
nit Rücksicht auf die im Falle des Unter¬
iegens drohenden Regreßansprüche nicht
leichten Herzens Gebrauch machen wird.
Man darf diese Ordnung im geltenden
Recht als ganz erträglich bezeichnen, ohne
freilich die Notwendigkeit abschließender und
den Anforderungen künstlerischer Freiheit
entsprechender Regelung durch ein Theater¬
gesetz bestreiten zu wollen.
Die Frage drängt sich auf, weshalb der
vorstehend geschilderte Weg des Polizei¬
verbots nicht gegenüber den „Reigen“=Auf
ührungen gewählt worden ist, wenn die
Vertreter des Staates dieses Werk Schnitzlers
gerade für einen geeigneten Gegenstand des
Eingreifens hielten. In der Oeffentlichkeit
hat besonders der Umstand Kopfschütteln
erregt, daß man plötzlich eine Aufführung
vor die Strafrichter zerrte, die weit über
Jahresdauer allabendlich unter den Augen
der Behörden vonstatten gegangen war.
Die abweichende Stellung, die Polizei und
Staatsanwaltschaft hier einnahmen, war
aber nicht die einzige Divergenz zwischen