box 18/3
11. Reigen
SchnißlersReigen“
in den Kammerspielen.
Zwanzig Jahre sind es her, (daß Arthur Schnitzler seinen
„Reigen veröffentlicht hat. Zwanzig Jahre kennt alle Welt diese
zehn erotischen Dialoge zwischen Liebespaaren, die Beruf eder
Neigung, Neugier oder Erfahrung zu flüchtiger Begegnung zu¬
sammengeführt hat, und nicht nur Jünggesellen und Lebemänner
kosteten vom vermeintlich prickelnden Reiz dieses Stückes galanter
Literatur, ohne daß je der Schrei nach der Bühne laut wurde
Es mußte offenbar erst die Revolution kommen, zu deren
Segnungen es auch gehört, daß sie alle Bande frommer Scheu
gesprengt und eine neue Gesellschaft in die Sessel der Theater be¬
Fördert hat, die, durch keine kleinlichen Vorurteile der Bildung
oder der Kultur gehemmt, mit dem energischen Machtwillen ihres
rasch und leicht erworbenen Geldes nun auch eine neue Ara des
Geschmacks zu diktieren sich anschickt, um die deutsche Schau¬
bühne von den lästigen Fesseln des Anstands zu befreien, und
auch das, was selbst der Dichter in übertriebener Schamhaftigkeit
nur für stille Lesestunden aufgezeichnet hat, ins natülich helle
Licht der elektrischen Rampen zu stellen. Wohltat der Freiheit
wie allerorten: auch hier! Heil ihr!
Wer war's, der dieser Forderung zuerst gehorchte? Hängt
ihn! Armer Dichter, der du deines Wiener Daseins Notdurft
nicht anders stillen zu können glaubtest, als daß du diese zarten
Kinder heines Geistes aus dem Salon, für den sie geboren, auf
die Straße schicktest, und durch ihre Prostituierung auf ein paar
— wenig
deutsche Mark rechnest, die vielleicht viele Kronen und
Brot bedeuten. Kein Erbarmen aber verdienen jene Direktoren,
die, des Dichters Not ausnutzend und derart den Namen eines
wirklichen Künstlers für eine unwissende Menge in den übel¬
riechenden Dreck zu den Pornographen schleifend, auf die nied¬
rigsten Instinkte eines stets lüsternen Publikums ihre schäbige
Spekulation aufbauen. Wer von ihnen will mir weismachen, daß
es sich hier um eine „literarische Notwendigkeit“ handele, diese
zehn Stimmungsgespräche, die das ante und post festum der
Liebe mit mehr oder weniger Grazie feiern und dabei das Psycho¬
logische mit dem Physiologischen oft recht feingliedrig verknüpfen,
Bild und Klang werden zu lassen? Diese Dialoge, in denen die
Pointe oder der dramatische Vorgang, wenn man so sagen darf,
— im Mittelpunkt des Erlebnisses steht, (einst¬
der — man begreift
weilen noch) zur Unsichtbarkeit verdammt ist, zur Realität zu
zwingen, aus der dichterischen Vision ins Körperliche zu über¬
tragen, heißt die Geistigkeit ihres Duftes zu plumper Handgreif¬
lichkeit erniedrigen. Nichts anderes. Und das allein wäre schon
unverzeihlich, wenn nicht noch ein schlimmeres ästhetisches Mo¬
ment dagegen spräche: die Langweiligkeit der Vorgänge. Zehn¬
mal erleben wir die Variation des einen Themas, zehnmal geht
die taktvolle kleine Lampe aus und muß die Pause markieren,
die im Buche die Gedankenstriche ersetzen, —
aber die Verschieden¬
heit von Bildern und Menschen kann nicht darüber hinweghelfen,
daß es doch nur zehn Wiederholungen eines Einmaligen sind, die
allgemach ermüden und, schließlich feinerer Reize bar, endlich sanft
einschläfern. Ob selbst überwache Sinne gefangen blieben?
Ich
weiß es nicht. Im allgemeinen schien sich leichtes Enttäuschtsein
auszubreiten, der erhoffte Kitzel blieb aus, und weder unmoralisch
angestachelt noch moralisch entrüstet ging die Mehrzahl nach Haus:
nun gelangweilt.
Tegung in Schelltund und in Oderschieften
Ob auch alles für eine kleine „Reigen"=Sensation geschehen
ist — als da sind: Berliner Gerichtsverhandlungen, Haftandrohung
gegen die Berliner Direktion, in Hamburg die Einführung mittels
einer aus geheimnisvollen Gründen „geschlossenen Vorstellung",
ja endlich das demonstrative Aushärgen einer Warnungstafel,
die, ein erhebendes Zeugnis für die Moral der Direktion Ziegel, nur
Jugendlichen über zwanzig Jahren den Zutritt gestattet, all das,
ürchte ich ist vergeblich gewesen. Auch die zum Teil sehr gelungene
Aufführung, die unter Paul Marx die delikate Aufgabe mit
künstlerischer Noblesse zu lösen suchte, konnte nicht den peinlichen
Eindruck verwischen, daß geschäftliche Spekulation sich hier am
alschen Objekt vergriffen hat. Daß auch die literaturfreundliche
Bühne immer mehr im Alkovendunst versinkt. Daß die pro¬
gressive Paralyse deutschen Kulturlebens immer bedrohlicher
wird.
