II, Theaterstücke 11, (Reigen, 1), Reigen: Frankreich, Seite 83

zu hören. So wird nun das große Orchester, das sich
sehr viel Scharm und Temperament; trotzdem ist er, eben
der Filmmagnat Nathan hält, mit seinen Wochen¬
weil er einen spezisisch pariserischen Tyv darstellt, kein
konzerten den Abonnementskonzerten Konkurrenz machen.
Leopold, wie man sich ihn vorstellt, kein Leopold, den man
Es ist dies das Orchester, das bei den Pathé=Nathan¬
gemütlich Poldl rufen kann. Schade auch, daß die pikanten
Filmen die musikalische Partie besorgt, und es ist all¬
blassen Gesichtchen der Pariserinnen so gar nicht in die
gemein aufgefallen, mit welch ausgezeichneter Technik und
Dirndltrachten hineinpassen; Charell hat sich zwar für die
künstlerischem Verständnis die musikalische Untermalung
Figurantinnen die massivsten ausgesucht, aber es fehlt
dieser Filme ausgeführt ist. Wem dies gefallen hat, der
ihnen die erfreuliche pausbäckige Gesundheit der echten
kann sich nun das Orchester ohne störenden Film anhören;
Dirndln. Die bayrische Schuhplattlertruppe, die Markart¬
wer hingegen sich für das Orchester begeistert, der wird
steiner, stechen durch ihre urwüchsige Bärenstatur hervor,
nicht verfehlen, sich die Filme anzusehen, die von diesem
und tanzen Schuhplattler und Watschentänze, daß es nur
begleitet werden. So macht eines für das andere Reklame.
so knallt vor Taktfestigkeit und Disziplin, bis das Publi¬
Sie ist um so wirksamer, als die Qualität dieses Orchesters
in Paris einzig dasteht, und besonders die Geigen, ein
schwacher Punkt der anderen französischen Orchester, durch
Weichheit und Wohlklang überraschen. Die Disziplin ist
RADIO %
selten gut und beim Scherzo aus dem „Sommernachts¬
APPARATE
traum“ verspürt man sogar einen Hauch toskaninischen
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Geistes. Die Konkurrenz dieses Orchesters wird für die

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anderen Konzerte recht fühlbar werden, die nicht über so
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hervorragendes Material verfügen und auch nicht so

wirksam in Szene gesetzt werden.
Im Théatre de ['Avenue at es das Ehepaar Pitoeff
unternommen, Schnitzle„Reigen“ aufzuführen.
Es ist allerdingsein
OLDSCHHIED
hter Schnitzter, der dem
erstaunten Paris da geboten wird: Schnitzler, mit
moderner Sachlichkeit gespielt, wird zu einer Persiflage
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auf den ursprünglichen Schnitzler. Es gelingt nur der

ZNEUBAUG ·•
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großen Kunst Ludmilla Pitoeffs, über die Längen und

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die Eintönigkeit des Stückes hinwegzutäuschen, das nur
ELEKTRO
durch einige reizende Regieeinfälle, die deutlich aus der
4200 Ahreniat.
Wien=Berliner Schule stammen, belebt wird. Die Typen

