II, Theaterstücke 11, (Reigen, 1), Reigen: Frankreich, Seite 97

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11. Reigen
arbeitet worden. Das Stück zeigt einen Großstädter, der
den Großstadtkrach nicht mehr aushalten kann, sich in seine
ländliche Heimat flüchtet, dort aber einen entstehenden
Kurort mit allem Tamtam wiederfindet. Trotz der Dekla¬
mationen philosophischer Art und des Könnens der Künst¬
ler ist dieses Stück kaum eines Spielplanes eines
großen staatlichen Theaters würdig. Im Theatre de Paris
spielt das Paar Verneuil und die Popescu, zwei Künstler
mit großem Talent einen Vaudeville der von Frauen¬
raubszenen aus Chikago oder der Mandschurei beeinflußt
ist. Das Stück stammt von dem Hauptdarsteller, Verneuil
selbst und ist für Elvira Popescu geschrieben. Der Schau¬
spieler Verneuil ist in diesem Fall dem Bühnenschriftsteller
Verneuil überlegen und die Rumänin Popescu ist eine
charmante und temperamentvolle Künstlerin.
Unter den Autoren, die ihre Werke zu Beginn der
Saison auf der Bühne in Paris sehen, macht wieder
Bourdet am meisten von sich reden. Bourdet hat mit
Recht sich mit seinem Stück „das schwache Geschlecht“ den
Ruf eines der besten Bühnenschriftsteller in Frankreich er¬
worben. Wenn das Stück auch in Deutschland wenig Er¬
folg gehabt hat, so ändert das nichts daran, das es als
eines der besten Stücke der zeitgenössischen franzö¬
sischen Lustspiele angesehen werden muß, das in der
französischen Fassung von einem ganz erstklassigen En¬
semble gespielt, die Kritik überragt. Bourdet hat nun
im Theatre de la Michaudière ein neues Stück auf die
(Die besten
Bühne gebracht „La fleur des pois“.
— bedeutet soviel wie die „Anormalen“). Wie der
Erbsen“
Titel des Stücks andeutet, ist der Aufbau der Handlung
sehr kompliziert. Der Duc d'Anche ist eine große Person
in der Pariser Gesellschaft, aber er verschenkt seine Sympa¬
thien an Männer. Da aber die große Gesellschaft tonan¬
gebend ist, kommen an die Pforten dieser Gesellschaft Leute,
die „lanciert“ werden wollen, bürgerliche Damen mit Geld
aus der Provinz, und auch Albert Tavernier, Autokon¬
strukteur, der seinen Wagen mit Schwerölmotor zunächst
bei Personen mit klingendem Namen verkaufen will. Das
Tor zu der Gesellschaft ist Zaza, eine verarmte Adelige
mit Beziehungen, die sich gegen Provision erbietet, solche
Bürgerliche in die Gesellchaft einzuführen. Tavernier
stellt ihr die Geldmittel zur Verfügung, damit sie Empfänge
gibt, wo man sich kennen lernt. Aber das klappt nicht, denn
Tavernier wird zunächst nicht beachtet, er langweilt sich.
Da erscheint im rechten Augenblick der Herzog d'Anche. Er
sieht Tavernier und findet Gefallen an ihm; Tavernier ist
Reporterin (Lucienne Lemarchand) und Frau Townsend
letzten Entwicklung der
(Germaine Dermoz).
