II, Theaterstücke 11, (Reigen, 0), Reigen. Zehn Dialoge, Seite 1140

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11. Reigen
Deutsche Cageszeitung, Berlin
44 Juni Aas
der „Reigen“ in dänemark.
Von Erich Schlaikier.
An einem Weihnachtsfeiertag wurde in Berlin der Schnitz¬
lersche „Reigen“ gespielt. Inzwischen ist der Geist, aus dem der
Reigen geboren wurde, von den sittlichen Kräften unseres Volkes
in einem unablässigen, harten Kampf immer weiter zurückge¬
schlagen orden, und heute wäre es den Freunden der November¬
freiheit kaum noch möglich, an einem ersten Weihnachtsfeiertag
und auf dem Hintergrund unserer schwarzen Niederlage den Rei¬
gen ihrer erotischen Lust noch einmal zu tanzen. Nun aber
kommt die alarmierende Kunde, daß die geschäftlichen Besitzer
des Reigens seine Annahme in der dänischen Hauptstadt
durchgesetzt haben und damit zieht für uns, sowohl kulturell wie
politisch, ein neues Unglück herauf.
Die Seele des dänischen Volks ist lyrisch reich begabt, aber
von einer außerordentlichen Willensschwäche und ihre Niederlage
im Jahre 1864 führte darum nicht zu einer Erweckung und An¬
spannung des militärischen Willens. Sie ließen umgekehrt nach
der Art der Schwäche ihre Wehr immer mehr verfallen, sie wurden
in der Welt der Wirklichkeit immer ohnmächtiger und hilfloser,
in der Welt der Einbildung und der Phantasie aber rächten sie
sich, indem sie eine nationale Lyrik deutschfeindlicher Stimmungen
schufen. Diese Lytik war keineswegs oder auch nur in besonderen
Maß in lyrischen Gedichten vorhanden. Sie lebten in der wissen¬
schaftlichen Literatur, in Zeitungsartikeln, in Wahlreden, in der
studentischen Jugend, in der Kindererziehung, und war als ein
Unterton des Empfindens so ziemlich überall zu spüren.
Wenn diese Deutschfeindlichkeit in den Grenzen des politischen
Streitfalls geblieben wäre, hätt's hingehen mögen. Niederlage ist
nun einmal Niederlage und man kann nicht erwarten, daß die
Unterlegenen von freundlichen Gefühlen beseelt seien. Die
lyrische Natur der dänischen Seele ließ aber eine derartige Begren¬
zung nicht zu. Sie verlor jede Herrschaft über sich selber und ging
dazu über, den ewigen Rang der deutschen Kultur und den un¬
verlierbaren Adel des deutschen Namens systematisch herabzusetzen.
Wir pflegen uns an unseren Feinden auf diese Weise nicht zu
rächen, auch an Frankreich nicht, mit dem wir viel mehr auszu¬
gleichen haben, als Dänemark mit uns. Die dänische Seele aber
unterliegt ihrer lyrischen Natur. Sie durchbricht nicht nur in
ihrem Verhältnis zu uns, sondern ganz allgemein jedes Maß und
keine Herrschaft über sich selbst zu besitzen, ist
unter allen dänischen Eigenschaften die am meisten dänische. Nun
beruht das, was wir Preußen Disziplin nennen, ja immer auf
einer Herrschaft über sich selber und darum war die Kopenhagener
Politik von je die Politik der undisziplinerten Empfindung.
Als der Weltkrieg ausbrach, fühlte auch das dänische Volk
einen Augenblick den Ernst der europäischen Lage, aber es warf
bereits im nächsten alle löstigen Hemmungen ab und sein deutsch¬
feindlicher Haß begann mit der überlieferten dänischen Zügel¬
losigkeit zu rasen. Die Kultur sei im Lager der Entente. In
Deutschland sei überhaupt keine Kultur mehr, sondern nur
militärische Barbarei und etwa noch eine brutale industrielle Ge¬
winnsucht. Der deutsche Militarismus sei es gewesen, der die
friedliebenden Kulturvölker des Westens überfallen habe. Der
deutsche Staat sei überhaupt der kulturlose Gewaltmensch unter
den europäischen Staaten und es läge im Interesse der mensch¬
lichen Gesittung, daß er zu Fall käme.
