II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1113

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11. Reigen
Preschel Anrergen
zauue
Schnitzlers Reigen
Angesichts der verspäleten Aufführung von
Schnitzlers Reigen im Residenztheater möchte
man an das Wort von Moritz Saphir erinneen
„Wenn die Welt einmal untergeht, ziehe ich nach
Dresden, dort geht die Welt 14 Tage später
Was die künstlerisch wählerischen
unter.“
Direktionen im Zentral= und Alberttheater
im November 1921 #terlassen haben, als der
Reigenprog involler Blüte stand und ein
großer gsschäftlicher Erfolg ganz sicher war,
das hat nuh, nüchdem der Reigenrummel glück¬
lich vergerfen war, die Direktion Dr. Schreiber
im Residenztheater nachgeholt und gestern einer
Zuschauerschar, die mit Spannung gekommen
war, aber schließlich eine gewisse Enttäuschung
nicht verbergen konnte, mit auswärtigen
Kräften vorgesetzt. Die Vorsicht war dabei an¬
die
gewendet, daß jedem Theaterbesucher
Außerung von Beifall oder Mißfallen während
und nach der Aufführung ausdrücklich als Ver¬
gehen gegen die Hausordnung untersagt war.
So ging denn das Ereignis, da der Versuck
einer Meinungsäußerung rasch unterdrückt
wurde, still vorüber.
Den Eindruck, den man von der Aufführung
empfing, war, gelinde gesagt, der einer Ent¬
täuschung. Einer Enttäuschung in doppelter
Beziehung. Diejenigen, die im stillen erwartet
hatten, daß von der Bühnendarstellung des
Reigens flirrende Lichter der Sinnlichkeit aus
gehen würden, sahen sich um das erwartete
Schauspiel getäuscht. Ja, man kann sogar
sagen, daß nach dem zehnmaligen Wechsel der
Szene vielleicht bei den meisten Zuschauern
das Gefühl des Ekels aufgestiegen ist, des
Ekels nicht nur vor den dargestellten Frauen
und Männern, sondern des Ekels vor der
Liebe, wie sie Schnitzler im Reigen als einzig
und allein existierend betrachtet. Wer also heut
oder morgen sein teures Geld in der Er¬
wartung graziöser erotischer Spannung hin¬
trägt, wird gründlich enttäuscht werden. Eine
plumpere und geistlosere Erotik als die in der
Bühnenaufführung des Reigen läßt sich kaum
denken. Eine sade Lust, eine widerliche Leere
bleibt von dieser Vorstellung zurück. Der
Elel würgt bis zum Halse. Übersättigung tritt
ein. Die Aufführung wird, wenigstens für
Menschen mit einigermaßen reinlichen Emp¬
findungen, statt zu einem Genuß zu einer
bittern, häßlichen Schalheit.
kommt auch in
Aber Enttäuschung
künstlerischer Beziehung. Wie, das sollte das
Stück sein. um das man in Berlin solange
vor Gericht gestritten hat, bei dessen Auf¬
führung oder Nichtaufführung die Freiheit der
Kunst bedroht sein sollte? Nein, das Stück, wie
wir es auf der Bühne des Herrn Dr. Schreiber
mit seinen Berliner Gästen sahen, ist nicht das
Es ist ein Schmetterling,
Stück Schnitzlers.
dem aller Blütenstaub von den Schwingen ge¬
wischt ist, dem die zierlichen Flügel und Beine
ausgerissen sind. Es ist eine häßliche Made,
vor der man sich ekelt. Der Grund dieser
völligen Entstellung ist künstlerisch=ethischer
Art.
Schnitzler hat einst die zehn Szenen des
Reigen als ein Artistenkunststücklein für die
Stille des Ateliers geschrieben. Er hat hier
einer Künstlerlaune nachgegeben, der Felicien
Rops und viele Große der bildenden Kunst auch
tachgegeben haben. Er wollte ein technischen
Probestücklein geben, das Bedenklichste mit un¬
tadelhasten Worten, mit kühler, weltmänni
cher, unbeweglicher Miene zu sagen. Er hat
das Werk in richtiger Erkenntnis seiner Eigen¬
art jahrelang zurückgehalten, hat es in die
erste Sammlung seiner Werke nicht auf¬
genommen, hat die Aufführung auch in ge¬
schlossenem Kreis ansangs nicht gewünscht.
