11. Reigen
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Arthur Schnitzler: „Reigen“.
Schauburg (Viktoriatheater).
Wenn man vor ein paar Monaten der „Reigen“=
fführung in Krietern nur mißtrauisch nahte und sich
nachher seine heftige Gereiztheit über eine böse Kompro¬
mittierung des Dichters Schnitzler nicht gerade sanft von
der Seele schrieb, so ist von der Aufführung in der Schau¬
burg durchaus als von einer künstlerischen Tatsache zu
sprechen. Das gastierende Ensemble von zumeist Ber¬
liner Darstellern zeigt überall Niveau, die Regie des
Herrn Hubert Reusch ist nicht nur um löbliche Dis¬
kretion, sondern auch um Atmosphäre der Szeue, um
Klangfarbe der Dialoge, um Geschlossenheit der künstle¬
rischen Wirkung mit Erfolg bemüht, die Bühne päsentiert
sich reiz= und geschmackvoll, der Rahmen ist von be¬
sonderer (freilich im einzelnen irrender) Festlichkeit. So
hemmt nichts den delikaten Zauber dieses witzigen Ringel¬
spiels um die mancherlei Melancholien, Drolerien, Töl¬
peleien des Liebeserlebnisses, welches unter verräterisch
schillernden Worthülsen einem lächelnd verstehenden und
unerbittlich desillusionierenden Blick den armseligen
menschlichen Kern preisgibt. Hemmt den Zauber nichts
als die Tatsache, daß diese Szenen ursprünglich gar nicht
für die Bühne gedacht waren. Manche leisere Besinnlich¬
keit verpusste, und die huschende Leichtigkeit und Be¬
hendigkeit der Dialoge wird an der Kompaktheit der
Bühne immer ein bißchen Schaden nehmen. Erstaunlich
bleibt dennoch, wie diese zehn Variationen desselben
Themas szenisches Leben gewinnen und auch als Bühnen¬
gestalt fesseln, wie dieser witzige Liebes=Kreislauf ohne
eigentliche dramatische Spannkraft doch dramatische Be¬
wegtheit hat, wie die lose Folge zusammengefaßt und vor¬
wärts treibend akzentuiert ist. Der „Reigen“ zählt zu
Schnitzlers Bestem. Und es gehört schon einige Um= und
Abwegigkeit dazu, hier „Anstoß“ zu nehmen.
Ein reizender Theaterabend von liebenswürdiger
und nachdenklicher Heiterkeit. Besonders Gutes kam von
Die schöne Sybill Smolowa gibt die
den Frauen.
junge Frau mit entzückend naiv=verspielter Raffiniert¬
heit und neugieriger Koketterie in Stimme und Gesicht,
Poldi
6
im Hin und Her entdeckungsfreudiger Unrast.
Müller als süßes Mädel ist von waschechtestem Wiener¬
tum, das sich zu humorvoller und frischer darstellerischer
Bewegtheit löst. Sehr amüsant und schmissig, ohne nahe¬
liegende Vergröberungen legt Jutta Versen das ge¬
mütvolle Pathos der Schauspielerin hin und die Damen
Olga Zuchs und Trude Norgard siedeln Dirne und
60
Stubenmädchen in den zuständigen Sphären glaubhaft an.
Auf der männlichen Seite ist Herr Gustav Heppner
zuerst zu nennen, dessen Graf von verblüssender Dichtig¬
keit der Typisierung und famoser stiller Witzigkeit ist
(wenn auch sein Profil nicht gerade nach einem Grasen
ausschaut). Herr Mikulski ist als Dichter in der Er¬
scheinung etwas deplaziert, bringt aber durch dar¬
tellerische Rontine darüber hinweg. Herr Tautz, sehr
lustig als nur ratenweise lustiger Ehemann, die Herren
Tilo und Horn beschließen den Reigen.
Die Begleitmusik des vielseitigen Forster=Lar¬
cinaga tut an stimmungsvoller Melancholie ein wenig
des Guten zu viel, schafft aber eine sympathisch
distanzierende Untermalung der Vorgänge. Das Publi¬
kum gab sich den mancherlei Reizen des Abends wider¬
p. T—a.
spruchslos hin.
Tanzabend.