Über Einzelleistungen zu sprechen ist kein Anlaß. Nur die
erfreuliche Wiederbegegnung der Anni Mewes verzeichne ich,
die ihrem Frauentum neue Brechungen, eine sehr willkommene
Bereicherung ihrer nicht sehr großen schauspielerischen Skala zu
verdanken hat. Und: daß ich die naturhaften Töne der Centa
Bré, als Schauspielerin, nicht vergessen werde.
Otto Schabbei.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin, NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Ugee
e Auuslcoe Ltee
Ort:
0
DatHamburg
Für den ernsten Menschen war das Gastspiel des
Hah#burger Kammerspiel=Ensembles im
Theater am Sophienblatt interessant. Wir
haen vor langen Jahren in der Sturm= und Drangperiode
des Lebens Arthur Schnitzlers „Reigen“ alle
(seien wir ehrlich!) verschlungen. Das Buch wanderte in
Studenten= und literarisch interessierten Kreisen von Hand
zu Hand. So fein und scharf beobachtet das Buch ist, so
wenig kann das Stück auf der Bühne befriedigen. Was
dort der Phantasie der beschwingten, vorbehalten bleibt,
muß hier brutal wirken und kann selbst bei Bühnen, wo
technische Hilfsmittel (Drehbühne!) lange
Umbaupausen
nötig machen, geradezu lähmend wirken.
Aber uns die
Bekanntschaft dieses hin= und hergezerrten Stückes in Kiel
vermittelt zu haben, verdient Beachtung, namentlich da es
der Direktion dieses Theaters gelungen war, die erste Gar¬
nitur der Hamburger Kammerspiele nach hier verpflichtet
zu haben. Besonders zu loben und hervorzuheben sind
Günther Bobrik (der junge Herr), Paul Marx
(der Gatte und Spielleitung), Marzella Halicz
(eine entzückende, junge Frau), und am besten und unge¬
künstelsten=Centa Brée (Schauspielerin) in unverwüst¬
licher Frische und mit drastischem, urgesundem Kumor die
gefährlichsten Klippen glücklich umsegelnd. Die Bühnen¬
bilder waren entzückend, die Pausen zu lang, der Besuch
ein glänzender.
11. Reigen
SchnißlersReigen“
in den Kammerspielen.
Zwanzig Jahre sind es her, (daß Arthur Schnitzler seinen
„Reigen veröffentlicht hat. Zwanzig Jahre kennt alle Welt diese
zehn erotischen Dialoge zwischen Liebespaaren, die Beruf eder
Neigung, Neugier oder Erfahrung zu flüchtiger Begegnung zu¬
sammengeführt hat, und nicht nur Jünggesellen und Lebemänner
kosteten vom vermeintlich prickelnden Reiz dieses Stückes galanter
Literatur, ohne daß je der Schrei nach der Bühne laut wurde
Es mußte offenbar erst die Revolution kommen, zu deren
Segnungen es auch gehört, daß sie alle Bande frommer Scheu
gesprengt und eine neue Gesellschaft in die Sessel der Theater be¬
Fördert hat, die, durch keine kleinlichen Vorurteile der Bildung
oder der Kultur gehemmt, mit dem energischen Machtwillen ihres
rasch und leicht erworbenen Geldes nun auch eine neue Ara des
Geschmacks zu diktieren sich anschickt, um die deutsche Schau¬
bühne von den lästigen Fesseln des Anstands zu befreien, und
auch das, was selbst der Dichter in übertriebener Schamhaftigkeit
nur für stille Lesestunden aufgezeichnet hat, ins natülich helle
Licht der elektrischen Rampen zu stellen. Wohltat der Freiheit
wie allerorten: auch hier! Heil ihr!
