11.
Reigen
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e
„Martyriums des heiligen Se¬
bastian“ von D' Annunzio mit der Begleit¬
musik von Debussy statt. Das Werk, das vor
fünfzehn Jahren entstanden und zum ersten Male
im Chatelet in Paris aufgeführt wurde, ist völlig
umgearbeitet und stark gekürzt worden; von den
fünf „Stationen“ des Originals sind nur noch vier
übriggeblieben. Die Aufführung an der Scala
mit Ida Rubinstein in der Titelrolle und
einigen der hervorragendsten Mitglieder der Com¬
médie Francaise gestaltete sich zu einem Theater¬
ereignis allerersten Ranges. Die Stabführung hatte
Toscanini. D'Annunzio, der der Aufführung in
Generalsuniform beiwohnte, war Anlaß patrioti¬
scher Kundgebungen. Der Applaus, der dem Werke
galt, scheint den ##chten der Presse zufolge
weniger groß gewesen zu sein. Recht amüsant und
bezeichnend für die heutigen Theaterverhältnisse
in Italien ist folgendes. Das Werk wurde schon
seinerzeit 1911 von den Erzbischöfen in Paris und
Mailand auf den Index gesetzt, und die Diözese
von Mailand erinnerte dieser Tage erneut daran,
daß es allen Katholiken auf Grund des kanonischen
Rechtes verboten sei, den Aufführungen des „Mar¬
tyriums“ von D'Annunzio beizuwohnen. Aber das
genügte noch nicht. Am Tage der Aufführung in
der Scala fand in der Mailänder Kirche San
Raffaele eine heilige Funktion statt, eine „funzione
reparatrice“, um die gekränkte Gottheit zu ver¬
söhnen.
In Rom, im Theater Bragaglias, erlebte dieser
Tage Schnitzlers „Reigen“ (Girotondo) die ita¬
lienische Uraufführung. Schnitzler, der doch sogar
schon ins Japanische übersetzt worden ist, ist in
Italien bisher wenig bekannt. Um so anerkennens¬
werter die Leistung Bragaglias, der von jeher be¬
müht war, moderne ausländische Autoren dem ita¬
lienischen Publikum zu vermitteln. Bragaglia ver¬
steht es meisterhaft, auf seiner kleinen Experimental¬
bühne mit bescheidensten Hilfsmitteln eindrucksvolle
und künstlerisch=stilvolle Wirkungen zu erzielen.
Weniger glücklich ist er in der Zusammenstellung
seines Ensembles. Die schauspielerische Wiedergabe
war durchaus unzureichend, und das ganz auf den
Dialog gestellte und nur vom Dialog aus zu spie¬
ende Stück versank in der Monotonie eines
nuancenlosen und gleichförmigen Spiels.
Aner¬
kennenswert immerhin die graziöse und leichte Art,
mit der über die für hiesige Begriffe besonders
gewagten Stellen hinweggespielt wurde. Daran
hätte auch Professor Brunner keinen „Anstoß“ ge¬
nommen. Die Aufnahme des Stückes war, wesent¬
lich infolge der matten schauspielerischen Wieder¬
gabe, recht schwach und die Kritiken der Presse
dementsprechend. Trotz dieser dezenten und unan¬
stäßigen Wiedergabe wurde das Stück wenige Tage
mach der Erstaufführung verboten.
Die an der Mailänder Scala gestohlene Stra¬
winski=Partitur über deren mysteriöses
Verschwinden aus dem Studierzimmer Toscaninis
wir vor kurzem berichteten, ist bei dem Musikalien¬
händler Mario Alziati in Mailand wiederge¬
funden worden. Dieser will sie von einem
Unbekannten für 50 Lire (!) erworben haben,
außerdem noch einige andere ebenfalls an der Mai¬
länder Scala entwendete Partituren. Die Polizei
forscht nun nach dem großen Unbekannten.
Giovanni Papini, der mit seinen Prosaschriften,
vor allem mit seiner in viele Sprachen übersetzten
„Storia di Christo“, einen nicht gewöhnlichen Er¬
folg erzielte, ist Blättermeldungen aus Florenz zu¬
folge unter die Komödienschreiber gegangen. Er
arbeitet gegenwärtig an einem Stück, das voraus¬
sichtlich den Titel „La scoperta del mondo“ (Die
Entdeckung der Welt) tragen wird. Außerdem
schreibt er zurzeit an einem moralisch=philosophischen
Werk, natürlich in literarisch=künstlerischem Ge¬
wande, „Adam“ das in Form und Charakter
eine Art Manifest darstellen wird.
Kr.