Fräulein Ellen Larêne,
Tanzabend? Nein,
dieses gänzliche Verkennen von den elementarsten Grund¬
gesetzen der Kunst Terpsichorens, das Sie einem sehr ge¬
duldigen Publikum boten, hat mit Tanz nicht das geringste
zu tun. Der Name Larêne ist so schön, man kann eine
„Königin“ des Tanzes vermuten oder (ebenfalls klanglick
natürlich!) eine Künstlerin, die diese Kunst im „Zügel
hält, aber nichts davon erfüllte sich. Welche Unbeholfen¬
heit, dieser „Walzer“ von Gounod, welches gänzliche Mi߬
Griegs
*
verstehen von Stimmungsprofilierung in
„Morgenstimmung"! Und auch hier diese Unmöglichkeit
der Linienführung. Wie kann man ein derartig weich
fließendes Gewand von so hauchzarter Farbe mit einer
o unerhört stilwidrigen „Amphore“ aus seiner Eigen¬
bewegung herausreißen? Das Gleiche gilt von dem
Pierrotkostüm, dessen bunte Bänder — ausgerechnet an
— die Form zur Geschmack¬
den Schenfeln und Füßen
losigkeit verzerrten. Zu diesen verfehlten Außendingen
kommt eine Unschulung in choreographischen Dingen, die
n ihrer Naivität rührend ist. Fräulein Larène war wohl
über die geographische Lage Breslaus unorientiert, sonst
könnte man nicht den Mut oder Uebermut verstehen, daß
sie es wagt, an der Stelle zu tanzen, die — um einen
Namen zu nennen — eine Mary Wigman geweiht hat.
Zwischen diesen Darbietungen klavierteilte ein Fräulein
Olga Mav die durch ihr Spiel sichtlich erheiterte Zu¬
börerschaft. Was dieser Tastenunerfahrenen an tech¬
nischen Fähigkeiten abgeht, ersetzt sie durch einen die Ge¬
duld aufs höchste reizenden Mangel an Auffassung. Das
Breslauer Publikum hat ein Recht, sich derartige Unter¬
nehmungen aufs energischste zu verbitten. Dr. R. C. M.
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Arthur Schnitzler: „Reigen“.
Schauburg (Viktoriatheater).
Wenn man vor ein paar Monaten der „Reigen“=
fführung in Krietern nur mißtrauisch nahte und sich
nachher seine heftige Gereiztheit über eine böse Kompro¬
mittierung des Dichters Schnitzler nicht gerade sanft von
der Seele schrieb, so ist von der Aufführung in der Schau¬
burg durchaus als von einer künstlerischen Tatsache zu
sprechen. Das gastierende Ensemble von zumeist Ber¬
liner Darstellern zeigt überall Niveau, die Regie des
Herrn Hubert Reusch ist nicht nur um löbliche Dis¬
kretion, sondern auch um Atmosphäre der Szeue, um
Klangfarbe der Dialoge, um Geschlossenheit der künstle¬
rischen Wirkung mit Erfolg bemüht, die Bühne päsentiert
sich reiz= und geschmackvoll, der Rahmen ist von be¬
sonderer (freilich im einzelnen irrender) Festlichkeit. So
hemmt nichts den delikaten Zauber dieses witzigen Ringel¬
spiels um die mancherlei Melancholien, Drolerien, Töl¬
peleien des Liebeserlebnisses, welches unter verräterisch
schillernden Worthülsen einem lächelnd verstehenden und
unerbittlich desillusionierenden Blick den armseligen
menschlichen Kern preisgibt. Hemmt den Zauber nichts
als die Tatsache, daß diese Szenen ursprünglich gar nicht
für die Bühne gedacht waren. Manche leisere Besinnlich¬
keit verpusste, und die huschende Leichtigkeit und Be¬
hendigkeit der Dialoge wird an der Kompaktheit der
Bühne immer ein bißchen Schaden nehmen. Erstaunlich
bleibt dennoch, wie diese zehn Variationen desselben
Themas szenisches Leben gewinnen und auch als Bühnen¬
gestalt fesseln, wie dieser witzige Liebes=Kreislauf ohne
eigentliche dramatische Spannkraft doch dramatische Be¬
wegtheit hat, wie die lose Folge zusammengefaßt und vor¬
wärts treibend akzentuiert ist. Der „Reigen“ zählt zu
Schnitzlers Bestem. Und es gehört schon einige Um= und
Abwegigkeit dazu, hier „Anstoß“ zu nehmen.
