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Trieb und nach seiner Erledigung?
Wie ein anderer Experimentator Kaninchen, Meerschwein¬
chen oder Frösche, holt Schnitzler seine Menschenpaare nachein¬
ander auf den Experimentiertisch und untersucht sie, eins nach
dem andern, auf Grund der psycho=analytischen Methode. Das
Ergebnis der zehn Experimente ist gleichmäßig folgendes: der
Mann ist erst begehrlich, die Frau zurückhaltend —
die Frau ist
nachher zärtlich, der Mann verstimmt. Die Psycho=Analyse
Schnitzlers kann also auch nicht, anderes konstatieren als den
physiologisch=psychischen Rückschlag, über den sich schon der alte
Galenus im klaren war.
Erhebend sind diese Dialoge nicht, und lustig sind sie erst
recht nicht, geschweige denn frivol. Eher melancholisch, wie es
die Anschauung Schnitzlers überhaupt ist. Von geistiger Liebe,
von ewiger Liebe kann bei ihm nicht die Rede sein: zwischen den
Geschlechtern gibt es nur eine Beziehungsmöglichkeit, den Trieb
der Sexualität, der aufflammt und wieder verglimmt, heut hier¬
hin, morgen dorthin sich wendet, der keine wahre Leidenschaft
kennt und zu keiner wahren Orgie die Kraft hat, der flüchtig
ist, aber kein Spiel. Oder doch ein Spiel, aber ein trauriges,
klägliches, eine Mischung, trübselig und grauenhaft. Dr. Theo¬
dor Reik, im Anschluß an den diese Ausführungen gemacht
sind, hat in seinem Buch „Arthur Schnitzler als Psycho¬
log“ (Minden, I. C. Bruns) darüber Ausführliches und durch¬
weg Zutreffendes gesagt.
Im ersten Dialog raunt die Dirne dem Soldaten zu: „Gib
Obacht! Wennst ausrutschst, liegst in der Donau,“ worauf dieser
brummig erwidert: „Wär' eh das beste!“ Lebensunfreudig,
lebensunkräftig, wie dieses Wort, sind dieGestalten der „Reigen“=
Dialoge durchweg, völlig beherrscht von dumpfen Trieben, unfrei
unfähig zu selbständigem, gewolltem Auf= und Ausbruch. Reik hat
ganz recht, wenn er aus diesem Venus=Reigen das unheil¬
drohende Motiv des Danse Macabre, des Totentanzes,
heraushört.
Zehn sexualpsychologische Experimente hat Schnitzler ge¬
macht. Den Bericht darüber hat er in Dialoz=Form gegeben.
Daß diese Dialoge jemals auf die Bühne kommen sollten, war
richt seine Absicht. Sie haben vom und fürs Theater so wenig,
wie etwa die Dialoge Platos. Ginge durch sie eine Figur hin¬
durch, die in mehreren Verhältnissen gezeigt würde dann ließe
sich vielleicht eher darüber reden. Solche Art des Reigens liebt
Schnitzler ja aufzuzeigen. So in den Anatolszenen. So in der
Novelle vom „Freiherrn von Leisenbogh“, wo Kläre erst nach
verschiedenen anderen Liebesstationen den Freiherrn erhört. So
in der kecken Novelle „Erzentrik“, wo Kittv ihrem August erst
s Hamburgischen Correspönckeme
Für die Redaktion veranfwortlich Dr. Carl Müller-Roftati
mit dem kleinen Scheusal Little Pluck untreu wird dann mit
den Two Darlings und schließlich mit der ganzen siebenlöpfigen
Osmond=Truppe. Dieser Reigen, auf die Bühne übertragen,
wäre ein Fest für die Trüffel=Sucher: wenn schon, denn schon.
Aber die zehn Gespräche, die ohne einen anderen Zusammenhang
sind, als daß in jedem mit mathematischer Pünkllichkeit derselbe
Akt vollzogen wird, gehören ganz gewiß nicht auf die Bühne.
