box 1373
11. Reigen
ur Liieratat, Ratht urta
Leitung
des Hamburgischen Correspondenten
Nr. 6 vom 8. Januar 1921
Für die Redaktion veranfwortlich Dr. Carl Müller-Raftatt
mit dem kleinen Scheusal Little Pluck untreu wird, dann mit
wie
Die beiden Wege.
Kat
den Two Darlings und schließlich mit der ganzen siebenlöpfigen
Der nächste Weg zu Gott
ster
Osmond=Truppe. Dieser Reigen, auf die Bühne übertragen,
ist durch der Liebe Tür.
Zin
wäre ein Fest für die Trüffel=Sucher: wenn schon, denn schon.
Der Weg der Wissenschaft
Aber die zehn Gespräche, die ohne einen anderen Zusammenhang
bringt dich gar langsam für.
Fl
sind, als daß in jedem mit mathematischer Pünk lichkeit derselbe
Angelus Silesius.
in
Akt vollzogen wird, gehören ganz gewiß nicht auf die Bühne.
koss
Das war bis jetzt so sehr Schnitzlers eigene Meinung, daß
er zwanzig Jahre lang jede Aufführung energisch untersagt hat.
a1
Cotentanz.
Er wußte, warum. Wer sich für den „Reigen“ als Kunstwerk
interessierte, der konnte ihn lesen, denn dafür war er ja ge¬
Zur Uraufführung von Schnitzlers „Reigen“ in den Hamburger
schrieben. Wer diese Dialoge im Rampenlicht von lebendigen
Kammerspielen.
Menschen gesprochen haben will, der tut dem Dichter keinen Ge¬
Von
fallen und lenkt die Aufmerksamkeit vom Geistigen des Werks
Dr. Carl Müller=Rastatt.
auf das greb Stoffliche, grob Sinnliche über. Die Not, die auf
Oesterreich lastet, soll Schnitzler jetzt veranlaßt haben, in die
Sittliche Erneuerung unseres Volkes ist notwendige Vor¬
Aufführung dieser Dialoge trotz allem zu willigen.
aussetzung für den Wiederaufbau Deutschlands. An ihr mit¬
Die Not, in der sich unsere Theaterkassen befinden, veranlaßt
zuarbeiten ist heilige Pflicht für jeden, der dazu irgendwie die
die Theaterleiter, von dieser Einwilligung Gebrauch zu machen.
Möglichkeit hat. An führender Stelle sollte dabei das deutsche
Sie entwürdigen das ernste Werk eines Dichters, indem sie es
Theater sich betätigen. Offenbar aus dieser Erkenntnis heraus
zur Lockspeise für ein Publikum machen, das nur dann die ge¬
hat in Berlin das Kleine Theater, haben jetzt in Hamburg die
pfefferten Eintrittspreise bezahlt, wenn ihm entsprechend ge¬
Kammerspiele in ihren Spielplan Arthur Schnitzlers
pfefferte Kost geboten wird. Ob ihre Rechnung stimmen, ob nicht
Dialogfolge „Reigen“ ausgenommen.
vielmehr das Publikum, auf das sie spekulieren, sehr enttäuscht
Der Vorwurf, es ginge dem Neuen, Unbekannten nach, kann
sein wird, mag dahingestellt bleiben. Im Dienst der sittlichen
gegen das Theater, das „Reigen“ aufführt, nicht erhoben werden.
Erneuerung sind die Reigen=Aufführungen jedenfalls nicht. Wir
Das Buch ist bereits 1900 erschienen, konnte also seit zwanzig
brauchten Selbstbesinnung und Aufschwung, aber nicht die Ver¬
Jahren von jedem, der Lust dazu hatte, gelesen werden, ist,
kündigung der falschen Lehre vom unfreien, triebbedingen
wenn man im Jargon unserer raschlebigen Zeit reden will, schon
Leben. Wir müssen heraus aus diesem eenden Hin und Her
eine ganz alte, eine beinahe schon schimmelig gewordene Sache.
zwischen kläglichem Jammern und toller Vergnüungssucht, aus
Und es wäre somit bezeichnend für den Tiefstand unserer lite¬
diesem Tanz auf Trümmern, aus dem man deutlicher noch, als
rarischen Kultur, daß man aus der Aufführung eines so alten
des
aus Schnitzlers Venus=Reigen das unheildrohende Motiv
Werkes eine „Sensation“ machen möchte, wenn nicht etwas
Totentanzes heraushört.
anderes dahinter steckte. Es ist nicht das Kunstwerk, um das es
hier geht sondere der Stoff, der in ihm behandelt wird. „Das
Pikanteste vom Pikanten“ murmeln sich die „Feinschmecker“
blinzelnd zu. Und deuten verständnisinnig auf den Vermerk
Grillparzer und die Sbner-Sschenbach
des Theaterzettels: „Personen unter 20 Jahren ist der Zu ritt
ARAA-ALAATT
untersagt.“ Man möchte Arthur Schnitzler zum Pornographen
stempeln und stöbert, wie gewisse grunzende Tiere im Waldgrund
nach Trüffeln, in seinen „Reigen“=Dialogen nach — übersetzen
wir das gute deutsche Wort, das hierher gehört, ins Franzö¬
sische — nach Cochonnerien.
