II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 989

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11. Reigen
„Reigen“ in den Kammerspielen.
Der junge Schnitzter schrieb zehn Dialoge aus
allerlei Gassen=Mansarden= und Bourgeisliebe her¬
aus. Nannte sie, weil sie einer lose verbundenen
ge¬
Kette gleichen: Reigen. Es sind erotisch stark
hin
würzte kurze Feuilletons, leise zum Lustspiel
In
geschürzt, sozusagen: Boccaccio auf der Bühne.
Hand
all der reizenden Frechheit blättert eine nervose
Feine
hier ein elegisches Blatt nach dem andern um.
Erkenntnisse, Bekenntnisse bergen sich scheu hinter
den offenherzigsten Frivolitäten. Das geistige Spiel
graziöser Dialoge entwaffnet die Lüsternheit mancher
Situation, die so wie sie ist nur an der Donau gedacht
nur in der weichen Wiener Atmosphäre geschrieben wer¬
den konnte. Man glaubt diese zehn samos perlenden
ge¬
Abenteuerchen alle einzeln einmal als Lustsviele
sehen zu haben, so typisch sind sie für den Einzelfall.
und
Es entsteht so ein Balzac in Taschenbuchformat
Ein
mit Parfüm zwischen den seidedünnen Blättern.
Wiener Mensch mit weichem Velourshut über träu¬
mend=klugen Augen: Arthur Schnitzler, schrieb es:
ein Wiener, den es immerdar gelüstete nach kulti
viertem Europäertum, das sehr viel weiß, liebt, kennt
aber mit jenem Allzuviel an bummelig=österreichischer
Wehmut dem Geist der südlichen Metropole nie ganz
entrinnt. Nicht daß Schnitzler, betrachtet man sein
ganzes Werk, Problemen auswiche, nein; aber er
hält Nüancen, Gedanken, Sarkasmen, Erkenntnisse oft
gar lange in der warmen Hand, bis der frische Strauß
ansängt, welk zu werden, der Duft sich schwer um die
Ver¬

Sinne legt. Und Elegie bleibt. Müdigkeit.
chwingende Schwermut selbst im Taumel: Wien.
Der „Reigen“ ist alt. Schnitzler hat seine Auf¬
führung nie gewollt. Bis in jüngste Zeit. Das ver¬
sinkende Oesterreich braucht Geld, und nicht zuletzt