Wer war's, der dieser Forderung zuerst gehorchte? Hängt
ihn! Armer Dichter, der du deines Wiener Daseins Notdurft
nicht anders stillen zu können glaubtest, als daß du diese zarten
Kinder heines Geistes aus dem Salon, für den sie geboren, auf
die Straße schicktest, und durch ihre Prostituierung auf ein paar
— wenig
deutsche Mark rechnest, die vielleicht viele Kronen und
Brot bedeuten. Kein Erbarmen aber verdienen jene Direktoren,
die, des Dichters Not ausnutzend und derart den Namen eines
wirklichen Künstlers für eine unwissende Menge in den übel¬
riechenden Dreck zu den Pornographen schleifend, auf die nied¬
rigsten Instinkte eines stets lüsternen Publikums ihre schäbige
Spekulation aufbauen. Wer von ihnen will mir weismachen, daß
es sich hier um eine „literarische Notwendigkeit“ handele, diese
zehn Stimmungsgespräche, die das ante und post festum der
Liebe mit mehr oder weniger Grazie feiern und dabei das Psycho¬
logische mit dem Physiologischen oft recht feingliedrig verknüpfen,
Bild und Klang werden zu lassen? Diese Dialoge, in denen die
Pointe oder der dramatische Vorgang, wenn man so sagen darf,
— im Mittelpunkt des Erlebnisses steht, (einst¬
der — man begreift
weilen noch) zur Unsichtbarkeit verdammt ist, zur Realität zu
zwingen, aus der dichterischen Vision ins Körperliche zu über¬
tragen, heißt die Geistigkeit ihres Duftes zu plumper Handgreif¬
lichkeit erniedrigen. Nichts anderes. Und das allein wäre schon
unverzeihlich, wenn nicht noch ein schlimmeres ästhetisches Mo¬
ment dagegen spräche: die Langweiligkeit der Vorgänge. Zehn¬
mal erleben wir die Variation des einen Themas, zehnmal geht
die taktvolle kleine Lampe aus und muß die Pause markieren,
die im Buche die Gedankenstriche ersetzen, —
aber die Verschieden¬
heit von Bildern und Menschen kann nicht darüber hinweghelfen,
daß es doch nur zehn Wiederholungen eines Einmaligen sind, die
allgemach ermüden und, schließlich feinerer Reize bar, endlich sanft
einschläfern. Ob selbst überwache Sinne gefangen blieben?
Ich
weiß es nicht. Im allgemeinen schien sich leichtes Enttäuschtsein
auszubreiten, der erhoffte Kitzel blieb aus, und weder unmoralisch
angestachelt noch moralisch entrüstet ging die Mehrzahl nach Haus:
nun gelangweilt.
Tegung in Schelltund und in Oderschieften
Ob auch alles für eine kleine „Reigen"=Sensation geschehen
ist — als da sind: Berliner Gerichtsverhandlungen, Haftandrohung
gegen die Berliner Direktion, in Hamburg die Einführung mittels
einer aus geheimnisvollen Gründen „geschlossenen Vorstellung",
ja endlich das demonstrative Aushärgen einer Warnungstafel,
die, ein erhebendes Zeugnis für die Moral der Direktion Ziegel, nur
Jugendlichen über zwanzig Jahren den Zutritt gestattet, all das,
ürchte ich ist vergeblich gewesen. Auch die zum Teil sehr gelungene
Aufführung, die unter Paul Marx die delikate Aufgabe mit
künstlerischer Noblesse zu lösen suchte, konnte nicht den peinlichen
Eindruck verwischen, daß geschäftliche Spekulation sich hier am
alschen Objekt vergriffen hat. Daß auch die literaturfreundliche
Bühne immer mehr im Alkovendunst versinkt. Daß die pro¬
gressive Paralyse deutschen Kulturlebens immer bedrohlicher
wird.
Über Einzelleistungen zu sprechen ist kein Anlaß. Nur die
erfreuliche Wiederbegegnung der Anni Mewes verzeichne ich,
die ihrem Frauentum neue Brechungen, eine sehr willkommene
Bereicherung ihrer nicht sehr großen schauspielerischen Skala zu
verdanken hat. Und: daß ich die naturhaften Töne der Centa
Bré, als Schauspielerin, nicht vergessen werde.
Otto Schabbei.
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin, NO. 43, Georgenkirchplatz 21
Ugee
e Auuslcoe Ltee
Ort:
0
DatHamburg
Für den ernsten Menschen war das Gastspiel des
Hah#burger Kammerspiel=Ensembles im
Theater am Sophienblatt interessant. Wir
haen vor langen Jahren in der Sturm= und Drangperiode
des Lebens Arthur Schnitzlers „Reigen“ alle
(seien wir ehrlich!) verschlungen. Das Buch wanderte in
Studenten= und literarisch interessierten Kreisen von Hand
zu Hand. So fein und scharf beobachtet das Buch ist, so
wenig kann das Stück auf der Bühne befriedigen. Was
dort der Phantasie der beschwingten, vorbehalten bleibt,
muß hier brutal wirken und kann selbst bei Bühnen, wo
technische Hilfsmittel (Drehbühne!) lange
Umbaupausen
nötig machen, geradezu lähmend wirken.
Aber uns die
Bekanntschaft dieses hin= und hergezerrten Stückes in Kiel
vermittelt zu haben, verdient Beachtung, namentlich da es
der Direktion dieses Theaters gelungen war, die erste Gar¬
nitur der Hamburger Kammerspiele nach hier verpflichtet
zu haben. Besonders zu loben und hervorzuheben sind
Günther Bobrik (der junge Herr), Paul Marx
(der Gatte und Spielleitung), Marzella Halicz
(eine entzückende, junge Frau), und am besten und unge¬
künstelsten=Centa Brée (Schauspielerin) in unverwüst¬
licher Frische und mit drastischem, urgesundem Kumor die
gefährlichsten Klippen glücklich umsegelnd. Die Bühnen¬
bilder waren entzückend, die Pausen zu lang, der Besuch
ein glänzender.