II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 970

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11. Reigen
Hamburger
S#amdonhlatt
kommt. Und man fragt sicht Ist es notwendlg. ja
auch nur angängig, uns diesen breitgetretenen Prozes
nun als Lektüre noch einmal vorzusetzen, unsere Zeit
und Aufmerksamkeit für eine sehr unerqnickliche Sache
in Anspruch zu nehmen, von der man hoffte, daß sie
ands
endgültg erledigt sei? Hat man aber das aufäng¬
liche Widerstreben überwunden und sich erst einmal eing
zelesen, so fesselt dieses Auch doch nach verschiedenoft
Richtungen. Man kann sich zu Schnitzlers „Reigen“
und seiner Aufführung auf der Bühne stellen, w#ie
man will; man kann ihr die Berechtigung absprechen;
man kann über sie sehr entrüstet sein und wird, wenn
man unvoreingenommen und vorurteilslos ist,
doch
zugeben müssen, daß in diesem Buch ein Stück unserer;
Zeit eingefangen ist, daß sich in ihm die Mentalität,
die geistig=feelische und —
ach — so est mit polltischer
Tendenz verqnickte Einstellung unserer Tage wider¬
spiegelt und daß es in diesem Sinn zweifellos als
eine Art von Kulturdokument anzusprechen ist, das
n
spätere Generationen einmal mit Staunen lesen werden.
M. A. M.
Gestellungen
belm Verlag Broschek & Co. m. b. H., Hamburg 36,
und durch die Post für monatlich 8 Mark so pf.
Güs SeraberkSbAN

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BERLIN 80 15 RUNGESTRASSE 22-24
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Festlichkeiten usw.
Die Glocke
Berlin SW. 68
Ausschnitt aus der Rummer vom:
2 6 OKTLS

Der Kampf um den „Reigen“
Bravo, Ernst Rowohlt Verla#
eu den vollständigen Béricht über
lie sechsfägige,-rhandlung gegen
Direktion und Warsteller des Ber¬
iner Klemch Schauspielhauses
wegen der Aufführung von Schnitz¬
lers „Reigen“ mit einer Einleitung
von Wolfgang Heine herausgegeben
hast. Bravo denn sonst würder
kommende Geschlechter nicht be¬
greifen können, daß Deutschland
einmal so etwas gehabt hat. Den
republikfeindlichen Organisationen
die im Hintergrund dieses Skandals
sichtbar werden, dem Deutschvöl
ischen Schutz- und Trutzbinnl
dem Bund der Aufrechten und dem
Verband Deutschnationaler Solda¬
ten, traut man zwar jede Ver¬
bohrtheit und jede Tücke zu, aber
#mmrmnanien areseh im stenogra¬
phischen Porträt festgehaltenen
Mucker und Muffler fängt uns
doch der Kopf an zu rauchen.
W’elch eine Menagerie! Da nennt
eine späte Jungfrau am Zeugen¬
stand einunddasselbe im gleichel
Atemzug das „Heiligste und Ver¬
borgenste“ und ein „Begehen un¬
sittlicher Handlungen“ eine andere
verabscheut das „häufige Sichein¬
andernäherkommen“ der Pariner
im „Reigen“-Spiel — huch nein!
als „Perversität“ ein würdiger
Vollbart hat an jeder einzelnen
Szeue, an jeder einzelnen mit weit
offenen Augen Anstoß genommen.,
Ein besorgter Vater fürchtet, daß
ein — heute vierjähriges! —
Kind
einmal durch das Stück verdorben
werden könne, Ein Regierungsrat
will auf der Bühne nur schen, „Was
bei der guten Gesellschaft für an¬
ständig gilt“. Ein Zweiundsiebzig¬
jähriger — ach ja! —
st empört,
weil er den Eindruck bekam, „als
jage ein Bedürfnis das andere“,
einer hat a) als Berliner, b) als
Preuße, c) als Deutscher Anstoß
genommen, ein anderer als Poli¬
tiker, ein Dritter als Protestant,
eine als „deutsche Untertanin
recht so! Aber jeder, an der Spitze
Professor Brunner, unser Brunner
der „Differenzierer“ der geschwol¬
len daherredet, Balzac „durch¬
geben“, läßt, anstößige Couplets
„umdichtet“, jeder jeden Zoll ein
animal, das schon ante coitum triste
ist! Und immer wieder fragt man
sich schier fassungslos: Das also
gibt es wirklich? Und in Berlin?
Und im Jahre 1922? Aber nach
den lichtvollen Darlegungen de:
ernstzunehmenden Sachverständigen
und dem vernünftigen Freispruch
sagt man sich beruhigt: Gut, daß
doch noch nicht Direktoren des
„Zentralausschusses für die innere
Mission der deutschen evangeli¬
schen Kirche“ Vorsitzende des
„Vereins für Anstand und gute
Sitte“ und Mitglieder des „Arbeits¬
ausschusses Berliner Vereine in
Fragen der Volkssittlichkeit“ über
die Kunst zu befinden haben. Gott
grüs' die Kunst!
Leo Parth.