Darum ist Schnitzler, der Artist, nicht zu
chelten, daß er eine Skizzenmappe mit den
Blättern des Reigens füllte. Aber Schnitzler,
der Dichter, hätte die Erlaubnis zur öffent¬
lichen Aufführung nicht geben sollen, auch
wenn zehnmal die Revolution die Zensur be¬
eitigt hatte und wenn zehnmal ein großer
naterieller Erfolg mit der ganzen Macht der
Valuta winkte. Indem er aber dies „Kind
einer Laune“ auf die Bühne stellte, Geld
machte mit der Artistenkeckheit, Tagesreklame
gewann mit einer bloßen Übung seiner Feder,
hat er ein ethisch=künstlerisches Unrecht be¬
gangen. Die öffentliche Aufführung des Reigens
Preisgabe eines zierlichen Kunstwerks,
ist
vom Dichter selber begangen. Indem sich der
Künstler selber durch die Preisgabe des Werkes
um kapitalistischer Vorteile willen befleckte
darf er nicht hoffen, daß man in seinem Werk¬
chen an eine besondere sittliche Höhe und Rein¬
heit glaubt. Es kommt noch etwas anderes
hinzu: Die Notwendigkeit, auf der Bühne bei
der Darstellung allerlei Verletzendes zu ver¬
neiden, hat auch die Theaterdirektoren und
Dramaturgen zu vielen Eingriffen in die
Szenen gezwungen. So haben plumpe Theater¬
hände (um der Anständigkeit halber!) auch noch
den Leib der Dichtung selber angetastet und
geschändet. Und von dem, was übrigbleibt,
reißt schließlich die Darstellung, selbst die beste
die anständigste, den letzten kenschen Schleier
hinweg. Es braucht gar nicht die handwerks¬
mäßige Darstellung zu sein, die Hubert Reusch
im Residenztheater mit lauter Mittelmäßig¬
keiten zeigt. Auch eine viel bessere Darstellung
ann das Unausgesprochene, das Artistische der
Schnitzlerschen Dialoge nur schwer wieder¬
geben. Vor der Handgreiflichkeit der Vor¬
gänge erschrickt jedes feinere Empfinden. Die
leise Ironie, die wehe Melancholie, die ver¬
stehende Traurigkeit, der grimme Humor, der
Schmerz, der hinter all den äußeren Vor¬
gängen liegt, kommt bei der Aufführung ab¬
olut nicht zum Vorschein. Künstlerisch, ich
wiederhole es, ist es eine grimmige Ent¬
eine verlorene Illusion. Einen
täuschung,
800
farbenbunten, hellen, graziösen Falter kamst
Du wirst eine Made finden.
du zu
Man S##t somit bei der verspäteten (und
doch nie zu späten!) Aufführung vor der
Dichtun schnitzlers ähnlich wie der König
Alfonso in Grillparzers Jüdin von Toledo
vor dem Leichnam des schönen Weibes: man
sieht, wissend geworden, überscharf ihre Fehler,
ihre Mängel, ihren bittern, noch im Tode
höhnischen Zug. Man faßt angesichts der
theatralischen Vorstellung die ungeheure Auf¬
regung nicht, die um dieses Werk vor einigen
Wochen und Monaten in Berlin entstehen
konnte. Man muß den Aufwand an Worten.
den Jahrmarkt der Eitelkeit belächeln, der sich
bei der Vernehmung der Zeugen und Sachver¬
ständigen, die so widerspruchsvoll war, breit¬
gemacht hat. Man kann die Verwirrung, die
Neugier, die Sensation bedauern, die durch
dieses Werk entstanden ist. Man kann endlich
auch beklagen, daß Schnitzler dies Werk den
Zufällen der Bühne überantwortet hat.
hat nur flüchtigen Gewinn davon gehabt. Er
hat als Dramatiker in seinen letzten, matten,
verunglückten Stücken einen Stillstand ge¬
zeigt. Er ist nur als Novellist noch eine Hoss¬
nung. Als Dichter des Reigens wird er in der
Geschichte des Theaters nicht fortleben.
Von der Aufführung selbst ist nicht viel
Rühmliches zu sagen. Eine Anzahl mittlerer
und physiognomieloser Darsteller Berliner
Bühnen bemühte sich um die Aufführung. Den
feinen ironischen Zug, namentlich in den
Szenen des Dichters und der Schauspielerin
brachte die Regie des Herrn Reusch nicht
heraus. Eine stilisierte Umrahmung der Bühne
sollte die Idealität der Vorgänge andeuten.
Eine Musik von For“ r=Larrinaga siel mit
hrer schmalztriefenden Süßigkeit auf die
Nerven. Das eine Gute wird die theatralische
Aufführung jedenfalls haben: sie wird die
Legende von der sittlich=künstlerischen Schönheit
des Reigens zerstören und eine Reinigung der
Ansichten über dramatische Darstellung ero¬
tischer Gewagtheiten bringen.
Friedrich Kummer.