II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 974

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11. Reigen
FRISCH & Co. VERLAG
WIEN-LEIPZIG
WIEN III. ERDBERGSTR. 3
TELEPHON 45-2-13
Verehrliche Schriftleitung!
Der in unserem Verlage erschienene Luxusdruck „Schnitzler: Reigen, mit 10 Radierungen
von Stefan Eggeler“ wurde von einem Zollbeamten in Hof (Oberbayern), der sich für zensur¬
berechtigt hielt, als unzüchtig beschlagnahmt und dem Landgericht Hof zur weiteren
Amtshandlung übergeben. Das Amtsgericht Hof hat demgemäß die Beschlagnahme ausgesprochen
und das Strafverfahren gegen uns eingeleitet. Auf den von uns eingebrachten Rekurs erhielten wir
von der Strafkammer, Landgericht Hof, die Mitteilung, daß die Beschlagnahme aufgehoben wurde,
unter Angabe der nachstehend angeführten Gründe. Da diese Entscheidung auch für die Offentlich¬
keit von Interesse ist, stellen wir es Ihnen anheim, das unten angeführte Gutachten in Ihrem
geschätzten Blatte zu veröffentlichen.
Hochachtungsvoll
FRISCH & Co. VERLAG
Begl. Abschrift.
Hof, den 14. Januar 1922.
Beschluß
der Strafkammer des Landgerichts Hof.
Der Beschluß des Amtsgerichts Hof vom 17. November 1921 wird aufgehoben.
Gründe:
Das Amtsgericht Hof hat mit vorbezeichnetem Beschluß die Beschlagnaume eines
Exemplars Nr. 224 des im Verlag von Frisch & Co. in Wien—Leipzig erschienen Buches:
„Reigen“, von Arthur Schnitzler, ausgesprochen, da Inhalt und Abbildungen desselben
unzüchtig seien, und das Buch als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sei
und der Einziehung unterliege. §§ 184, Z. 1, 41, 42, St.-G.-B., §§ 94, 98, St.-P.-O.
Die von der Verlagsbuchhandlung wirksam dagegen eingelegte Beschwerde ist be¬
gründet. Weder der Inhalt der den „Reigen“ bildenden 10 Dialoge, noch die
10 Illustrationen hiezu nach Radierungen von Stefan Eggeler sind unzüchtig
im Sinne des § 184, Z. 1, St.-G.-B. Das geht schon aus der künstlerischen Form der Dar¬
stellung hervor. Aber auch vom Inhalt kann nicht gesagt werden, daß er ge¬
eignet sei, das Scham- und Sittlichkeitsgefühl des normal empfindenden
Menschen in geschlechtlicher Beziehung zu verletzen. In den Dialogen treten
verschiedene Typen des Wiener Volksiebens auf. Deren in sittlicher Hinsicht allerdings
zum Teil sehr tiefstehende Anschauungen über geschlechtliche Dinge darzustellen, ist der
wahre Zweck der Schrift. Zu berücksichtigen ist auch, daß das Buch in einer kleinen,
numerierten, sehr teueren Ausgabe hergestellt ist.
Trotzdem der Text des Buches schon seit zirka 20 Jahren im Buchhandel erschienen
ist, ist nach Mitteilung der Polizeidirektion München bis jetzt nicht bekannt geworden
daß bayerische Gerichte das Buch als unzüchtig im Sinne des § 184, St.-G.-B., erklärt haben.
Leupoldt
Dr. Thomas
gez. Walber
Zur Beglaubigung.
Hof, den 16. Januar 1922.
Gerichtsschreiberei des Landgerichts.
L. S.
Hallmeier, O.-Sekr.