II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1139

11.
box 18/3
Reigen
Neus freie Presse, Wien
3 1925
Schnitzlers „Reigen“ in Kopenhagen.
Ein Protest des Dichters gegen unbefugte
Uebersetzungen.
Telegramm unseres Korrespondenten.
Kopenhagen, 9. Mai.
Unter eigenartigen Umständen gelangte heute abend Artur
Schnitzlers „Reigen“ im Kopenhagener Betty¬
Nansen=Theater zur Erstaufführung. Der Theaterzensor
hatte ursprünglich die Aufführung untersagt, jedoch, nachdem die
Theaterleitung sich zu einschneidenden Kürzungen bequemt hatte,
die Erlaubnis zur Aufführung erteilt, wobei jedoch die Be¬
dingung gestellt wurde, daß eine hervorragende literarische Per¬
sönlichkeit bei der Erstaufführung einen einleitenden Vortrag
halten solle. Den Dichter hat man bei den sehr wesentlichen
Streichungen nicht zu Rate gezogen. Man ist sogar nicht einmal
um seine Einwilligung eingekommen. Dies veranlaßte die
Kopenhagener Mittagszeitung „Extrablaaded“ dazu, Schnitzler
telegraphisch darüber zu befragen. Hierauf erhielt „Extra¬
blaaded“ die Drahtantwort von Schnitzler, er sei von der
Direktion des Betty=Nansen=Theaters nicht verständigt worden
und protestiere auf das schärfste gegen jede
von ihm nicht autorisierte Textänderung.
Prager Tagblatt
0. Mal 1925
Um Schnitzlers „Reigen“ Kopenhagen, 9. Mai.
Im Betty Nansen=Theater hatte heute Schnitzlers
„Reigen“ zur dänischen Erstaufführung. Der Theater¬
zensor hatte ursprünglich die Aufführung untersagk,
später jedoch unter Vornahme einschneidender Kür¬
zungen gestattet. Er stellte die Bedingung, daß eine
hervorragende literarische Persönlichkeit bei der Erst¬
aufführung einen Vortrag halten sollte, in dem daraus
aufmerksam gemacht werde, daß die Tendenz des
Stückes moralisierend und sittlich sei. Anfangs dachte
man an Schnitzler selbst, dann aber bestimmte man
den Literaten Dr. Paul Levin. Bei den sehr wesent¬
lichen Streichungen des Stückes hatte man den
Dichter nicht zu Rate gezogen. Dies veranlaßte die
dazu,
Kopenhagener Mittagszeitung „Extrabladet“
Schnitzler telegraphisch von der Verballhornung seiner
Arbeit in Kenntnis zu setzen. Schnitzler erwiderte,
daß er von der Direktion des Theaters nicht verstän¬
digt worden sei und aufs schärfste gegen jede von
ihm nicht autorisierte Textänderung protestiere. Trotz
des veröffontlichten Protestes wurde heute abend der
„Reigen“ bei erhöhten Preisen vor ausverkauftem
Hause aufgeführt. Die Vorstellung war vorzüglich
inszeniert, da die Streichungen jede Möglichkeit zum
Anstoß nahmen, wurde das Stück mit starkem Bei¬
fall ausgenommen. Die Kopenhagener Presse hat sich
scharf gegen den Theaterzensor ausgesprachen.
Berliner Börsenseitung
12. Mai 1925
Schnitzlers „Reigen“ in Kopenhagen. Unter
Schnitz¬
eigenartigen Umständen gelängte am Sonnabend
im Kopenhagener Betty¬
„Reigen'
ers
Nansen=Theater zur Erstaufführung. Der Theater¬
zensor hatte ursprünglich die Aufführung untersagt, jedoch,
nachden die Theaterleitung sich zu einschneidenden Kürzun¬
gen bequemt hatte, die Erlaubnis zur Aufführung erteilt,
wobei jedoch die Bedingung gestellt wurde, daß eine hervor¬
ragende Literarische Persönlichkeit bei der Erstaufführung
einen einleitenden Vortrag halten solle. Den Dichter hat
man bei dem sehr wesentlichen Streichungen nicht zu Rate
gezogen. Man ist sogar nicht einmal um seine Einwilligung
eingekommen. Dies veranlaßte die Kopenhagener Mittags¬
zeitung „Extrablaaded“ dazu, Schnitzler telegraphisch
darüber zu befragen. Hierauf erhielt „Extrablaaded“ die
Drahtantwort von Schnitzler, er sei von der Direltion des
Betty=Nansen=Theaters nicht verständigt worden und pro¬
testiere auf das schärfste gegen jede von ihm nicht
autorisierte Textänderung.