Man wird dabei nicht auf seine Kosten kommen. Man wird,
wenn man sich von diesem „Reigen“ Pikanterien verspricht, wie
sie auf sogenannten „Herren"=Abenden verzapft werden, mit
langem Gesicht abziehen und bei sich denken: „Das hatte ich mir
ganz anders gedacht.“ Allerdings behandelt der Reigen die
Sexualitätsfrage, aber in durchaus sachlicher, ernster Weise,
ohne den leisesten Versuch, rosa Schminke zu gebrauchen. Jeder
französische Schwank ist pikanter als diese Dialoge, in denen
mehr als in irgend einem andern Werk Schnitzlers der Medi¬
ziner dem Dichter die Hand geführt hat.
„Reigen“. Zehn Dialoge. In jedem reden nur zwei Per¬
sonen zusammen, doch geht immer eine Person aus dem einen
Gespräch ins nächste über, sodaß eben die Kette, der Reigen,
entsteht. Es beginnen Dirne und Soldat, dann folgen Soldat
und Stubenmädchen. Stubenmädchen und junger Herr, junzer
Herr und junge Frau, junge Frau und Gatte, Gatte und süßes
Mädel, süßes Mädel und Dichter, Dichter und Schauspielerin,
Schauspielerin und Graf. Graf und Dirne: Der Reigen ist ge¬
schlossen. Gesprächsstoff jedes dieser zehn Dialoge: die Liebe,
aber die jeder Geistigkeit bare Sinnenliebe, der Sinnenreiz, der
Trieb zur sexuellen Vereinigung. Und die Gliederung jedes
Dialogs gleichmäßig zweiteilig: der erste Teil vor, der zweite
nach dem fexuellen Akt.
Diese nüchterne Konstruktion zeigt, daß es sich hier eigentlich
K
n
K
11. Reigen
ur Liieratat, Ratht urta
Leitung
des Hamburgischen Correspondenten
Nr. 6 vom 8. Januar 1921
Für die Redaktion veranfwortlich Dr. Carl Müller-Raftatt
mit dem kleinen Scheusal Little Pluck untreu wird, dann mit
wie
Die beiden Wege.
Kat
den Two Darlings und schließlich mit der ganzen siebenlöpfigen
Der nächste Weg zu Gott
ster
Osmond=Truppe. Dieser Reigen, auf die Bühne übertragen,
ist durch der Liebe Tür.
Zin
wäre ein Fest für die Trüffel=Sucher: wenn schon, denn schon.
Der Weg der Wissenschaft
Aber die zehn Gespräche, die ohne einen anderen Zusammenhang
bringt dich gar langsam für.
Fl
sind, als daß in jedem mit mathematischer Pünk lichkeit derselbe
Angelus Silesius.
in
Akt vollzogen wird, gehören ganz gewiß nicht auf die Bühne.
koss
Das war bis jetzt so sehr Schnitzlers eigene Meinung, daß
er zwanzig Jahre lang jede Aufführung energisch untersagt hat.
a1
Cotentanz.
Er wußte, warum. Wer sich für den „Reigen“ als Kunstwerk
interessierte, der konnte ihn lesen, denn dafür war er ja ge¬
Zur Uraufführung von Schnitzlers „Reigen“ in den Hamburger
schrieben. Wer diese Dialoge im Rampenlicht von lebendigen
Kammerspielen.
Menschen gesprochen haben will, der tut dem Dichter keinen Ge¬
Von
fallen und lenkt die Aufmerksamkeit vom Geistigen des Werks
Dr. Carl Müller=Rastatt.
auf das greb Stoffliche, grob Sinnliche über. Die Not, die auf
Oesterreich lastet, soll Schnitzler jetzt veranlaßt haben, in die
Sittliche Erneuerung unseres Volkes ist notwendige Vor¬
Aufführung dieser Dialoge trotz allem zu willigen.
aussetzung für den Wiederaufbau Deutschlands. An ihr mit¬
Die Not, in der sich unsere Theaterkassen befinden, veranlaßt
zuarbeiten ist heilige Pflicht für jeden, der dazu irgendwie die
die Theaterleiter, von dieser Einwilligung Gebrauch zu machen.
