II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 86

10. Das Vernaechtnis
RRAHTHRR
Feuilleton.
ds Vermächtniß.“
(Schauspiel in drei Akten von Arthur Schnitzler, zum ersten¬
male aufgeführt im Burgtheater am 30. November 1898.)
Das moderne Milieustück begnügt sich häufig damit, im
Rahmen einer dünnen, belanglosen Handlung das Leben und
Treiben moderner Menschen zu schildern. Gute Beispiele dieser
Art sind Dörmann's „Ledige Leute" und Langmann's „Vier
Gewinner". Das innerliche dramatische Interesse wird nicht
einmal geweckt, es tritt völlig zurück vor der Betrachtung des
rein Zuständlichen in den Charakteren und Situationen. Solche
Stücke haben, wenn sie gelungen sind, noch immer ihren ganz
besonderen eigenen Werth. Freilich liegt dieser Werth nicht im
Reinkünstlerischen höheren Stils, er liegt vielmehr in dem
Streben nach einer neuen Technik und daneben in der Schaffung
von Werken, die unter Umständen eine beträchtliche kulturhistorische
Bedeutung erlangen können. Ihre Hervorbringung fordert nicht
schlechterdings einen Dichter. Gewisse ganz einseitige dichterische
Anlagen genügen oft, um sie entstehen zu lassen.
Den ersten Erfolg auf der Bühne hat Schnitzler auch mit
einem Milieustück errungen, mit der „Liebelei“. Hätte man aber
auch sonst nichts von Schnitzler gekannt als dieses Theaterstück,
so hö man sich schon sagen müssen, daß der Verfasser nicht bloß
dichterische Anlagen habe, die er geschickt verwerthe. Schon die
„Liebelei“ war ein starker Beweis echten dichterischen Könnens.
Schnitzler begnügte sich nicht bloß, uns Wiener Luft und Wiener
Menschen zu zeigen, er führt uns ein erschütterndes Menschen¬
schicksal vor Augen. Die „Liebelei“ gehört also nicht mehr in die
Reihe der vorhin erwähnten Milienstücke. Es gewinnt natürlich
durch die lebensvolle Tarstellung der Zeit und des Ortes an un¬
mittelbarer Gegenständlichkeit, aber sein eigentlicher Werth liegt
höher, es ist ein wirkliches dichterisches Produkt.
Den beschrittenen Weg verläßt Schnitzler auch mit dem
„Vermächtniß“ nicht. Auch hier geht's um Leben und Tod, wie
bei allem Echten im Leben. Auch hier ringt ein armes Menschen¬
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er maumcmmneng n
gedeiht nicht recht, er welkt hin. Die Bes
kind mit den Verhältnissen, und es geht als der schwächere Theil
zugrunde.
sich nach und nach zurück. Natürlich
In dem gulbürgerlichen Hause des Professors Losatti, der
kann doch diese nicht in einem Hause verk
ein liberaler Abgeordueter ist, lernen wir in einer wirksamen
eine solche Person befindet. Toni selbst
Exposition gleich alle Personen des Stückes kennen. Da ist seine
mitgliedern freundlich behandelt, ganz
tochter Franzi. Auch Agnes schließt sich
Frau Betty, eine gute, aber wenig selbstständige Natur, seine
Tochter Franziska, ein tapferes Mädchen, in dem die Keime zu
kleinen Franz eine stete Erinnerung an de
echter Menschheitsentwicklung vorhanden sind. Wenn sie nicht
Nur Dr. Schmidt ist peinlich von all die
Ende des Aktes erkrankt der kleine Franz
alle herauskommen, so ist das Milieu schuld. Frau
Emma Winter, die Witwe des Bruders der Frau Betty,
Der dritte Akt zeigt uns die Famili
ein prächtiges Geschöpf, das durch Liebe und Leid reif und
Sie beklagt nicht mehr allein den Verlus
des kleinen Franz. Halt= und fassungslos
innerlich groß geworden ist. Trotzdem verfällt ihre Tochter
Agnes wieder atavistisch in den Kleinlichkeitssinn ihrer Um¬
Dr. Schmidt seine Minirarbeit. Es gelin
gebung. Ein Freund des Sohnes des Hauses, Gustav Brander,
glieder, mit Ausnahme Franzi's, umzusti
zeigt uns sein sympathisches Antlitz. Agnes liebt schwärmerisch den
im Familienrath, Toni nicht, wie anfang
Sohn des Hauses, Hugo. Franziska ist ihre Vertraute. Doch ist
aufs Land zu nehmen, sie soll im Gegent
lassen. Man wird natürlich für sie sorg#
Da bringt man in den ahnungslosen Familienkreis Hugo, der bei
Schmidt theilt ihr diese Beschlüsse m
einem Ritt in den Prater vom Pferde gestürzt ist. Er wird aufs
Zwischen Franzi und ihren Eltern komm
Sofa gebettet, ein Arzt ist schon mitgekommen, trotz des Mangels
zu Auseinandersetzungen. Franzi stürzt au
an äußerlichen Verletzungen scheint die Sache bedenklich. Hugo
findet sie nicht mehr, wohl aber einen Z
darüber läßt, daß die Aermste in die Do#
selbst wenigstens, der bei Bewußtsein ist, denkt an die Möglichkeit
des Todes und vertraut seiner guten Mutter ein Geheimniß an.
empfängt man die Eine Genugthuung
Er ist Vater eines vierjährigen Knaben, und auf sein Drängen
Schmidt, diesem moralischen Rüpel, in
Thür weist.
verspricht ihm seine Mutter, falls er sterben sollte, den Knaben
und auch Hugo's Geliebte in ihr Haus auszunehmen. Aber nicht
Wir haben lauter wirkliche, lebend
genug bamit, er will die beiden vor seinem Tode noch einmal
interessante, spannende Handlung vor uns
sehen. Der nach Hause kommende Papa Losatti findet dieses Ver¬
mit den Personen; wir lernen dadurch die
langen zwar ungehörig und thöricht, aber er gibt nach und geht
erzählten Handlung erkennen. Da haben ##
selbst, die beiden zu holen. Inzwischen kommt auch Dr. Ferdinand
Losatti. Er ist ein korrekter Mann, al¬
Schmidt, der gewesene Hauslehrer Hugo's, jetzt der Hausarzt der
der „Vereinigten Linken“, ein Schwä
Familie und halb und halb der Verlobte Franziska's. Er ist
Poseur. Das stimmt alles zusammen. G
empört darüber, daß man in dieses Haus Hugo's Geliebte ruft,
erziehen lassen und hat sich natürlich imn
er kann es aber nicht mehr ändern. Als diese, Toni Weber, mit
ein Verhältniß außer dem Hause habe.
ihrem Buben erscheint, stirbt Hugo.
Ernstes sei, das konnte er sich nicht denken.
Der zweite Akt zeigt uns Toni mit ihrem Buben in
welcher Art hat der gute Professor nicht.
Losatti's Haus. Die Familie hat den letzten Willen Hugo's daß seine Schwägerin Emma Hugo's C
respektirt. Alle sind in den kleinen Franz verliebt. Der aber dagegen nichts einzuwender gehabt, ja