WERKZEUGE
aus dem alten Wien, die Schnitzler auf die Füße stellt,
entbehren in Paris aller Lebendigkeit. Und, wie ein
geistreicher Franzose sagte: „Das Stück wurde in Wien
zu früh geschrieben und in Paris zu spät aufgeführt.
kum in tobenden Beifall ausbricht Die wackeren Bayern
Die Konjunktur der Erotik ist vorüber. Man hat, auch
kommen direkt aus ihrer Heimat.
in Paris, genug davon.
Mit der Musik wird sehr willkürlich umgegangen.
Besonders deutlich zeigt sich dieser Konjunktur¬
Man ist etwas überrascht, mitten im „Weißen Rößl“ einen
umschwung in der jubelnden Begeisterung, mit der man
alten Bekannten anzutreffen: den „Kleinen Gardeoffizier“
in Paris das „Weiße Rößl“ aufnimmt, das
dessen Abschiedslied Milton mit viel Schwung tanzt,
kürzlich im Théatre Mogador seine Premiere feierte. Die
begleitet und unterstrichen von einer ganzen Reihe von
Inszenierung Erik Charells hat alles getan, um
Oberkellnern, die plötzlich aus dem kleinen Gasthaus
Paris nicht ins Théatre Mogador, sondern in einen
hervorquellen. Außer den ursprünglichen Schlagern aus
riesigen Kirtagsrummel zu versetzen. Die Fassade, das
dem „Weißen Rößl“ kommt noch eine Importation aus
Vestibül, der ganze Zuschauerraum find, wie in Wien
Amerika auf die Bühne, die aber von sechs Matrosen sehr
falsch gesungen wird.
durch Marischka, mit einem ungeheuren Aufgebot an
Material, Geschmack und Farben in Gebäude oder Land¬
Ebenso wird mit der Geographie umgesprungen. Die
schaften alvenländischen Stils verwandelt worden. Ein
Pariser, die sich nächsten Sommer nach Sankt Wolfgang
„echter“ Tiroler Bua öffnet die Wagentür der Ankommen¬
begeben werden, dürften sehr erstaunt sein, zu finden, daß
den, eine ländliche Schöne mit, wenn nicht stilecht, so doch
dieser idyllische Ort nicht in Tirol liegt, wie ihnen Charell
kokett schiefgesetztem Tiroler Hütchen weist ihnen die
weismachen will. Alles ist auf Tirol umgesetzt,
Plätze an. Man geht nicht durch ein Foyer, sondern durch
weil die Pariser alles, was irgendwie mit ländlicher
einen Kirtagsmarkt mit verschiedenen Buden, wo man
Trackt zusammenhängt, sachverständig als „Tiroler
sich teils erfrischen, teils seine Ueberkleider in Auf¬
Tra “ bezeichnen, und jede Melodie, die im Entfern¬
bewahrung geben kann. Wenn man auch noch ein gutes
testen an einen Jodler gemahnt, „Tyrolienne“ heißt.
zentraleuropaisches Bier bekäme (man ist ja bescheiden
Darum muß sich alles auf Tirol reimen. Inder Bürger¬
geworden und verlangt nicht einmal Wiener Würstel mit
meisterstube, in die sich die Bühne für kurze Zeit ver¬
Kren), statt des berüchtigten Pariser Fabrikats, so wäre
wandelt, hängt ganz stilgemäß über dem Ehrenplatz das
das Lokalkolorit vollkommen gelungen. Der Blick erfreut
Bildnis des Kaisers. Darüber eine Krone, die vollstandig
sich an den reizend schönen und typisch österreichischen
ins Reich der Phantasie gehört. Als bei den Proben
Dorflandschaften, an den Wänden, und der Pariser
jemand bemerkte, das sei doch nicht die richtige Krone,
Mentalität wird durch verlockende Inschriften, wie „Die
meinte Charell empört: „Was für eine Krone?“ „Na, die
höchsten Berge
die niedersten Preise“ erfolgreich
österreichische Kaiserkrone!“ Worauf Charell mit souve¬
Rechnung getragen. Man wird so vorbereitet auf die
räner Ueberlegenheit entgegnete: „Das ist auch nicht der
unerhörte Reichhaltigkeit der Ausstattung des Stückes
Kaiser von Oesterreich, sondern das ist der Kaiser von —
Tirol!“
selbst, die alles, was man bisher in Paris
gesehen hat, in den Schatten stellt. Man
Als Kaiser von Tirol darf sich der Monarch, der da
sieht, daß Charells Lust an Pracht und Menge keine
ganz allein, aber in der Generalsuniform, im „Weißen
Schranke gesetzt war. Ich habe noch nie eine solche
Rößl“ ankommt, auch verschiedene Freiheiten erlauben,
Munifizenz angetroffen wie bei den Pariser Direktoren“.
wie die, mit der Wirtin über seine Minister zu spotten,
sagte Charell, und es dürfte in Europa nicht und ihr sein Herz auszuschütten. Aber daß er sich sein
viele Direktoren geben, die sich, wie die Brüder Isola, Gewehr selbst trägt, muß man selbst beim Kaiser von
die Inszenierung des „Weißen Rößls“ zwei Mil=] Tirol bezweifeln. Aber alle diese kleinen Ungenauigkeiten
lionen Franken kosten lassen. Wenn sie jedoch gehen unter in dem überwältigenden Farben= und
Bewegungsrausch, den Charell auf die Bühne gezaubert
hat. Erik Charell hat sehr viel von Hubert Marischka
gelernt und das Gelernte in amerikanischem Maßstab ins
Gigantische projeziert. „Ich warte stündlich auf ein Tele¬
gramm aus New York“ sagte er nach der Pariser
Premiere, „das mir aufträgt, das „Weiße Rößl“ auch
drüben zu inszenieren ....“
Man kann nach der begeisterten Aufnahme in Paris
einen Serienerfolg des Stückes prophezeien. Hoffen wir,
daß es uns auch, wie die Londoner Aufführung das
englische Publikum, recht viele französische Besucher nach
Sankt Wolfgang bringen wird, und so zu einer wirksamen
Fremdenverkehrspropaganda für Oesterreich wird
C. J.
oder wenigstens für Tirol!