II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 988

11.
box 18/3
igen
Hamburger Kammersp ele.
Schuitzleneigen.
des „Reigen“
Die Zwangsausguchtietung
aus der Berliner Hochschus für Musik schien
seit Tagen — die Vernlung zu rechtferli¬

gen, es werde den „Kammezspielen“ durch diese
Dialoge etwas wie die Zwangseinquartierung
der Nachbarbühne beschert. Ein Schlager, eine
Sensation. Um so meyr, als men Jugendlichen
unter zwanzig Jahren den Eintritt verbot.
Naturlich aus Sorge um Seelenheil Jung¬
Hamburgs — nicht etwa###s Furcht, es moch¬
ten einige Greise ü becd zwanzig fortbleiben.
Das Ergebnis aber war: Lanzeweile. Die
Enttäuschung wurde von Bild zu Bild fühl¬
barer.
Im „Juatol“ gibt Schnigler koiete
Schwermut unds Seelisches. Das läßt er hier
beiseite uneschräntt sich auf Triebelei. Der
unsteroli#Hogarth hat zwei herühmte Stiche
geschaffen „Voryer" und „Nachyer“. Das stellt
Schnitzler dar. Der eigentliche Held ist der Ge¬
dankenstrich. Dirne, Soldat; Soldat, Stuben¬
mädchen; Stuvenmädchen, Junger Herr; Jun¬
ger Herr Junge Frau usw.; zum Scluß wie¬
der die Dirne. Die Welt gesehen aus Regionen,
Im Buch
die gewöhnlich zugedeckt bleiden.
sehr vergnüglich zu lesen. Ein seltener Fall
in Deutschland: die romanischen Vorbilder sind
weit übertroffen. Wie ekelhaft lesen sich die
deutschen Nachbildungen des Dekamarone. Um
so ekelhafter, als die Valentin Schumann,
Lindner usw. ihre üblen Produkte mit einem
dem das
moralischen Mäntelchen behängen,
literarische so mancher modernen Zote ebenso
unwürdig zur Seite steht. Schnitzlers dialo¬
gische Novelle ist, was die Eleganz der Plau¬
derei, die Gedrängtheit der Causerie anlangt,
über das unmittelbare französische Vorbild der
Jeanne Marni. hinausgelangt. Es ist bestes
Feuilleton.
Aber es gehört nicht auf die Bühne. Nicht weil
es mehr eine Novelle als dramalische Aktien ist.
Das gilt auch vom „Anatol“. Und der ist noch
heute wirksam. Außerdem müßte man dann die
halbe Moderne oder mehr von der Bühne
verbannen. Sie ist zwar nicht Dialog aber
gefährlicher — Monolog. Der „Reigen“ ist der
Bühne deshalb verboten, weil er nicht barstell¬
bar ist. Und wenn's unternommen wird
verlangt die Dezenz Milderung, Verschiebung,
Verwischung.
Dann wird's eben langweilig,
ein Reigen für höhere Töchter.
In den „Kammerspielen“ traf die Mehrzahl
der Darsteller überdies am Stil des eleganten
Feuilletons, an der Pointe des einzelnen Dia¬
logs vorbei. Eine Ausnahme machten nur
Frau Horwitz als junge Frau und turm¬
hoch über allen, Centa Bré als Schauspie¬
lerin. Das war saftigste Wahrhaftigkeit, das
Weib an sich. Hier schmunzelte man zum
ersten Male vergnüglich. Frau Bres Leistung
war um so anerkennenswerte als ihr Partner,
Herr Gynt, in Prag anstatt in Wien angesie¬
delt war. Er gab wieder einmal Bitterlich und
nicht Biebitz. Leider war auch Anni Mewes,
die man extra aus Berlin herbeibemüht hatte,
sehr bitterlich und gar kein süßes Mädel. Herr
Beneckendorf hatte so viel Mühe, seinen
Grafen auf das ihm wenig liegende Wiene¬
rische anzulegen, daß er nicht recht zur Entfal¬
tung kam und die innere Pointe verfehlte.
Genau so wenig wie man den Dekamarone
in einer Volksversammlung vorlesen wird, ge¬
nau so wenig gehört der „Reigen“ ins Theater.
Mag er in Berlin dazu dienen, die sensations¬
lüsterne Masse vor Schlimmerem zu bewahren:
in Hamburg haben wir noch teine verrotter¬
ten Zustände. Gerade das heutige Publikum
wird hier durch Klassiker=Aufführungen ebenso
sehr zum Besuch des Theaters veranlaßt wie
durch spekulative Sensationchen, die in Wahr¬
heit keine sind. Die Kunst geht nach Brot, ge¬
wiß, heute sogar nach Kuchen und Automo¬
bilen. Keinem Direktor wird man verdenken,
daß er Geschäfte machen will. Aber es geht
M. W.
wirklich auf edlere Weise.