Möglichkeit hat. An führender Stelle sollte dabei das deutsche
Sie entwürdigen das ernste Werk eines Dichters, indem sie es
Theater sich betätigen. Offenbar aus dieser Erkenntnis heraus
zur Lockspeise für ein Publikum machen, das nur dann die ge¬
hat in Berlin das Kleine Theater, haben jetzt in Hamburg die
pfefferten Eintrittspreise bezahlt, wenn ihm entsprechend ge¬
Kammerspiele in ihren Spielplan Arthur Schnitzlers
pfefferte Kost geboten wird. Ob ihre Rechnung stimmen, ob nicht
Dialogfolge „Reigen“ ausgenommen.
vielmehr das Publikum, auf das sie spekulieren, sehr enttäuscht
Der Vorwurf, es ginge dem Neuen, Unbekannten nach, kann
sein wird, mag dahingestellt bleiben. Im Dienst der sittlichen
gegen das Theater, das „Reigen“ aufführt, nicht erhoben werden.
Erneuerung sind die Reigen=Aufführungen jedenfalls nicht. Wir
Das Buch ist bereits 1900 erschienen, konnte also seit zwanzig
brauchten Selbstbesinnung und Aufschwung, aber nicht die Ver¬
Jahren von jedem, der Lust dazu hatte, gelesen werden, ist,
kündigung der falschen Lehre vom unfreien, triebbedingen
wenn man im Jargon unserer raschlebigen Zeit reden will, schon
Leben. Wir müssen heraus aus diesem eenden Hin und Her
eine ganz alte, eine beinahe schon schimmelig gewordene Sache.
zwischen kläglichem Jammern und toller Vergnüungssucht, aus
Und es wäre somit bezeichnend für den Tiefstand unserer lite¬
diesem Tanz auf Trümmern, aus dem man deutlicher noch, als
rarischen Kultur, daß man aus der Aufführung eines so alten
des
aus Schnitzlers Venus=Reigen das unheildrohende Motiv
Werkes eine „Sensation“ machen möchte, wenn nicht etwas
Totentanzes heraushört.
anderes dahinter steckte. Es ist nicht das Kunstwerk, um das es
hier geht sondere der Stoff, der in ihm behandelt wird. „Das
Pikanteste vom Pikanten“ murmeln sich die „Feinschmecker“
blinzelnd zu. Und deuten verständnisinnig auf den Vermerk
Grillparzer und die Sbner-Sschenbach
des Theaterzettels: „Personen unter 20 Jahren ist der Zu ritt
ARAA-ALAATT
untersagt.“ Man möchte Arthur Schnitzler zum Pornographen
stempeln und stöbert, wie gewisse grunzende Tiere im Waldgrund
nach Trüffeln, in seinen „Reigen“=Dialogen nach — übersetzen
wir das gute deutsche Wort, das hierher gehört, ins Franzö¬
sische — nach Cochonnerien.
Man wird dabei nicht auf seine Kosten kommen. Man wird,
wenn man sich von diesem „Reigen“ Pikanterien verspricht, wie
sie auf sogenannten „Herren"=Abenden verzapft werden, mit
langem Gesicht abziehen und bei sich denken: „Das hatte ich mir
ganz anders gedacht.“ Allerdings behandelt der Reigen die
Sexualitätsfrage, aber in durchaus sachlicher, ernster Weise,
ohne den leisesten Versuch, rosa Schminke zu gebrauchen. Jeder
französische Schwank ist pikanter als diese Dialoge, in denen
mehr als in irgend einem andern Werk Schnitzlers der Medi¬
ziner dem Dichter die Hand geführt hat.
„Reigen“. Zehn Dialoge. In jedem reden nur zwei Per¬
sonen zusammen, doch geht immer eine Person aus dem einen
Gespräch ins nächste über, sodaß eben die Kette, der Reigen,
entsteht. Es beginnen Dirne und Soldat, dann folgen Soldat
und Stubenmädchen. Stubenmädchen und junger Herr, junzer
Herr und junge Frau, junge Frau und Gatte, Gatte und süßes
Mädel, süßes Mädel und Dichter, Dichter und Schauspielerin,
Schauspielerin und Graf. Graf und Dirne: Der Reigen ist ge¬
schlossen. Gesprächsstoff jedes dieser zehn Dialoge: die Liebe,
aber die jeder Geistigkeit bare Sinnenliebe, der Sinnenreiz, der
Trieb zur sexuellen Vereinigung. Und die Gliederung jedes
Dialogs gleichmäßig zweiteilig: der erste Teil vor, der zweite
nach dem fexuellen Akt.
Diese nüchterne Konstruktion zeigt, daß es sich hier eigentlich
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