seine Dichter verarmen. Da versteht man
Aufführung
mit Unrecht wurde die
Doch
zu
in Berlin, am „Kleinen Schauspielhaus
einem, allerdings schnell wieder eingeschlase¬
nen Skandal gebauscht. Ein kleines er#tisches Feuer
— und dieser Qualm drum herum! Noch kleinere
CWE
Bühnen bringen Schlimmeres, Schmutzigeres, auch
größere Institute spritzen Wiener und Berliner Zwei¬
deutigkeiten, Schleimdeutigkeiten aus, und kein
Mensch macht dagegen Radau. Was anständig wäre.
Tuts ein Keitiker einmal, wissen die Theater gar oft
hübsche Mittelchen, dem schreibenden Pechvogel die
dünne Stange, von der er piepsen darf, abzusägen.
Schnitzlers Dialoge können heute keinem Back¬
fisch mehr ein Erröten anheizen, sie sind welt= und
weibkennerisch genug, sind, wenn dezent gegeben,
reinliche Blicke von höherer Warte über Dinge, die
immer spielen. Also nie unmoralisch. Was sich von
selbst versteht.
Wir sahen beide Aufführungen an den Kammer¬
spielen: die erste am Silvesterabend, die zweite am
Sonnabend, und fanden, daß diese ein sehr, sehr
matter Abklatsch der ersten war. Wieviel liebe Laune
schäumte am letzten Jahrestag aus jedem der zehr
literarischen Sektgläser, die am Sonnabend noch ein¬
mal, halb schal, halb leer, vorbeigetragen wurden!
Lag es am Publikum? Spürten die zu Silvester
geladenen Gäste liebenolleren Kontakt mit der Bühne
und gaben den die Schauspieler dankbarer zurück
als die wohl sensationslüsterne Neugier der Gäst¬
des zweiten Abends es verdient hätte? Jedenfalle
halten wir uns in der Kritik an die erste Aufführung:
als verschmitzt=erotische Absicht ging vor jedem Bild
Aus¬
in schmaler Spalt auf, der sich zu kreisrundem
(vor
schnitt erweiterte. Fast jedes der Bühnenbilder
zwar
Johannes Schröder) trug, völlig unsklavisch,
Lendecke=Stil, Lendecke=Lichter, die leise nach Bieder¬
meier hinüberhuschten. Viel Kultur. Viel Falten¬
rauch in den Vorhängen, gedämpft, intim. — Das
Spiel: Anni Mewes, ganz einfach, lieb, glücklich
und auf weibhaft echte Art früh verlogen, gab das
„süße Mädel“ mit jener Anmut, die im Leib stecken
und nie ihm von außen aufgeputzt werden kann
Das grobe Mannsweib, mit dem Centa Bré die
Schauspielerin“ begabte, war auf ihre Art ebenso
echt, eine reise Leistung von robuster Sicherheit und
allerhand Selbstverleugnung. Mirjam Horwitz
war daneben als „junge Frau“ pikanter, doch ein
bißchen scheu. Die Rolle verträgt schärferen Eingriff.
WWU
Als ihren Gegenspieler hätte ich hier allerdings lieber
Erich Ziegel gesehen. Paul Marx vermochte
icht den rechten Mitschwung aufzubringen. Franz
Sondinger als „junger Herr übertrieb meines
Erachtens die Wiener Nervosität dieser Rolle etwas.
Else Kündiger als Dirne war im ersten Bild
von grausam kalter Echtheit, im letzten milder ver¬
söhnender. Olga v. Mahr ist in diesem Enfemble
noch nicht recht zur Reife gediehen, Arthur Beder
als Soldat war recht festhändig, doch schürfte er die
Rolle nur in dieser Richtung aus. Der Graf Woif
Benekendorffs hätte ruhig präziser zur Gro¬
teske hinneigen dürfen. Walter Gynt gab einen
nach meinem Empfinden toohl allzu weichen jungen
Dichter, doch 's ist halt Wien..
Und Wiener Walzer schwangen in den Pausen
ich von Spiel zu Spiel. Bei bester Laune des
Publikums war der Beifall groß Am zweiten Abend
konnten Hunderte keine Karten mehr bekommen.
L. B.
Altonaer Stadttheater. Die Reise in die Mädchen¬
zeit. Lustspiel von Alex Engel und Hans Saßmann.
Gewöhnlich spricht man von einer Tragödis der un¬
verstandenen Frau. Die boden Verfasser aher haben
eine lustige Komödie aus diesem Stoff gemacht
Gleich drei Ehepaare auf einmal werden uns vorge¬
führt, in denen die Ehefrauen sich unverstanden und
ungewürdigt fühlen, darin zwei, die erst seit acht
Monate verheiratet sind, wäbrend im dritten Falle
das Unverstandensein schon siebenundzwanzig Jahre
mit Gleichmut und Anstand ertragen wird. Ein
dunkler seelischer Erdenrest bleibt aber noch übrig in
den drei Ehen, der nicht aufgehellt wird. Denn man
erwartet brennend von Akt zu Akt eine Aufklärung
über die tieferen Ursachen der gegenseitigen Mißver
tändnisse. Aber jede bestimmte Erörterung darüber
wird von den Versassern sorgfältig im Keime erstickt
Durch diesen Kunstgriff gelingt es ihnen, die Er¬
wartung des Zuschauers b's zum Schluß in Span¬
nung zu erhalten. Der fallende Vorhana schneidet alle
weiteren Fragen ab. Mit echt wienerischer Leichtig¬