—.—
Se..
Schnitzlers „Reigen“

in den Kammersvielen.
ist zwanzig Jahre
720
Die neueste Novität der Kammerspiele
aht. Wer's bisher noch nicht gewußt hat, daß die Buchausgabe
dieser absonderlichen sexual=psychologischen Dialog=Reihe schon
so ehrwürdig ist, hat es am Sonnabend vor der Erstaufführung
n der neuen großen täglichen Literaturzeitung des „Covrespon¬
denten“ lesen können.
Damals, vor bald zwanzig Jahren, habe ich auch einmal das
Buch besessen und meine Freude gehabt an den feinen, pikanten
Essays des Arzt=Dichters. Aber: habent sua fata libelli,
solche Bücher kann man gewöhnlich nicht lange sein eigen
nennen; man muß sie zu oft „verpumpen“; schließlich auf
Nimmerwiedersehen; also ist auch der „Reigen“ aus meinen
Bücherschrank verschwunden; lange schon; wie so manches Aehn¬
Valete!
liche.
Also eine zwanzig Jahre alte Novität! Und doch — als
— wirklich und wahrhaftig eine tatsächliche Novität
Bühn nstück
Denn im Theater war der „Reigen“ bisher niemals zu sehen.
Einfach weil er nicht für die Bühne geschrieben ist. Die drama¬
tische Form dieser Studien ist Zufall. Valuta=Nöte ihres Ver¬
fassers haben zur Freigabe für die Aufführung geführt. Und
unsere Zeiten von heute sind — nicht für das psychologisch Feine,
Aesthetische in den Dialogen —, sondern für den Reiz der Pikan¬
terie (der Kollege im „Correspondenten“ sagt drastischer:
Cochonnerie) besonders rezeptiv veranlagt. Und darum wird
die literarische Bühne Hamburgs“ mit dieser literarischen
Trüffel ihr gutes Geschäftchen machen, einerlei, ob man das
Herausbringen des „Reigen“ als literarische Tat oder als eine
Spekulation auf das Cochon im Menschen betrachten will.
Darum also sei nicht gestritten. Am Ende machte es doch
gewissen Spaß, die niedlich schlüpferige Erinnerung, die man
an die Lektüre von vor zwanzig Jahren hatte, im farbigen
Kreisrund des Bühnenausschnittes an Gestalten von Fleisch und
Blut (tatsächlich nur Fleisch und nur Blut!) sich wieder auf¬
Schnitzler recht
frischen zu sehen. Aber da merkte man doch, daß
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gehabt hat, wenn er den „Reigen“ bisher von der Bühne fern
verfinnlicht
gehalten hatte. Die lebendige Plastik vergröbert
und verpatzt so viel, was bei der Lektüre den Reiz des Unaus¬
Gedachten hatte, daß schließlich der
gesprochenen, Geahnten,
Eindruck bleibt: schade um die Arbeit! Um Schnitzlers Arbeit
und um die Arbeit der Künstler!
Denn die Arbeit der Künstler war gut. Dirne. Soldat,
Stubenmädchen, junger Herr, junge Frau, Gatte süßes Mädel¬
Dichter (dieser vielleicht am wenigsten), Schauspielerin und Graf
standen, spielten, lebten und liebten in dem runden Rahmen
gerade so, wie sie's in der Natur getan hätten: heiß und be¬
gehrend, lyrisch und frivol, hungrig und — satt. Der Theater¬
zettel zeigt wer die Jünger im Reigen waren, denen mein Kom¬
eiment gilt. Viele werden sie tanzen sehen. — allzuviele. ..—
—.—
Die Wiener Betriebsräte gegen Reinhar###
ai ahnoreift nachhen¬