II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 63

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10. Das Vermaschtnis
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Snmmmmmmen Die nache Baugrunne m#dte Beurfenertetun d
von ihrem Kinde nicht einwilligen konnte, ließ den Alten] Schamgefühles, so würde sie das „Vermächtniß“ ihres
Burgtheater.
einsam zu Grunde gehen und folgte dem Geliebten in die
I.D Behnichtniß“. Schaufpiel in drei Aeten von Arthur
Hugo nicht annehmen. Für sie gibt es keine Entschuldi¬
Schnitzler.
gung, weder im Leben noch im Drama. Den Sterbenden
Wohnung, die dieser ihr, zwanzig Schritte von seinem
mag die durch seinen Sturz vom Pferde hervorgerufene
Elternhause entfernt, hinter dem Rücken seines wohl¬
Eine Verbindlichkeit, die wir Anderen wider ihren
Gehirnerschütterung entlasten! Das aber heißt die Unzu¬
Willen aufladen, ohne ihnen die Mittel, sie zu erfüllen,
habenden Vaters von dessen Gelde einrichtete. Hugo
rechnungsfähigkeit über das Drama aussprechen.
schümte sich mit Recht seiner Handlungen und wartete an¬
in die Hand zu geben, kann unmöglich ein Vermächtniß
geblich nur auf seine Selbständigkeit, um Toni (nach vier¬
Wohl gelingt es dem Dichter, uns mit der an Ibsen
genannt werden. Sonst wäre auch die letzte Bitte des
jähriger wilder Ehe) heimzuführen. Er wußte also, daß er
erinnernden Geschicklichkeit seiner Exposition über die
Herrn Schwertlein ein Vermächtniß, welche Mephistopheles
schweres Unricht gut zu machen hatte, so weit
Haltlosigkeit seiner Voraussetzungen im Unklaren zu er¬
der enttäuschten Frau Martha mit den ironischen Worten
dies überhaupt noch in seiner Macht stand. Und nun, da
halten, aber nur, so lange seine große Kunst unsere Sinne
überbringt: „Lass' Sie doch ja für ihn dreihundert Messen
ihn der Tod bei einem gewohnten Spazierritt im Prater
bezaubert, unsere Urtheilskraft bindet. Schnitzler hat das
singen! Im Uebrigen sind meine Taschen leer.“ Bei solchen
Legaten möchte der Teufel Erbe und Testamentsvollstrecker sein.
gefährliche Talent, für und gegen eine Sache mit derselben
vom Pferde stürzt, soll er alle seine Ansichten und
leidenschaftlichen Beredtsamkeit einzutreten und seinen
Das „Vermächtniß" des jungen Doctor Juris Hugo Losatti,
Grundsätze so gänzlich vergessen, soll er die bestehenden
Scheingründen das Ansehen ewiger Wahrheiten zu geben.
Verhältnisse so schwer und gröblich mißkannt haben, daß
welches dem Schnitzler'schen Schauspiele seinen Namen
er seinem früheren Unrecht ein Mäntelchen falscher
Möglich, daß er selbst an seine Objectivität glaubt
gegeben hat, ist ebenfalls der Wunsch eines Sterbenden,
Barmherzigkeit umhängen und auf seinen verzeihlichen
Hinter dem aus der Luft gegriffenen Problem seines,
eine Bitte, noch größer und schwerer, als die des Herrn
Leichtsinn ein unverzeihliches Verbrechen pfropfen möchte?
„Vermächtnisses“ lauscht ein tieferes hervor, wie das Gesicht
Schwertlein, und die Erfüllung dieses sonderbaren letzten
hinter der Larve: das Problem der freien Liebe, welche der Ehe,
Ein solches bleibt seine empörende, dreiste Zumuthung,
Willens liegt noch weiter von aller Voraussicht und
den Krieg erklärt: aber es will sich nicht demaskiren.]
mag sie der Dichter noch so sehr beschönigen. Der Eintritt
Möglichkeit ab. Hugo vermacht Eltern und Geschwistern
Der Dichter scheut sich, die Grenzen zu überschreiten, die
der Ehrlosen in ein rechtschaffenes Haus ist ein Scandal,
die Sorge für seine Geliebte und deren Kind. Das wäre
er sich selbst gesteckt hat. Niemand würde ihm das Recht
ein schädlicher, überflüssiger und sinnloser Eingriff in die
nichts Ungewöhnliches. Aber er besteht zugleich darauf,
Rechte der Gesellschaft. Hugo macht seine Eltern lächer¬
absprechen, für sein Ideal zu kämpfen und widerstritte
daß seine Hinterbliebenen, von deren Existenz im Hause
lich, gibt seinem dreizehn ährigen Bruder das schlechteste
dieses zehnmal den herrschenden Anschauungen. Hätten doch
Losatti bisher kaum etwas bekannt war, als Schwieger¬
Beispiel, compromittirt seine heiratsfähige Schwester, und
Hugo und Toni den Kampf mit der verlogenen, dem
tochter und Schwägerin, Enkel und Nesse, ausgenommen
das Alles um Toni. Wer ist denn diese Toni, daß sie die
Verderben geweihten Gesellschaft selber aufgenommen,
und der Familie einverleibt werden. Vater und Mutter
anstatt ihre Schatten dafür ins Treffen zu schicken! Ja,
gesellschaftliche Ordnung aus den Angeln heben und die
versprechen es ihm, und er stirbt erleichterten Herzens.
wäre wenigstens die ihnen leider verborgen gebliebene Idee
Auf dieser Voraussetzung, welche im ersten Acte des Wohlfahrt einer Familie vernichten durfte? Es scheint,
daß die Verlorene in der modernen Dichtung schon darum
in blanken Waffen und erhobenen Hauptes durch
Schauspieles gegeben wird, basirt das Stück. Sie ist in
einen Heiligenschein erhält, weil sie gefallen ist. Und wenn
als
das Drama geschritten, und wären sie
sich so unwahr und haltlos wie der erschlichene Titel, und
Hugo noch hoffen durfte, ihr und ihrem Kinde einen
deren Märtyrer gefallen! Man wüßte doch, wofür
zu eitel Spiegelfechterei und Zungengedresch sinkt herab,
Liebesdienst zu erweisen, wenn Toni noch davon über¬
sie gelebt und gelitten haben, wofür sie gestorben
was der eigensinnig in seinen Stoff verrannte Dichter von
ihr herleitet. Hugo fühlte es, daß er sich gegen die gute zeugt wäre! Beide mußten schon bei der geringsten Ueber¬
sind. Der Zufallstod Hugos war ein bloßes Unglück, der
Sitte vergangen hatte, als er Toni Weber, die einzige legung sich sagen, daß daran gar nicht zu denken ist.
Tod seines Kindes und seiner Geliebten sind es auch.
Hätten sie nur den gewöhnlichen Menschenverstand, so
Der kleine Franz verträgt es nicht, aus der alten gemüth¬
Tochter eines redlichen, kleinen Beamten, verführte. Vater
Weber wollte begreiflicherweise von dem illegitimen Enkel] würden sie die Dinge voraussehen, wie sie kommen. Ja,
lichen Kinderstube in den Losatti'schen Salon verpflanzt
nichts wissen; die Tochter, die wieder in die Trennung besäße Toni nur einen Funken weiblichen Stolzes und zu werden, und stirbt an nervöser Ueberreiztheit. Toni