II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 999

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Reigen
o.
Ansprüche gegen Deutschland. Wenn Amerika und
England sich überhaupt dazu verstehen, auf ihre An¬
Schwerer, als dankbar zu sein, ist es, die Ansprüche
iuf Dank nicht zu übertreiben.
Hebbel.
Reigen.
Zehn Dialoge von Artur Schnitzler.
(Erstaufführung im Schauspielhaus am 22. Januar.)
Da sitze ich nun und komme mir, ich weiß nicht wie,
vor; denn ich habe am Samstag abend als ganz selbst
verständlich vorausgesetzt, daß es unbedingt einen Riesen¬
skandal geben werde, nein; geben müsse. Und, weshalb
soll ich es nicht sagen: ich war gar nicht gut zu sprechen
ruf die Schauspielhausdirektion, weil sie es unternahm
nun auch nach Berlin und Wien Schnitzlers Reigen¬
Dialoge aufzuführen. Ich war fast wütend auf sie. Wen
sie alles zu hören bekommen hätte, was ich so bei mir auf
sie geschimpft habe, sie wäre wahrscheinlich nicht über¬
mäßig erfreut gewesen. Ich glaubte übrigens auch meine
guten Gründe zu haben, so aufgebracht zu sein. Es soll
gleich noch davon die Rede sein.
Und jetzt — ist alles das zerstoben und wie vom Wind
weggeweht; de n es hat keinen Skandal gegeben. Auch
nicht den kleinn. Die Situation war den ganzen Abent
über nicht einen Augenblick irgendwie gefährdet. Man
nahm die ersten Szenen schweigend hin. Als aber in der
vierten oder fünften die Nicoletti, die zur allgemeinen
Ueberraschung plötzlich wieder im Personenverzeichnis des
Schauspielhauses erschienen ist, in ihrer alten Weise ein
süßes Mädel wirklich sehr süß und lieb spielte, da gab es
kräftigen Beifall, der dann auch den folgenden Szenen bis
zum Schluß treublieb. Und man ging mit dem Gefühl
einen amüsanten Abend verlebt zu haben, aber durchaus
gicht irgend etwas besonders Aufregendes. Jedenfall¬
düre der Vergleich mit Wedekinds „Büchse der Pandora
gänglich verfehlt; denn hier ist es die nüchterne Tatsächlich¬
keit all des Widerwärtigen, die aufreizt und einen immn
wieder zu lautem. leidenschaftlichem Protest gegen die
öffentliche Entleerung dieser üblen Büchse zwingt. Aber
in den Reigenszenen Schnitzlers, in denen immer nur das
Natürliche, nie das Perverse oder Schlechthin=Gemeine ge¬
schieht, entwaffnet der Ton, mit dem über diese Dinge als
über Selbstverständlichkeiten, die im Grunde gar nicht so
wichtig sind, hinweggegangen wird. Das Erotische ist wohl
entral= und Ausstrahlungspunkt jeder Szene, aber das
T00e
.Durst, wenn man
den Beweggrund des privaten Vorteils den Unter
nehmern wegnehmen würde. Reichtum sei kein greif
Avant und das Aprés, die Psycholegie der Liebestechni
(Eroberung und „Abbau"), ist das Wichtigere und Wesent
liche. Und vor allem: es ist der Humor, der wärmende,
entwaffnende Wiener Humor, der sich wie ein Mantel
über alle Blößen legt und uns vergessen läßt, daß unte
dieser Hülle Dinge kaum verborgen sind, die das heile
Rampenlicht und die Blicke zahlreicher Zuschauer nicht er¬
tragen. (Es läßt sich gar nicht ausdenken, wie dieser
Reigen“ geworden wäre, wenn ihn ein Berliner ge¬
schrieben hätte!
