II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1066

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11. Reigen
Klose & Seidel
Bureau für Zeitungsausschnitte
Berlin NO. 45, Georgenkirchplatz 214
513
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Neues Schauspielhaus.
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Arthur Schnitzlers „Reigen“.#
Nun haben wir die große Operation hinter uns. Sie ist, wie
sich von selbst versteht, glücklich verlaufen. Die Sperrmaßregeln,
die die Leitung unserer Kammerspiele gegen unerwünschte Gäste
durchgeführt hatte, haben sich bewährt. Die letzte bestand darin,
daß man sich „mit Rücksicht auf den Charakter des Stücks“ Beifalls¬
äußerungen verbat. Da nun niemand klatschen durfte, konnte auch
niemand zischen. Es wäre daher schwer zu sagen, wie dieser Abend
gewirkt hat, wenn man es nicht schon — vorher gewußt hätte. Eine
völlig unbefangene Wertung des Werkes war überhaupt nicht mehr
möglich, nachdem es seit einem vollen Jahr Gegenstand zahlloser
Angriffe, seit einem Monat Mittelpunkt eines weitläufigen Ge¬
richtsverfahrens und unendlicher Auseinandersetzungen geworden
war. Was hätte das für ein wunderliches Kunstwerk sein müssen,
das nach solcher Reklame den unnatürlich gegipfelten Erwartungen
noch standgehalten hätte! Nach den Sensationen von zwölf Mona¬
ten konnte es in diesen zwei Stunden nur eine Art Enttäuschung
geben. Eine Enttäuschung darüber, daß die Geschichte so einfach ist
und daß man so viel Aufhebens davon gemacht hat. Die Neugier,
mit der man pflichtschuldigst hinkam, war bald gestillt, und jenes
nervenprickelnde Gefühl, Ungewohntes auf der Bühne zu sehen
nein, angedeutet zu sehen, stumpft rasch ab. Stumpft ab gerade
durch die häufige Wiederkehr. Der Mensch gewöhnt sich an alles —
selbst daran, daß der Elektriker zehnmal das Licht ausschaltet (sym¬
bolischer Ersatz für Gedankenstriche). Und dann: Schnitzlers „Rei¬
gen“*) ist nun einmal nicht für das Theater geschrieben. Die Tat¬
sache, daß zehn Dialoge noch kein Drama machen, bleibt auch einem
Schnitzler gegenüber in Kraft. Variationen über ein Thema können
sehr geistreich sein, doch geraten sie in Gefahr, um so eher zu er¬
müden, je zahlreicher sie sind. Das Geistreiche ist hier aber im
Buch greifbarer als auf der Bühne. Auf der Bühne müßte die Auf.
führung schon vollkommen sein — und das war sie weder im Kleinen
Schauspielhaus zu Berlin noch im Neuen zu Königsberg. Das ist.
sie nur im Lande Utopien, wohin wir vorderhand nicht reisen
können.
Immerhin gab es hier ein paar die Wirkung beeinträchtigende
Aeußerlichkeiten, die sich bei den Wiederholungen leicht abstellen
lassen. Einmal geht es nicht an, daß der Zuschauerraum den ganzen
Abend über in kymmerischem Dunkel liegt. Dazu sind die Ver¬
wandlungspausen zu häufig und zu lang. Die Selbsthilfe des Publi¬
kums, das mit Streichhölzchen und Taschenlampen um die Kenntnis
des Theaterzettels ringt, ist für die Stimmung gefährlicher, als es
ein diskretes Dämmerlicht wäre. Sodann: lieber gar keine Musik
als eine so leise! In einem leeren Saal hätte sie ausgereicht; nicht
aber in einem überfüllten, dessen Besucher zur Hälfté dezemberlich
*) Vgl. unseren Aufsatz in der Sonntagsausgabe, Nr. 567.
erkältet sind. — Auch die Besetzung von zehn Episoden, die im
Grunde Hauptrollen sind, boi mancherlei Schwierigkeiten. So ist
Helene Sauer eine fertige und gewandte Schauspielerin von
ulkiger Natürlichkeit, aber nicht gerade ein ausgesprochenes Ideal
für Schnitzlers junge Frau, die einen Schritt vom Wege macht.
Annie Vara ist im ländlichen wie im städtischen Bett von be¬
rückender Deutlichkeit und göttlicher Grobheit; doch kann sie es nicht
verhindern, daß man sich Schnitzlers Primadonna ein wenig nobler
und großzügiger vorstellt. Werner Kepich legt allen Ton auf
die Herzlichkeit des Dichters; sollte der Mann aber nicht noch einige
Töne mehr auf der Walze haben? Im allgemeinen haben es die
Mannsen in diesen Zwiegesprächen leichter als die Frauen, die auh
scelisch in tiefem Negligé erscheinen und meist ganz bestimmte In¬
dividualitäten voraussetzen. Ausgezeichnet war Hans Peppler
als Ehegatte und Egoist, der auch in zärtlichem Beieinandersein nur
sich selbst liebt, recht annehmbar Wolfgang Langhoff, dessen
stummes Spiel gut durchgearbeitet war, stramm und schneidig der
Soldat Max Friedrichs und liebenswürdig=fein Oskar Wal¬
leck als Graf, der das letzte Bild aber doch nicht vor einer gewissen
gedehnten Mattigkeit bewahren konnte. Frau Mößl=Friedrich
beherrscht köstlich den Wiener Dialekt, und das ist schon das halbe
„süße Mädel“ — dieser trivialisierte, modernisierte und verwienerte
Abkömmling der Gretchen und Klärchen. Erna König gab die
Dirne Leocadia mit berufsmäßigem Stumpfsinn, während Marg.
Holtz=Walleck durch ihre herzig=gemütvolle Art das Bild im
Wirtshausgarten zu einem Lichtpunkt des Abends erhob und auch
in dem so anders gearteten dritten Bilde ihren Mann stand. Wal¬
lecks Regie, die sicher noch Direktor Rosenheim nach Möglichkeit
unterstützt hat, erfüllte und überflügelte alle berechtigten Ansprüche.
Auch wenn der Sturm auf die Kasse vorhalten sollte, wird man
es hierorts, wohl bei einigen Anstands= und Pflichtaufführungen be¬
der
wenden lassen. Und wenn der ganze Tanz um den „Reigen“
ursprünglich mehr für den Genuß im stillen Kämmerlein bestimmt
war als für den Massenverschleiß — in einem Jahre vergessen sein
L. G.
sollte, wird es uns recht sein.