II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1011

11.
Reigen
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Menschenleibern noch die abnormale Erwärmung des bloßen Neben¬
einander bestehen kann wie einst, bleibe dahingestellt. Damals,
vor achtzehn Jahren, als Schnitzlers heimlich gedrucktes Buch
öffentliches Aufsehen erregte, hat es Derartiges ganz stark und
unzweifelhaft gegeben. Fragen, die man in Norddeutschland etwa
nie zu berühren gewagt hätte (wo es doch geschah, fiel mit der
brutalen Eindeutigkeit der Antwort auch die Frage in sich zu¬
sammen!), waren in jener über den geographischen Breitenunter¬
schied hinaus südlicheren Atmosphäre restlos, selbstverständlich
zu klären. Die laue wiener Luft, die ein gut Teil Arbeitskraft
und Schaffensdrang in dieser Stadt von jeher lahmgelegt hat, ge¬
währleistet geradezu in diesem einen Punkt etwas wie Tradition,
Sendung, Priesteramt — Größe. In diesem Eldorado der Sinnen¬
liebe scheint, aller zeitlichen Grenzen spottend, die elementare
kulthafte Naturgebundenheit der Antike weiterzubestehen. Und
darum ist gerade in diesem Punkte Mitteleuropas für eine an sich
temperamentlosere Rasse die authentische Möglichkeit geboten, die
Seelenzustände des diskretesten Moments, ganz unabgelenkt, ohne
sentimentalische Beschönigungsversuche oder satirische Pseudo¬
Uberlegenheit zu prüfen. Es ist sehr bezeichnend, daß Schnitzler
der alle Regungen, die man als „wienerisch zusammenfaßt, bis in
ihre feinsten Verästelungen kennt, ein im ästhetischen Sinne
einigermaßen schiefes Werk schuf, als er das echte unverfälschte
Milieu seines Anatol verließ, um in Liebelei das erotische
Problem zur Tragik zu steigern. Diese „Christin“, die an
ihrer blinden Liebe zugrunde geht, ist in dem Augenblick, da der
Dichter die Binde von ihren Augen sinken läßt, da sie ihren Fall¬
erkennt, „durchschaut, nicht mehr die urwüchsige rührende Mäd¬
chengestalt des Anfangs. Denn sie verleugnet zuletzt ihre Natur,
das Wienerische ihres Wesens. Es ist verkehrt, fast ein Wider¬
spruch in sich selbst, daß eine wiener Liebelei jene große Auf¬
regung eines einzigen Menschenkindes gegen das Schicksal im
Gefolge haben soll, die man Tragik nennt. Dazu ist das Ein¬
andergreifen der Geschlechter auf diesem seinem klassischen Schau¬
platz viel zu sehr Spiel, Gleiten, Tanz — Reigen. Der
einzelne Tänzer, der hier teilnimmt, fühlt sich — bescheiden und
bequem zugleich — nur als an sich unwichtiges Glied der Kette
eine hervorragendere Rolle zu spielen als irgend ein anderer
Partner. Diese weitläufige vielverzweigte sexuelle Verwandtschaft,
das eben ist die geheiligte Tradition. Sie zu wahren, ist die still¬
schweigende Ubereinkunft der Wiener. Darum ist Schnitzlers
Reigen das unverkennbare Sinnbild dieser Stadt und der in ihr
heimischen ungeschminkten Erotik.
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