Aber ist es denn nicht gerade die Erkenntnis von dieser
feinen, diffizilen Stuktur der Reigendialoge gewesen, die
unseren Widerstand gegen jede Realisierung auf der
Bühne wachgerufen hat? Sicher war es so. Wir haben
nicht anders geglaubt, als daß es absolut unmöglich sein
werde, diese Szenen ohne Zerstörung ihres Wesentliche
n die Wirklichkeit zu übertragen. Denn, so kalkulierten
vir: den oben angedeuteten Zentralpunkt jeder Szen
müsse man notgedrungen als undarstellbar vollständig
ausschalten; dann aber hätte das Avant und das Aprös
keinen Sinn mehr, da ihm ja die unentbehrliche psycho¬
ogisché Grundlage fehle. Also müsse man gegen eine
Aufführung schon im Interesse des Dichters protestieren
denn die (bereits 1896/97 geschriebenen) Dialoge, in dene
die letzten Konsequenzen des Anatolthemas gezogen sind
gehören immerhin zu dem besten, was wir von Schnitzler
haben. Und das wollten wir, auch in Erinnerung an eine
Münchener Aufführung der Szenen vor etwa zwanzi
Jahren, der als fatales Nachspiel die Auflösung des Akade¬
misch=Dramatischen Vereins gefolgt war, nicht gerne noch
einmal angetastet und entstellt sehen.
So also haben wir kalkuliert und. gerechnet. Aber die
Rechnung war falsch. Und woran liegt das nun? Die Ant
wort ist einfach: es hat jemand diese Szenen, ohne ihren
Grundcharakter irgendwie zu verändern, noch einma
eigens für die Bühne gedichtet. Dieser jemand aber ist
liemand anderer als die Regie. Oder sagen wir es gleich
Frau Körner. Ich kann natürlich, da ich die aus¬
wärtigen Aufführungen nicht kenne, nicht sagen, wievie
von dieser Regielat geistiges Eigentum der Frau Körner
ist. Aber selbst angenommen, es wäre alles nur Kopie:
die Leistung an sich bleiht diselbe. Ihr Verdienst aber ist.
kurz gesagt: alles Crotische ist so behandelt, daß es, ohn
Zeit zu haben, irgendwie erregend zu wirken, rasch vor¬
ungefahr .
getreide ausgewiesen werden, der
fuhrbedarf an Futtergetreid
übergeht. Es tut, im dramatischen
keit, weiter nichts. (Rein technisch
durch jedesmalige Verdunkelung
Augenblicke und durch die Mitwirkun#e
wirkt, der immer nur hann sichtbe#wil
darstellbare verdeckt werden soll.) Das
wird auf den Humor der Sache und ##
beschwertheit der Darstellung und des D
Man ist sich in jedem Augenblick n
Ironisierung aller dieser von vielen so
genommenen Dinge durch den witzigen
bewußt. Das rein Erotische ist schon
Szenen fast vergessen, und man freut sie
n den gewagtesten Momenten nur noch
Anmut und der wienerischen, zuweilen
talen Grazie, mit der hier Typen aus a
Gesellschaft gleich Marionetten an Schnü
den. Alles das aber ist fast ausschließli
Regie, die sich in diesem Fall wirflich ein
Nachschöpfe#n bewehrt hat. Sie hat
Scheinende möglich gemacht und uns di
chon zu schleudern gesonnen waren, m
aus den Händen gewunden. Und es hätte
aß wir zum Schluß Lust verspürt he
Steine Vlumen auf die Bühne zu werfe
Die zehn Darsteller — die Dame
Bertram, Tiedemann, Nicole
die Herren Weydner, Götz, Schar
brück, Günther — hätten sicherlich
spenden verdient; denn sie haben ohne
Sache gans reizend gemacht, jedes in
Weise und alle zusammen als gehorsame
mit Tackl formenden Regiewillens.
nicht jede Leistung einzeln analysiren kan
Aufgabe, die sich lohnte.
Das wäre also, was ich über diesen
habe. Es ist ganz anders ausgefallen, als
Jedoch: die Wahrheit verlangt es so.
wie nichts, worüber man „von amtswege
müßte, wenn man auch nicht gerade wü
ie heranwachsende Jugend sich diese Sze
ansieht. Aber das ist nicht entscheidend.
etwa noch vorwerfen möchte, ich hätte mic