II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 960

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Hamburger Cerrespondent.
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Sittliche Gesundung.
Seit einiger Zeit ist in der breiten Oeffentlichkeit der Lärm
verstummt, der sich an den Prozeß um den „Reigen“ und
ähnliche Vorkommnisse knüpfte. Der Tanz kälin äder jeden
Augenblick von neuem sosgehen. Daher ist es gerade in einem
Augenblick der Ruhe angebracht, sich zu überlegen, wie man sich
zu der Behandlung solcher Fragen stellen soll, um nicht in den
Strudel der Meinungskämpfe willenlos hineingezogen zu
werden. Einen vortrefflichen Leitfaden bieten dafür die Ge¬
danken, die Abg. Dr. Luther im Reichstag als Redner der
Deutschen Volkspartei vor kurzem darüber zum Ausdruck ge¬
bracht hat.
Er bedauerte es, daß der Reichskunstwart Dr. Redslob eifrig
beflissen ist, sich als besonders moderner Mann bei gewissen
Kreisen in empfehlende Erinnerung zu bringen, und fuhr dann
fort:
„Wir wünschen, daß der Reichskunstwart Bedacht dar¬
auf nimmt, keine hypermoderne Richtung durch seine Arbeiten
zu fördern, sondern mit vornehmer Objektivität und mit gleichem
Recht für alle Entwicklungsmomente moderner und alter Kunst
in Obacht zu nehmen.
Gewiß liegt es mir unendlich fern, der
Kunst, auch der modernen Kunst, irgendeine Zwangsjacke anzu¬
ziehen; ich weiß sehr wohl, daß die Kunst der Freiheit bedarf.
Aber wir haben auf Grund von allerlei Vorgängen der letzten
Zeit einen gewissen Anlaß, keinerlei Einseitigkeit eintreten zu
lassen. Wir bitten auch energisch darum, daß der Herr Reichs¬
kunstwart sich möglichst wenig mit den Kunstprozessen moderner
Art beschäftigt. Vor einigen Wochen ist uns ein Gutachten eines
seiner Assistenten über den verbotenen „Venuswagen“ vor¬
gelegt worden. In diesem Gutachten war eine merkwürdige
Linie gezogen, indem davon gesprochen wurde, der „Venus¬
wagen durfe nicht vom Standpunkt der Ethik oder gar der
Religion beurteilt werden, sondern man müsse als Vollmensch
eine Verständnis für diese Sammlung von Zoten haben. Ich
möchte mit aller Deutlichkeit sagen, daß wir uns keineswegs auf
diese Linie gedrängt sehen mochten. Wir bleiben dabei, daß auch
die Kunst sich den alten, kraftvollen sittlichen Anschauungen
fügen muß, wie sie auf dem Boden des Christentums und des
Deutschtums gewachsen sind.
Dr. Luther benutzte die Gelegenheit, um zu sagen, daß er
nicht der Meinung sei, als sollte mit einer großen Geste über all
die gemeine Erotik, über den geistlosen Schund und die lüsterne
Gemeinheit hinweggegangen werden, als erledigten sich diese
Dinge alle von selbst in der Entwicklung der Kultur. Im Gegen¬
teil, schärfster Gegensatz gegen diese tausendfachen Gemeinheiten,
die als ein ausländischer Krebs an dem Mark unseres Volks¬
lebens zehren, sei notwendig. Nach links gewandt, fuhr er fort:
„Wir müssen es uns verbitten, wenn behauptet wird als sei
dieser Schmutz und dieser Schund und alle die Lüsternheit mo¬
derner Zivilisation nur in gewissen Kreisen zu denen wir ge¬
hören, üblich. Wer die Augen auf hat, der sieht, daß nicht bloß
in den gebildeten und in den besitzenden Schichten unseres
Volkes, sondern ebenso gut auch in der Arbeiterklasse nicht bloß
der Großstadt, sondern auch in kleinen Städten, auf dem Lande
eine Weitherzigkeit gegenüber den sittlichen Forderungen des
Lebens besteht, die kaum überboten werden kann. Die Wahr¬
heit erfordert zu sagen, daß in allen Schichten eine tief bedauer¬
liche Liebe zum Schmutz, zur Erotik, zur sittlichen Gemeinheit
vorhanden ist
... Wir wollen ehrlich und ernst sagen, daß wir
in einem Staate, der seine kulturellen und sittlichen Aufgaben
treiben läßt, sondern daß man mit lebhaftester Energie ein¬
schreitet. Ich nehme keinen Anstand, meinerseits zu sagen, daß
wir Professor Brunner und dessen Mitarbeitern sehr dank¬
bar sind, daß es ihnen gelungen ist, vieles aus dem Straßen¬
leben zu beseitigen, was uns in Berlin schwer gekränkt hat. Wer
sich daran erinnert, wie am Potsdamer Platz so gut wie in
Moabit Zeitschriften mit schreienden Ueberschriften wie „Bordelle
am Kurfürstendamm", „Ueber moderne Ehe und freie Liebe
schriften in den Zeitungskiosken verkauft worden sind, die alle
auf unsere Jugend vergiftend wirken, der muß diesem Mann
danken, der nichts anderes getan hat, als eine ernste, tief sitt¬
liche Pflicht zu erfüllen. Ich kann auch für mich und im Namen
meiner Freunde nur bitten, daß uns die Regierung sehr bald
den Gesetzentwurf gegen den Schmutz in Wort und Bild vor¬
legt und keine Gelegenheit # übergehen läßt, um
sich der
Pflicht, die sie nun einmal hat, zu erinnern. Wir sind über¬
zeugt, daß alles Blühen und Auferstehen unserer Wirtschaft
nicht genügt, sondern daß, wenn das deutsche Volk eine Zukunft
haben will wir dafür sorgen müssen, daß es gesund und rein
an Leib und Seele ist. Ich bitte namens meiner Freunde energisch
darum, daß für diese Sauberheit im deutschen Land, an der
es unsagbar mangelt, auch von der Regierung ernstlich gesorgt
wird.“