II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 987

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11. Reigen
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„V. und Mittag

# dne Kamluatl
Mrtusensctnseahcnensentse
Mastchanstenenenenententcenenensesehese chele
Gedankenstrichtheater.
Zehn Variationen über das Thema: Omne animal tiste post
coitum. Der es abwandelt, guckt der Natur stillvergnügt und mit
Schüitzlers „Reigen“ in den Kammerspielen.
einer Frechheit, die jeden Kenner entzückt, ihre intimsten Geschäfts¬
In dem Gesinnungstheaterchen am Besenbinderhof ist man jetzt
kniffe ab. Merkt man es? Nicht der „Reigen“ ist der eigentliche,
beim „Reigen“ angelangt. Die Filiale des Gesinnungstheaterchens
bei allen Veränderungen der harmonischen Struktur melodische
das „Komödienhaus“ (der launige Titel ist der einzige Regieeinfall,
Auftrieb dieser Veränderungen, sondern die spöttische, konsequent
den man dort zu sehen bekam), hat „Zwangseinquartierung"; leider
durchgeführte Beobachtung, daß bei der körperlichen Geschlechts¬
nicht die Zwangseinquartierung, die von Rechts wegen hineingehört.
liebe das Weibchen vorher Königin und nachher Sklabin, das Männ¬
Auch das Theaterleben ist eine Rutschbahn. Auf den Ankündigungen
chen umgekehrt zuerst würdeloser Sklave und, sobald die Natur
der „Reigen"=Vorstellungen heißt es, daß Jugendlichen unter
ihren Zweck erreicht hat, brutaler Pascha ist. Irgendwie spekulativ
20 Jahren der Zutritt verboten ist. Den Portokassenkavalieren wird
ist diese Novelle in Dialogform nicht. Wohl aber kann man sagen,
es dabei heiß über den Rücken laufen. Der Reigen wird zum Kuh¬
daß die Absicht, diese Zwiegespräche mit verteilten Rollen und im
reigen, und der Wunsch, in diesen Kuhreigen hineingetreten zu sein,
Kostüm öffentlich vortragen zu lassen, eine Spekulation bedeutet.
wird in gewissen Kreisen durch das raffinierte Scheinverbot wahr¬
Nichts stilwidriger und von jedem künstlerischen Gesichtspunkt aus
scheinlich ebenso stark sein wie die Sehnsucht der Schweizer Söld¬
unnötiger, als eine Aufführung dieser kurzatmigen Szenen, in der
ner, wenn sie die verführerischen Tonfolgen jener Melodie ver¬
ganz im Gegensatz zur Unterhaltung mit dem Buche die Unwägbar¬
nahmen. Ein Teil der Damenwelt dürfte allerdings in einen
keiten erbarmungslos überdeutlicht werden oder unter die Rampe
Konflikt zwischen dem Bedürfnis nach sexualpsychologischem
An¬
fallen, das Unausgesprochene zur Zote, der Zwischenakt zur Haupt¬
schauungsunterricht und der natürlichen Abneigung gegen
jede
sache wird. Nichts stilloser und nichts langweiliger. Denn
Deutlichkeit in der Altersfrage geraten, dessen Ausgang
dem
auf der Bühne, wo das Stoffliche unangenehm und undelikat betont,
Kassenrapport fatal werden könnte. Aber noch ist nicht alles
ver¬
in den Vordergrund gestellt erscheint, wird die Einförmigkeit der
loren, und bei schlechtem Geschäftsgang kann ja die Altersgrenze
Dialoge, ihr Mangel an dramatischer Entwicklung, die bei der
herabgesetzt werden.
Lektüre keine Unzulänglichkeit bedeuten, zum peinlichen Mangel.
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Vollends bei einer Auführung, die von allen Geistern der Grazie,
Über diese Dialoge, deren Handlung und Höhepunkt bekanntlich
vom allen wienerischen Imponderabilien so verlassen ist wie die der
in der zehnmaligen Wiederkehr von Gedankenstrichen besteht, ist
Kammerspiele.
otrein.
anläßlich des Berliner Aufführungsverbots genug geredet worden
Sich darüber ausführlicher zu verbreiten, einerlei ob im zustimmen¬
den oder ablehnenden Sinne, hieße nur die Geschäfte der Theater¬
Wildgans Burgtheaterdiretlor.
direktoren besorgen, die den Ehrgeiz haben, ihre Darsteller auf den
(Drahtmeldung der H. N. am Mittaß.)
