II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 49

10. Das Vermaechtnis
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Diese kleine Handlung aber##
die Steigerungen sind geschickt über die drei Akte
verteilt und die episodischen Seenen voller Plastik und
Stimmungsreiz.
Hugo Haberfeld.
Wien. Das war die große Theaterwoche, die uns
die Sensationsstücke der Saison brachte, von Hirschfelds
„Lumpen“ über Schnitzlers „Vermächtnis“ zum „Star“
von Hermann Bahr,*) von dem jüngsten Kämpfer für
die „neue Kunst“ bis zu ihrem Schöpfer und Verkünder,
dem litteraristhen Vuter der Moderne. Als ihr Meister
hat sich Arthur Schnitzler erwiesen. Er löst sich los
von der gesellschaftlichen Satire seiner Mitstrebenden
und rührt an das gesellschaftliche Problem und an eines
der tiefgreifendsten und am schwersten lösbaren, an das
des Kampfes gegen die bürgerliche Moral, in dem der
Angreifer immer der Schwächere bleibt. Mit der Kunst
des reifen Meisters bannt er die Welt des Scheins in
die Welt, in der wir leben, in der wir heimisch sind und
nnt vollendeter dramatischer Technik steigert und löst er
den tragischen Konllikt zwischen Pflicht und Sitte, zwi¬
schen Forderung der Welt und Willen des Menschen.
Das Schauspiel ist im Burgtheater gegeben worden.
Die Darstellung, mimisch und seenisch vollendet, zeigte,
daß der Glanz dieser einst bedeutendsten Bühne noch
nicht verblaßt ist. — Nicht minder lebhaft war der Bei¬
fall, den Hermann Bahr mit seinem Wiener Stück „Der
Star“ gefunden hat, das auch schen in Berlin mit Er¬
folg über die Bretter gegangen ist (vergl. Sp. 328).
Wenn auch der Vorwurf
zwischen fremden Welten
kann selbst die Liebe keine Brücke bauen — aus dem
Rahmen lokoler und zeitlicher Beziehungen heraustritt,
so verleugnet doch keine Seene des Stücks seine Wiener
Heimat. Darum hat auch das Werk in seine Heimat
erst volle Kraft und Wirkung und jubelnden Beifall ge¬
funden. Es war der erste wirklich große und unbestrittene
Erfolg, den der Autor des Romans „Theater“ mit seinem
in ziemlich gleichartigen Geleisen sich bewegenden Theater¬
schauspiel errang. Er hat damit die Grenzen seines
Könnens und die Ziele seines künftigen Schaffens auf¬
gedeckt. — Noch mehr in lokalen, ja eng begrenzten Anschau¬
ungen wurzelt das dritte der genannten Schauspiele,
„Die Lumpen“ von Leo Hirschfeld. Wie bei Bahr
spielt auch hier das Theaterleben in das Stück wirkungs¬
voll herein, ein Zeichen, welch ungleich größeren Raum
es in unserem gesellschaftlichen Leben einnimmt, als
anderwärts. Eine Litteraturkomödie, nimmt das Spiel
seine Gestalten aus der Wiener Kaffeehauslitteratur. Das
berühmte Kafseehaus Jung=Wiens wird mit seinen litter¬
arischen Kellnern, mit seinen Stammgästen, den alten
Künstlern, die nichts erreicht haben und grau geworden
sind und den jungen, die noch hoffen und schwärmen
können, auf die Bühne gebracht. In der naturwahren
Zeichnung dieses Boheme=Miliens liegt der Hauptwert
der Komödie, die sich an dem Motive von dem Dichter,
der nach seinem ersten Erfolge zu Ruhm und Beden¬
tung gelangt, seinen alten Freunden und alten Anschau¬
ungen und Idealen den Rücken kehrt, emporrankt. Der
innere Kampf, den der Dichter Heinrich Ritter mit sich
kämpft, vor die Wahl gestellt, sein Stück den Forderungen
der Menge anzupassen oder seine künstlerische Ueberzen¬
gung zu opfern oder allmählich von allen verlassen und
verlacht unterzugehen, giebt den tragischen Hintergrund,
der aber angesichts der heiteren Bilder aus der Welt
der Lumpen gald verblaßt. Das Stück wurde am Karl¬
#theater gegeben, vorzüglich gespielt, aber elend insceniert.
Wien.
Arthur I., Jellinck.
Am 11. Dezember ist in Wien Hans Grasberger
im Alter von 62 Jahren gestorben. Ueber ihn ent¬
Alle drei Schauspiele sind soeben in Buchsorm bei S Fischer in
Berlin erschienen.
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Eine wüthende Heroine.
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(Zum Titelbild.)
Fräulein Adele Sandrock, die weinende Erbin der#
seligen Wolter am Burgtheater, ist zur Abwechslung
wieder einmal um ihre Entlassung eingeschritten und
entwickelte bei diesem Einschrikte eine Wucht, die man
einer so nervenschwachen Dame nicht zugetraut hätte. Dem
Director Herrn Dr. Schleuther schlug sie die Thüre
vor der Nase zu und dem Leiter der Generalintendanz,
Freiherrn v. Plappart setzte sie einen Stuhl mit solcher
Gewalt vor die Thür, daß das Sitzmöbel in Stücke ging.
La donna # mobile! Obgleich man nur Wieder¬
käuer über den grünen Klee loben soll, hat Fräulein
Sandrock, als sie im vergangenen Sommer in Berlin
gastirte und sich bei diesem Anlasse selbstredend inter¬
viewen ließ, Herrn Dr. Schlenther so gelobt, seine
Vorzüge gegenüber Hofrath Dr. Burckhard derart
herausgestrichen, daß es begreiflich gewesen wäre, wenn
Frau Schlenther aus purer Eifersucht ihrem Gemahl
verboten hätte, den Posten eines lieben Directors des
Fräulein Sandrock anzunehmen. Jetzt haben sich ihre
Ansichten gründlich geändert, Dr. Burckhard istten
zumal seit er zum Hofrath des Obersten Abrechnungs¬
hofes im Journal „Die Zeit“ avancirte — der best¬
geliebte Exdirector, Dr. Schlenther dagegen der bes
gehaßte amtirende Director, jenen möchte sie mit Bonbons“
auspäppeln, diesen mit Kronängeln vergiften.
Und warum das Alles? Weil der Director ihr zu¬
gemuthet hat, im neuen Schauspiel des Herrn Doct#
Schnitzler die Mutter des Frl. Medelsky zu spien
Abgesehen davon, daß Herr Dr. Schnitzler selbst diese
Besetzung vorgeschlagen hat und dieser in seiner Eigen¬
schaft als Arzi und Theaterdichter es doch wissen mußte,
inwieferne sich die wüthende Heroinc für Mütterrollen
eignet, sind wir überzeugt, daß die Künstlerin gewisse
Mütterrollen im Burgtheaker gern spielen möchte.
Zum Beispiel die Medea, ein Stück, in dem eine
Hereine straflos ihre Kinder erwürgen darf. Doctor
Schseuther lasse sie die Medea und das Fräulein
Medelsky und vielleicht auch Frl. Bleibtreu ihre
Kinder spielen; in diese Mutterrolle wird sich die hassende
Sandrock mit all dem edlen Feuer, das ihr Blut sieden:
läßt, hineinlegen und Seenen von erschütternder Tragik
liefern.
Bei all ihrem Temperament ist Frl. Sandrock
leicht zu zähmen, und spielt sie auch Mutterrollen, freilich
nur solche, in welchen sie sich geben darf, wie sie ist
als: eine wüthende Heroine.