Auf dem Hintergrund dieser Stimmung, die seit Versailles
nicht abnahm, sondern nur noch dreister wurde, soll also in
Kopenhagen der Schnitzlersche „Reigen“ gespielt werden. Es liegt
in der Natur des Stücks, daß die besten Köpfe dagegen aufstehen
werden und die deutschfeinliche Agitation wird durch ganz Däne¬
mark heulen, daß man sich von der sogenannten deutschen nicht
wolle beschmutzen lassen. Nun können uns die Anschauungen,
die sich die Dänen über die deutsche Kultur gebildet haben, ja so
unendlich gleichgültig sein, weil unsere Kultur in ihrer Reinheit
vom Schwachsinn der Nachbarn nicht erreicht werden kann. Wenn
aber skrupellose Geschäftsleute ein Stück ins Ausland bringen,
das mit sachlichem Recht die deutschfeindliche Agitation
entflammt, so kann uns das leider nicht ebenso gleichgültig sein
und darum wollen wir beizeiten unsere warnende Stimme erheben.
Wenn das deutsche Volk in wieder erwachender Selbstachtung
Hindenburg wählt, zittert die demokratische Presse vor dem Mi߬
fallen der Feinde. Wenn unser Name aber dem Grinsen des Aus¬
lands hingeworfen wird, scheinen sie das vollkommen in Ordnung
zu finden, aber sie sollen in diesen, wie in anderen Fällen, die
Rechnung ohne die deutschnationale Presse gemacht haben.
Es ist erstaunlich, daß Dänemark daran geht, in seiner Haupt¬
stadt den „Reigen“ einzuführen, und der sonderbare Tatbestand
fordert zu mancherlei Gedanken auf. Dänemark hat seit 1864
die deutsche Kultur nicht nur in feineren oder gröberen Formen
herabgesetzt, es hat sich auch systematisch und zielbewußt von ihr
abgesperrt. Es kennt den Schleswiger Theodor Storm nicht, ob¬
wohl er ihnen in seiner stimmungsvollen Art und seiner roman¬
tischen Tiefe so unendlich nahe liegt. Es kennt den Schleswiger Li¬
liencron ebensowenig, obwohl sein Geschlecht vom dänischen König
baronisiert wurde. Es kennt den Holsteiner Hebbel nicht, obwohl
er unter dänischer Herrschaft lebte, mit dem Dänen Heiberg eine
Polemik durchfocht und vom dänischen König eine Unterstützung
erhielt.
Von den plattdeutschen Schriftstellern ist nur Reuter zu ihnen
gedrungen, von Groth und Brinkmann wissen sie nichts. Sie
kennen Anzengruber nicht, obwohl die österreichische Art der ihren
im Guten wie im Schlimmen so erstaunlich verwandt ist und ob¬
wohl die „Kreuzelschreiber“ gerade einem hochliegenden dänischen
Publikum ein Fest bereiten würden. Sie kennen Keller kaum
mehr als dem Namen nach. Sie kennen Raabe und Conrad
Neyer überhaupt nicht. Sie kennen Polenz nicht, obwohl sein
„Grabenhäger“ ihnen über den preußischen Adel und den preußi¬
chen Staat eine Aufklärung hätte geben können, die gerade für sie
außerordentlich wertvoll gewesen wäre.
Eben das Volk, das seine geistige Grenze luftdicht gegen
Deutschland schloß, stellt sich jetzt auf den Standpunkt, daß es
war nicht deutsche Poesie, wohl aber deutsches Gift in sich aufzu¬
nehmen begehre. Das ist für jeden Kenner Dänemarks ein sonder¬
barer Vorgang und fordert zu den merkwürdigsten Gedanken her¬
aus. Gewiß, es könnte sein, daß der dänische Uebersetzer und der
dänische Theaterdirektor einfach an einem geschlechtlichen Börsen¬
unternehmen etwas verdienen wollen. Es könnte aber auch sein
(und das ist wahrscheinlicher), daß die deutschfeindliche Agitation
dahintersteckt, die den Skandal der Aufführung zuläßt, um ihrer
Hetze gegen unser Volk einen sehr wirksamen Hintergrund zu
geben. Wie dem nun aber auch sei, so mögen die Dänen wissen,
daß wir das Stück unter ästhetischen wie unter sittlichen Gesichts¬
punkten auf das schärfste bekämpft haben, daß wir nicht mit dem
Reigen zu tun haben und der Reigen nichts mit uns.
entsche Zeitung, Berlin
3 Aug #9#
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blatt des Teutschen Bühnenvereins meldet, dast der Kopenhagener
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