Das war bis jetzt so sehr Schnitzlers eigene Meinung, daß
er zwanzig Jahre lang jede Aufführung energisch untersagt hat.
Er wußte, warum. Wer sich für den „Reigen“ als Kunstwerk
interessierte, der konnte ihn lesen, denn dafür war er ja ge¬
schrieben. Wer diese Dialoge im Rampenlicht von lebendigen
Menschen gesprochen haben will, der tut dem Dichter keinen Ge¬
fallen und lenkt die Aufmerksamkeit vom Geistigen des Werks
auf das grob Stoffliche, grob Sinnliche über. Die Not, die auf
Oesterreich lastet, soll Schnitzler jetzt veranlaßt haben, in die
Aufführung dieser Dialoge trotz allem zu willigen.
Die Not, in der sich unsere Theaterkassen befinden, veranlaßt
die Theaterleiter, von dieser Einwilligung Gebrauch zu machen.
Sie entwürdigen das ernste Werk eines Dichters, indem sie es
zur Lockspeise für ein Publikum machen, das nur dann die ge¬
pfefferten Eintrittspreise bezahlt, wenn ihm entsprechend ge¬
pfefferte Kost geboten wird. Ob ihre Rechnung stimmen, ob nicht
vielmehr das Publikum, auf das sie spekulieren, sehr enttäuscht
sein wird, mag dahingestellt bleiben. Im Dienst der sittlichen
Erneuerung sind die Reigen=Aufführungen jedenfalls nicht. Wir
brauchten Selbstbesinnung und Aufschwung, aber nicht die Ver¬
kündigung der falschen Lehre vom unfreien. triebbedingten
Leben. Wir müssen heraus aus diesem elenden Hin und Her
zwischen kläglichem Jammern und toller Vergnügungssucht, aus
diesem Tanz auf Trümmern, aus dem man deutlicher noch, als
aus Schnitzlers Venus=Reigen das unheildrohende Motiv des
Totentanzes heraushört.
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Trieb und nach seiner Erledigung?
Wie ein anderer Experimentator Kaninchen, Meerschwein¬
chen oder Frösche, holt Schnitzler seine Menschenpaare nachein¬
ander auf den Experimentiertisch und untersucht sie, eins nach
dem andern, auf Grund der psycho=analytischen Methode. Das
Ergebnis der zehn Experimente ist gleichmäßig folgendes: der
Mann ist erst begehrlich, die Frau zurückhaltend —
die Frau ist
nachher zärtlich, der Mann verstimmt. Die Psycho=Analyse
Schnitzlers kann also auch nicht, anderes konstatieren als den
physiologisch=psychischen Rückschlag, über den sich schon der alte
Galenus im klaren war.
Erhebend sind diese Dialoge nicht, und lustig sind sie erst
recht nicht, geschweige denn frivol. Eher melancholisch, wie es
die Anschauung Schnitzlers überhaupt ist. Von geistiger Liebe,
von ewiger Liebe kann bei ihm nicht die Rede sein: zwischen den
Geschlechtern gibt es nur eine Beziehungsmöglichkeit, den Trieb
der Sexualität, der aufflammt und wieder verglimmt, heut hier¬
hin, morgen dorthin sich wendet, der keine wahre Leidenschaft
kennt und zu keiner wahren Orgie die Kraft hat, der flüchtig
ist, aber kein Spiel. Oder doch ein Spiel, aber ein trauriges,
klägliches, eine Mischung, trübselig und grauenhaft. Dr. Theo¬
dor Reik, im Anschluß an den diese Ausführungen gemacht
sind, hat in seinem Buch „Arthur Schnitzler als Psycho¬
log“ (Minden, I. C. Bruns) darüber Ausführliches und durch¬
weg Zutreffendes gesagt.
