II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1053

Reigen
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24 November 1921,
„Aussiger Tagblatt“ Nr. 267.
Theater und Kunst.
Arthur Schn tziers dialogreihe „Reigen“.
Um Arthur Schnitzlers Szenenreihe „Rei¬
gen“ tobt seit der Freigabe fur die Buhnen hef¬
tiges Gezünk, lärmende Fehde. Als das Werk vor
langen Jahren als Buch erschien, erhoben sich
wohl auch freundliche und seindliche Stimmen, der
Meinungsstreit kam aber bald zur Ruhe. Zu
still
ist die Wirlung eines Buchs, um die Gemuter zu
erhitzen.
Als aber vor wenigen Jahren
— es war
kurze Zeit nach dem Umsturz und die Zeit der liebe¬
vollen Bevormundung durch die Behörden schien
vorbei

zum erstenmal der Versuch gemacht
wurde, Schnitzlers Werk der Bühne zu gewinnen,
setzte ein heftiger Sturm im deutschen Blätterwald
ein. Während die einen für Schnitzler und sein
leichtgesügtes Werk eintraten, jede Bekämpfung
der Aufführung hitzig als Kulturschande brand¬
markten, sahen die anderen Europas Sittlichkeit
aufs schwerste bedroht und riefen nach dem Büttel.
Was ists nun, das in diesem Werk die Gemü
ter so heftig erregte: Ein zierlicher, ein wenig
loser Reigen ist, den die handelnden Personen vor
uns tanzen. Der ewige Liebestrieb der Geschlech¬
ter, von hergebrachter Bilderzier befreit und in
großer Natürlichkeit sich auslebend, wird hier von
seiner und kundiger Hand in seinen männigsaltigen
Färbungen und Spielarten dargestellt. Derb, unge¬
schlacht, ja roh wirkt die Gier des einsachen Sol¬
daten, nichts Zartes, Innerliches ist ihm bei¬
gemengt. Aber schon zeigt sich — im Weibe (Stu¬
benmädchen) zuerst Verinnerlichung, Veredelung
Zärtlichkeit, leise sich regende Junigkeit adelt schon
in dieser zweiten Szene das Nur-Triebhafte zum
bewußten Gefühl. So ist es das gleiche Weib, das
im rohen Zugriff des empfindungsarmen Sol¬
daten erwacht — Freude an der Eroberung des
gefühlszarten jungen Herrn gewinnt. Den aber
treibt es zur Frau seines Kreises, bei der er
neben der Anziehung der Einne verwandtes Wesen,
Wissen und Fühlen findet. Ganz zart und gehaucht
schließlich die Szene zwischen Dichter und süßem
Mädel, das Triebhaft=Körperliche nur mehr
Gleichnis der suchenden Seele. Dann schließt sich
der Kreis und kehrt nach verschlungenem Weg
zur Dirne, zum blinden Trieb zurück.
Eines steht fest: Wer zu lesen versteht, wird
den Verdecht, der Verfusser habe in rechnender
Klugheit der Sensationslust einer bestimmten Art
von Lesern dienen wollen, verwerfen. Ganz abge¬
sehen vom Ernst, der alle übrigen Arbeiten Schnitz¬
lers auszeichnel, auch dieses Werk hat nichts Auf¬
reizendes. Ein ernster, seelenkundiger Mann wagle,
in diesen Szenen das Letzte der Liebe hüllenlos
darzustellen. Das aber ertragen wir Menschen an
wenigsten. Das hundertmal Erlebte, Erlittene ver¬
hehlen wir uns selbst. Unser Natürlichstes glauben
wir mißachten, wenn nicht verachten zu sollen,
anstatt auf seine Erhellung, Erhöhung, Veredelung
bedacht zu sein. Solange wir Meuschen nicht den
Mut besitzen, uns nackt zu sehen, werden wir
unsere Leibschäden nicht erkennen noch heilen.
Soviel im allgemeinen! Was nun die besondere
Frage der Aufführbarkeit betrifft, ist allerdings
der besondere Charakter, die besondere Wirkung
einer bühnengerechten Darstellungr letzter, intim¬
ster Dinge zu erwägen.
Das Werk ist für reife Menschen geschaffen,
denen es nicht vorlaute Neugier befriedigen soll,
die — im Wesentlichen hieser Dinge vertraut¬
nur das Besondere, das Ueberkörperliche erfahren
wollen. Die Hörerschoft der, die einer theatrali¬
schen Darstellung zugezogen wird, kann nicht so
sorgfältig ausgewählt werden.
So scheint der Ausweg, den das Stadttheater
sand, der einzig gangbare: Unter Verzicht auf
greifbar=deutliche Bühnendarstellung der Szenen
sich auf eine Vorlesung zu beschränken, die
durch szenischen Rahmen und szenische Hilfsmittel
die Stimmungskraft einer Aufführung zu
erreichen vermag. Auf alles Beiwerk, das eine
graße Menge anzieht, auf Entkleidungsszenen und
dgl. müß Verzicht gekeifsel werden Nur das Wort
soll wirken. Der ganze zärtliche Reiz der Sprache,
aber auch ihre ganze Sachlichkeit und Strenge soll
zur Geltung kommen.
Bei Beurteilung des Werks und seiner Dar¬
bietung lieg die Gefahr parteiischer Stellung¬
nahme nahe. Kunstkritik muß frei sein, will sie dem
Wesen der Kunst, die alle Parteien umfaßt und
allen dient, gerecht werden. Die großen Prozesse der
letzten Zeit, die um den „Reigen“ geführt wur¬
den, erbringen den Beweis, daß auf die Spiße
getriebene Gegnerschaft die Zugkraft des bekämpf
en Werkes erhöht. Der Erfolg steht immer im
umgekehrten Verhältnis zum Maß der Abwehr.
Der kommende Sonntag wird zu zeigen haben,
von allen
welche Wirkung Schnitzlers Werk —
allzuirdischen Schlacken befreit — auf unvorein¬
genommene Hörer zu üben vermag.