Ein reizender Theaterabend von liebenswürdiger
und nachdenklicher Heiterkeit. Besonders Gutes kam von
Die schöne Sybill Smolowa gibt die
den Frauen.
junge Frau mit entzückend naiv=verspielter Raffiniert¬
heit und neugieriger Koketterie in Stimme und Gesicht,
Poldi
6
im Hin und Her entdeckungsfreudiger Unrast.
Müller als süßes Mädel ist von waschechtestem Wiener¬
tum, das sich zu humorvoller und frischer darstellerischer
Bewegtheit löst. Sehr amüsant und schmissig, ohne nahe¬
liegende Vergröberungen legt Jutta Versen das ge¬
mütvolle Pathos der Schauspielerin hin und die Damen
Olga Zuchs und Trude Norgard siedeln Dirne und
60
Stubenmädchen in den zuständigen Sphären glaubhaft an.
Auf der männlichen Seite ist Herr Gustav Heppner
zuerst zu nennen, dessen Graf von verblüssender Dichtig¬
keit der Typisierung und famoser stiller Witzigkeit ist
(wenn auch sein Profil nicht gerade nach einem Grasen
ausschaut). Herr Mikulski ist als Dichter in der Er¬
scheinung etwas deplaziert, bringt aber durch dar¬
tellerische Rontine darüber hinweg. Herr Tautz, sehr
lustig als nur ratenweise lustiger Ehemann, die Herren
Tilo und Horn beschließen den Reigen.
Die Begleitmusik des vielseitigen Forster=Lar¬
cinaga tut an stimmungsvoller Melancholie ein wenig
des Guten zu viel, schafft aber eine sympathisch
distanzierende Untermalung der Vorgänge. Das Publi¬
kum gab sich den mancherlei Reizen des Abends wider¬
p. T—a.
spruchslos hin.
Tanzabend.
Fräulein Ellen Larêne,
Tanzabend? Nein,
dieses gänzliche Verkennen von den elementarsten Grund¬
gesetzen der Kunst Terpsichorens, das Sie einem sehr ge¬
duldigen Publikum boten, hat mit Tanz nicht das geringste
zu tun. Der Name Larêne ist so schön, man kann eine
„Königin“ des Tanzes vermuten oder (ebenfalls klanglick
natürlich!) eine Künstlerin, die diese Kunst im „Zügel
hält, aber nichts davon erfüllte sich. Welche Unbeholfen¬
heit, dieser „Walzer“ von Gounod, welches gänzliche Mi߬
Griegs
*
verstehen von Stimmungsprofilierung in
„Morgenstimmung"! Und auch hier diese Unmöglichkeit
der Linienführung. Wie kann man ein derartig weich
fließendes Gewand von so hauchzarter Farbe mit einer
o unerhört stilwidrigen „Amphore“ aus seiner Eigen¬
bewegung herausreißen? Das Gleiche gilt von dem
Pierrotkostüm, dessen bunte Bänder — ausgerechnet an
— die Form zur Geschmack¬
den Schenfeln und Füßen
losigkeit verzerrten. Zu diesen verfehlten Außendingen
kommt eine Unschulung in choreographischen Dingen, die
n ihrer Naivität rührend ist. Fräulein Larène war wohl
über die geographische Lage Breslaus unorientiert, sonst
könnte man nicht den Mut oder Uebermut verstehen, daß
sie es wagt, an der Stelle zu tanzen, die — um einen
Namen zu nennen — eine Mary Wigman geweiht hat.
Zwischen diesen Darbietungen klavierteilte ein Fräulein
Olga Mav die durch ihr Spiel sichtlich erheiterte Zu¬
börerschaft. Was dieser Tastenunerfahrenen an tech¬
nischen Fähigkeiten abgeht, ersetzt sie durch einen die Ge¬
duld aufs höchste reizenden Mangel an Auffassung. Das
Breslauer Publikum hat ein Recht, sich derartige Unter¬
nehmungen aufs energischste zu verbitten. Dr. R. C. M.