Reigen
box 18/3
e
„Martyriums des heiligen Se¬
bastian“ von D' Annunzio mit der Begleit¬
musik von Debussy statt. Das Werk, das vor
fünfzehn Jahren entstanden und zum ersten Male
im Chatelet in Paris aufgeführt wurde, ist völlig
umgearbeitet und stark gekürzt worden; von den
fünf „Stationen“ des Originals sind nur noch vier
übriggeblieben. Die Aufführung an der Scala
mit Ida Rubinstein in der Titelrolle und
einigen der hervorragendsten Mitglieder der Com¬
médie Francaise gestaltete sich zu einem Theater¬
ereignis allerersten Ranges. Die Stabführung hatte
Toscanini. D'Annunzio, der der Aufführung in
Generalsuniform beiwohnte, war Anlaß patrioti¬
scher Kundgebungen. Der Applaus, der dem Werke
galt, scheint den ##chten der Presse zufolge
weniger groß gewesen zu sein. Recht amüsant und
bezeichnend für die heutigen Theaterverhältnisse
in Italien ist folgendes. Das Werk wurde schon
seinerzeit 1911 von den Erzbischöfen in Paris und
Mailand auf den Index gesetzt, und die Diözese
von Mailand erinnerte dieser Tage erneut daran,
daß es allen Katholiken auf Grund des kanonischen
Rechtes verboten sei, den Aufführungen des „Mar¬
tyriums“ von D'Annunzio beizuwohnen. Aber das
genügte noch nicht. Am Tage der Aufführung in
der Scala fand in der Mailänder Kirche San
Raffaele eine heilige Funktion statt, eine „funzione
reparatrice“, um die gekränkte Gottheit zu ver¬
söhnen.
In Rom, im Theater Bragaglias, erlebte dieser
Tage Schnitzlers „Reigen“ (Girotondo) die ita¬
lienische Uraufführung. Schnitzler, der doch sogar
schon ins Japanische übersetzt worden ist, ist in
Italien bisher wenig bekannt. Um so anerkennens¬
werter die Leistung Bragaglias, der von jeher be¬
müht war, moderne ausländische Autoren dem ita¬
lienischen Publikum zu vermitteln. Bragaglia ver¬
steht es meisterhaft, auf seiner kleinen Experimental¬
bühne mit bescheidensten Hilfsmitteln eindrucksvolle
und künstlerisch=stilvolle Wirkungen zu erzielen.
Weniger glücklich ist er in der Zusammenstellung
seines Ensembles. Die schauspielerische Wiedergabe
war durchaus unzureichend, und das ganz auf den
Dialog gestellte und nur vom Dialog aus zu spie¬
ende Stück versank in der Monotonie eines
nuancenlosen und gleichförmigen Spiels.
Aner¬
kennenswert immerhin die graziöse und leichte Art,
mit der über die für hiesige Begriffe besonders
gewagten Stellen hinweggespielt wurde. Daran
hätte auch Professor Brunner keinen „Anstoß“ ge¬
nommen. Die Aufnahme des Stückes war, wesent¬
lich infolge der matten schauspielerischen Wieder¬
gabe, recht schwach und die Kritiken der Presse
dementsprechend. Trotz dieser dezenten und unan¬
stäßigen Wiedergabe wurde das Stück wenige Tage
mach der Erstaufführung verboten.
Die an der Mailänder Scala gestohlene Stra¬
winski=Partitur über deren mysteriöses
Verschwinden aus dem Studierzimmer Toscaninis
wir vor kurzem berichteten, ist bei dem Musikalien¬
händler Mario Alziati in Mailand wiederge¬
funden worden. Dieser will sie von einem
Unbekannten für 50 Lire (!) erworben haben,
außerdem noch einige andere ebenfalls an der Mai¬
länder Scala entwendete Partituren. Die Polizei
forscht nun nach dem großen Unbekannten.
Giovanni Papini, der mit seinen Prosaschriften,
vor allem mit seiner in viele Sprachen übersetzten
„Storia di Christo“, einen nicht gewöhnlichen Er¬
folg erzielte, ist Blättermeldungen aus Florenz zu¬
folge unter die Komödienschreiber gegangen. Er
arbeitet gegenwärtig an einem Stück, das voraus¬
sichtlich den Titel „La scoperta del mondo“ (Die
Entdeckung der Welt) tragen wird. Außerdem
schreibt er zurzeit an einem moralisch=philosophischen
Werk, natürlich in literarisch=künstlerischem Ge¬
wande, „Adam“ das in Form und Charakter
eine Art Manifest darstellen wird.
Kr.