Ein Zeitungskönig in
lanciert und mit einem Male ist er der Schiedsrichter der
Die französische Kritik verhält sich gegenüber diesem
der „Evening Gazette“ sin¬
Gesellschaft, die ihm, dem mächtig gewordenen Günstling
Stück kühl. Man liest in der Theaterkritik eines großen
des diktatorisch bestimmenden Herzogs, den Hof macht.
tion, eine alte Skandal¬
in deren Verlauf eine Frau
Finanzblattes die Bemerkung: „Das Stück ist ein Gemälde
Tavernier wird jedoch die Sache bedenklich, besonders, als
von amerikanischen Pressesitten und man hat darin einen
Gatten tötete. Längst war
der Herzog ihn mitnehmen will auf sein Landgut. Er
Schuldige war freigesprochen,
Angriff auf unseren hartnäckigen Gegner Hearst sehen
läßt sich von dem Herzog erwischen, als er einer jungen
und ihrem Töchterchen eine
wollen“. Es ist lehrreich, wie man in Frankreich dieses
Frau den Hof macht. Der Herzog wird wütend und spannt
Gemälde benutzt, um damit einen Gegner Frankreichs zum
ichungen des Romans der
Tavernier die kleine Dame aus, aber nur, um sich an ihm
Scheusal zu stempeln. In Wirklichkeit liegt kein Anlaß in
Augenblick, in dem sich die
rächen. Tavernier, ein echter Pariser Junge, rückt
zu
dem Stück vor, Hinchcliff mit Hearst gleichzusetzen. Man
Glück der Tochter steht auf
schließlich aus dieser Gesellschaft ab, in der Richtung seiner
könnte in jedem großen europäischen und amerikanischen
kleinen Freundin, die irgendwo Verkäuferin ist und mit
etzung der Veröffentlichung
gegen die Glückseligkeit der
Lande heute ein Schock Boulevardblätter aufzählen, die
der er die Wochenende selig draußen verbringt. Natür¬
unter dem Deckmantel der Sorge um die Moralität täglich
lich ist dieses Glatteis reich an den lächerlichsten Szenen,
des Töchterchens ziehen sich
dem Selbstmord von Vater
in denen bald die Frauen hoffen, daß sie wieder Mode wer¬
Schauerromane am laufenden Band in die Welt setzen,
ohne sich auch nur die geringsten Sorgen darum zu machen,
Stunden ein herzzerreißen¬
den, und bald die männlichen Anbeter des Herzogs in
ob Unheil damit angestiftet wird oder nicht. Und gerade
schottische Duschen versetzt werden.
egenüber der Tochter gespielt
erstören.
in Paris müßte man besonders beschämt sein beim Anblick
Bourdet neigt etwas dazu, alle natürlichen Instinkte
des Stückes, denn in zahlreichen Pariser Zeitungen ist die
einer eitlen Gesellschaft ins Lächerliche zu ziehen. Und
entwickelt und löst, geht die
kritisierte Art der Journalistik sehr weit entwickelt, auch
Paris bietet ihm Stoff genug. Mit diesem Stück jedoch
ervöse Technik einer Redak¬
auf politischem Gebiet, sehr zum Nachteil der Ruhe und
schießt er weit über das Ziel hinaus und man hat den Ein¬
der ausgleichenden Gerechtigkeit in unserem alten Erdteil.
n und den zweifelhaften
druck, daß das Publikum weniger die vollendete Technik
ernen Reportage über die
In der Comédie Francaise ist zu Beginn der
des Dialogs bewundert als die Absonderheit des Stoffs
einem verabschiedeten Geist¬
Saison ein neues Stück von Charles Dullin auf¬
beklatscht. So ist denn auch die Kritik des Stückes in Paris
uenden gefühllosen Frau be¬
geführt, das sich Age de fer, eisernes Zeitalter nennt
sehr kopfschüttelnd bei aller Anerkennung der Talente des
des Stückes sind hervor¬
und die Idee dramatisieren soll, daß die Maschine die Seele
Verfassers und des fabelhaften Ensembles. Tavernier ist
er Jacques Varennes, Ran¬
tötet. Dieses Thema, das sicherlich das Rohmaterial für
einer der berühmtesten französischen Schauspieler, Victor
i Rollan) und der Expastor
ein großes soziales Drama bilden könnte, ist hier mit den
ferner Luela Carmody, die kleinsten Mitteln und einer mittelmäßigen Phantasie be= Boucher und die köstliche Zaza Margarethe Deval. Schlie.