Im ersten Dialog raunt die Dirne dem Soldaten zu: „Gib
Obacht! Wennst ausrutschst, liegst in der Donau,“ worauf dieser
brummig erwidert: „Wär' eh das beste!“ Lebensunfreudig,
lebensunkräftig, wie dieses Wort, sind dieGestalten der „Reigen“=
Dialoge durchweg, völlig beherrscht von dumpfen Trieben, unfrei
unfähig zu selbständigem, gewolltem Auf= und Ausbruch. Reik hat
ganz recht, wenn er aus diesem Venus=Reigen das unheil¬
drohende Motiv des Danse Macabre, des Totentanzes,
heraushört.
Zehn sexualpsychologische Experimente hat Schnitzler ge¬
macht. Den Bericht darüber hat er in Dialoz=Form gegeben.
Daß diese Dialoge jemals auf die Bühne kommen sollten, war
richt seine Absicht. Sie haben vom und fürs Theater so wenig,
wie etwa die Dialoge Platos. Ginge durch sie eine Figur hin¬
durch, die in mehreren Verhältnissen gezeigt würde dann ließe
sich vielleicht eher darüber reden. Solche Art des Reigens liebt
Schnitzler ja aufzuzeigen. So in den Anatolszenen. So in der
Novelle vom „Freiherrn von Leisenbogh“, wo Kläre erst nach
verschiedenen anderen Liebesstationen den Freiherrn erhört. So
in der kecken Novelle „Erzentrik“, wo Kittv ihrem August erst
s Hamburgischen Correspönckeme
Für die Redaktion veranfwortlich Dr. Carl Müller-Roftati
mit dem kleinen Scheusal Little Pluck untreu wird dann mit
den Two Darlings und schließlich mit der ganzen siebenlöpfigen
Osmond=Truppe. Dieser Reigen, auf die Bühne übertragen,
wäre ein Fest für die Trüffel=Sucher: wenn schon, denn schon.
Aber die zehn Gespräche, die ohne einen anderen Zusammenhang
sind, als daß in jedem mit mathematischer Pünkllichkeit derselbe
Akt vollzogen wird, gehören ganz gewiß nicht auf die Bühne.
Das war bis jetzt so sehr Schnitzlers eigene Meinung, daß
er zwanzig Jahre lang jede Aufführung energisch untersagt hat.
Er wußte, warum. Wer sich für den „Reigen“ als Kunstwerk
interessierte, der konnte ihn lesen, denn dafür war er ja ge¬
schrieben. Wer diese Dialoge im Rampenlicht von lebendigen
Menschen gesprochen haben will, der tut dem Dichter keinen Ge¬
fallen und lenkt die Aufmerksamkeit vom Geistigen des Werks
auf das grob Stoffliche, grob Sinnliche über. Die Not, die auf
Oesterreich lastet, soll Schnitzler jetzt veranlaßt haben, in die
Aufführung dieser Dialoge trotz allem zu willigen.
Die Not, in der sich unsere Theaterkassen befinden, veranlaßt
die Theaterleiter, von dieser Einwilligung Gebrauch zu machen.
Sie entwürdigen das ernste Werk eines Dichters, indem sie es
zur Lockspeise für ein Publikum machen, das nur dann die ge¬
pfefferten Eintrittspreise bezahlt, wenn ihm entsprechend ge¬
pfefferte Kost geboten wird. Ob ihre Rechnung stimmen, ob nicht
vielmehr das Publikum, auf das sie spekulieren, sehr enttäuscht
sein wird, mag dahingestellt bleiben. Im Dienst der sittlichen
Erneuerung sind die Reigen=Aufführungen jedenfalls nicht. Wir
brauchten Selbstbesinnung und Aufschwung, aber nicht die Ver¬
kündigung der falschen Lehre vom unfreien. triebbedingten
Leben. Wir müssen heraus aus diesem elenden Hin und Her
zwischen kläglichem Jammern und toller Vergnügungssucht, aus
diesem Tanz auf Trümmern, aus dem man deutlicher noch, als
aus Schnitzlers Venus=Reigen das unheildrohende Motiv des
Totentanzes heraushört.
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