Berliner Tageblatt
7 Mai 1925
Pastorale.
Kopenhagen.
4O
Für alle Dinge dieser geschauten Welt gibt es
bekanntlich eine „Tages=“ und eine „Nachtansicht“
wie G. Th. Fechner, weiland Philosoph in Leipzig,
das bekannt hat. Auch das Kopenhagener „Kri¬
steligt Dagblad“ hat die Kehrseite des Tages
entdeckt und erscheint hinterwärts jetzt als un¬
christliches Nachtblatt. Es hat sich mit dem Eifer
lange unterdrückter Triebe auf das Kopen¬
hagener Nachtleben gestürzt, und jeden
Morgen findet der Leser eine Orgie in den
Spalten. Abend für Abend sendet das Blatt seine
pastoralen Mitarbeiter in die Nachtklubs und son¬
stigen grauenvollen Lust= und Lasterstätten, damit
sie die selbst gesehene, selbst erlebte, bar bezahlte
Unsittlichkeit in langspaltigen, detaillierten und
minutiösen Schilderungen enthüllen. Die Abon¬
nentenzahl hat sich erfreulich gehoben. Das Haupt¬
kontingent an Damen in diesen Nachtklubs stellen,
wie das Blatt herausgefunden hat, neben den offi¬
ziellen Nachtdamen und den Frauen der guten Ge¬
sellschaft, die — man denke! — mit ihren Ehe¬
männern dort hinzugehen pflegen, die Chor¬
damen der diversen Revuetheater dar, die
Kopenhagen besitzt. Und nun befaßte sich das
„Kristeligt Dagblad“ eingehend mit der Moral ge¬
nannter Chordamen und konstatierte auf Grund
ubtiler Forschungen, daß die Moral dieser Damen,
ob aus Not, ob aus Vergnügen, nicht immer un¬
antastbar sei. Das konnte der Leiter des größten
Revuêtheaters, der „Skala, nicht auf sich sitzen
lassen, er erklärte, daß besagte Chordamen weder
aus Not, noch aus Vergnügen, also überhaupt nicht
unmoralisch seien, erstens würden sie gut bezahlt,
am Theater nämlich, und zweitens seien es alle
fleißige, sinnige Bürgertöchter, es befärden sich so¬
gar — tableau — einige Pastorentöchter
darunter. Das war natürlich ein harter
Schlag für das „Kristeligt Dagblad“, und man
darf annehmen, daß es in Zukunft seinen eifernden
Wissensdrang etwas zügeln wird.
Man sollte überhaupt die Moral auf den Kopen¬
hagener Bühnen nicht so sehr bezweifeln. Wie die
neueste Revue mit dem Titel die „Rose lodert“
was durch eine große Anzahl schlanker, idyllisch¬
unbekleideter Beine überzeugend veranschaulicht
wird — harmlos und friedlich erheiternd als die
reinste Pastoralsinsonie erscheint, so wird nun auch
im Betty=Nansen=Theater Schnitzlers
„Reigen“ moralisiert vorgeführt werden. Erst
hatte der Zeusor die Allfführung glatt verboten,
doch die schimmernden Tränen Betty Nansens und
ihr bestrickendes Lächeln gewannen ihn dazu, sich
das Stück vorspielen zu lassen. Er war ergriffen,
vermochte sich indessen nicht sofort zu entscheiden,
sondern meinte, daß der Eindruck zunächst be¬
schlafen werden müsse. Er beschlief die Sache, er
schlief gut, und am nächsten Morgen gab er die
Aufführung des Stückes frei. Allerdings mit
einer Bedingung: es sollte vor jeder Vorstellung
ein Aufklrungsvortrag gehalten werden.
der die Moral des Stückes auseinandersetzt.