Gedankenstrich zu kommandieren. Der Berliner Staatsanwalt hat
* Wien, den 9. Januar.
das auf seine Weise getan, indem er den „Reigen“ für „objektiv
unzüchtig“ erklärte. Was er darunter versteht, mögen die Götter
Den Blättern zufolge steht die Ernennung des Dichters Anton
wissen. Scham ist im wesentlichen ein Gegenstand der Verein¬
Wildgans zum Direktor des Burgtheaters bevor. Der bisherige
barung, der Erziehung, und es gibt ja kaum etwas, was ver¬
Direktor, Albert Heine, bleibt dem Burgtheater als Darsteller und
schiedener auslegbar ist, weniger feststeht, als gerade der Begriff
Regisseur erhalten. Er hat das Burgtheater seit Juli 1918, also
der Scham. Stendhal erzählt, daß die Frauen auf Madagaskar
2½ Jahre geleitet.
ohne Bedenken das sehen lassen, was man hierzulande am meisten
vergirgt, aber vor Schande sterben, ehe sie ihren Arm zeigen. Wer
Eine „Akademie der Arbeit“.
das Straßenleben in romanischen Ländern kennt, weiß, daß dort
(Eigene Meldung der H. N. am Mittag.)
Verrichtungen ohne Heimlichkeit erfolgen, deren Zurschaustellung
bei uns ohne Zweifel verboten wäre. Man braucht aber gar nicht
D. Frankfurt a. M. den 10. Januar.
so weit zu gehen. Es bedarf keiner besonderen Beobachtungsgabe,
Sonnabend fand unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters
Voigi eine Sitzung in der Universität über die Gründung
daß die Dinge beispielsweise auf dem Lande anders bewertet und
der Akademie der Arbeit statt, an der der preußische
empfunden werden als in der Stadt, in den sozial höheren
Finanzminister, der Kultusminister, Vertreter des Reichsarbeits¬
Gesellschaftskreisen anders als in den niederen Volksschichten.
ministeriums, der Universität und der Gewerkschaften teilnahmen.
Die literarische Darstellung der körperlichen Liebe ist an und für
Grundsätzlich wurde von der Regierung der Standpunkt vertreten,
sich kein Verstoß gegen das Schamgefühl. Wer das so empfindet
daß die besondere Aufgabe der Akademie eine Ausbildungs¬
ist nicht zuständig, weil er über das Stoffliche hinaus kein Organ
zeit von vier Semestern verlange. Der Vertreter des
Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes Graßmann er¬
hat. Entscheidend ist, was hinter den Sinnenfälligkeiten steht,
klärte, daß er unter Vorbehalt der Zustimmung des Vorstandes
nämlich Gesinnung und Form. Und daß diese bei einem Dichter von
eines Bundes höchstens für eine Ausbildungszeit von drei
so betontem Taktgefühl, von so entwickelter Formzucht wie Schnitzler
Semestern eintteten könne. Es müßten auch die hauptsächlichsten
künstlerisch hochwertig sind, bedarf keines besonderen Plaidoyers.
Weltanschauungen auf dem Gebiete der Wirtschaftslehre durch be¬
Damit wird der Streit um den Charakter des „Reigen“ aber der
sondere Vertreter zu Worte kommen, was der Kultusminister zu¬
Kompetenz bürgerlicher Moralbegriffe überhaupt entzogen, und wer
sagte. Die weiteren Verhandlungen sollen in Berlin direkt zwischen
solchen literarischen Grenzfällen gegenüber nicht die nötige Distanz
dem Kultusministerium und den Vertretern der beteiligten Ge¬
werkschaften geführt und möglichst beschleunigt werden.
aufbringt, soll die Hände von dem Buch lassen oder meinetwegen
von ihm ferngehalten werden. Nur soll. man den Dichter nicht
mit diesem Nebenwerk verwechseln. Er hat die im „Reigen
Die lieben Fin.sterne.
behandelten Dinge, und den spielerischen Skeptizismus, die blasierte
(Eigene Meldung der H. N. am Mittag.)
psychologische Neugierde, zu denen er sich damals bekannte, vielleicht
X Berlin, den 10. Januar.
unter dem Einfluß französischer Vorbilder, vor fünfundzwanzig
Bei der Ufa vollzseht sich, wie der Tag meldet, eine restlose
Jahren einmal passiert und seither u. a. den „Jungen Medardus“,
Lubitsch und Pola
künstlerische Umgliederung.
den „Einsamen Weg“ und den „Weg ins Freie“ geschrieben. Dn
Negri haben bekanntlich Kontrakte mit einer amerikanischen Ge¬
„Reigen“ in den Vordergrund zu stellen, wie das von reklame¬
sellschaft abgeschlossen und Jannings geht zum Wörnerkonzern.
bedürftigen Geschäftsleuten jetzt geschieht, ist dasselbe, als wenn
Jetzt verläßt auch Henny Porten die Stätte, an der sie von
man Goethe als den Dichter des „Tagebuches“ oder Brahms als
Beginn ihrer Tätigkeit an gewirkt hat. Sie scheidet von der
Meßter=Union und gründet im Anschluß an „die Gloria eine
den Komponisten der „Ungarischen Tänze“ charakterisieren wollte.
Henny=Porten=Filmgesellschaft.
Charakteristisch ist das nämlich nur für diejenigen, die sich kein
Gewissen daraus machen, die Dinge so zu verschieben.
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