II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 113

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er,
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die
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Das Vermagchinis
nung über die Protectoratsfrage habe kund¬
geben wollen, indem es zugleich betone, daß Deutschland,
Anderen Machten das Schutz¬
das seine eigenen Landeskinder im Orient selbst zu schützen
irgendwie zu bestreiten.
gewillt und im Stande sei, in diesem Punkte von keiner
förmlichen Erklärungen
anderen weltlichen Macht, insbesondere nicht von der
derspruch, daß der Papst
französischen Regierung mit ihren Protectoratsansprüchen
K
Nachdruck verboten.)
borgen den todkranken prinzlichen Knaben aus dem Ge¬
eton.
fängnißthor hinausführen will, tritt ihr Geliebter Bergerin,
ein blutiger Jacobiner, der an diesem Abend die Ge¬
fängnißwache hat, ihr in den Weg und will es verhindern.
heaterbrief.
Aber auch auf ihn verfehlen ihr Muth, ihre Entschlossen¬
Berlin, den 9. October.
heit und ihr Liebreiz ihren Eindruck nicht. Er wird ge¬
te in dieser Woche Victorien
rührt durch des armen Kindes elendes Aussehen, sein
Patriotismus wird durch Pamela's entzückende und des
„Pamela“, ohne einen Erfolg
kleinen Prätendenten jämmerliche Gestalt erschüttert, und
glaubte Sardou mit den
indem er sein Gewissen beschwichtigt mit den Worten:
unen wie in „Madame Sans¬
aus des Volkes niedrigsten
„Was kann ein kleines Kind dem großen Frankreich thun“,
henden Kreisen in enge Be¬
begünstigt er die Flucht. Cadet wird nun den in den
verschiedensten Verkleidungen harrenden Royalisten aus¬
le spielt. „Pamela“ ist eine
geliesert. Barras, der ihn eigentlich haben wollte und
ie und Schlauheit, die ebenso
sich von Pamela düpirt sieht, eilt den Flüchtlingen an
i weiß wie Nähnadeln, mit
die Meeresküste nach, dort aber weicht er der Ueber¬
werke aufertigt, die ihr das
macht,
dem
damaligen Frankreichs,
und indem er ehrfurchtsvoll vor
jungen Königssohn seine Reverenz macht und
Beauharnais und anderer,
sich
So
„Monsignore“ zu Gnaden empfiehlt, zieht er ab.
diese eleganten Damen
schließt das Stück mit einer royalistischen Verherrlichung,
erführerisch entkleiden, da¬
die tragikomisch wirkt angesichts der verkümmerien, aus¬
des Löwen Barras
In diesem Salon, dessen
gemergelten Gestalt des Knaben, der überall die Zeichen
der Regentschaft zurück¬
der Grausamkeit seines Wächters, des Scheusals Simon,
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trägt. Welches Königthum, vor dem Barras, der Held
eines Tages dahin, um
der Directoires=Epoche, sich demüthig verneigt! Melo¬
Josephine Beauharnais vor¬
öwe wird von der kleinen
dramatisch, auf grelle Effecte hinzielend, giebt sich de
Stück, dessen Handlung zwirnsdünn sich durch die fünf
sie in diesen Kreis galanter
Akte zieht, dessen Erfindung schwach ist und dessen
hineingezogen wird. Ihre
Charaktere uninteressant und unwahr, wie Marionetten
sie bald zu einem Mittel¬
wirken. Ganz und gar im Theatralischen bleibt der
chicklichkeit, die Verschwörung
Befreiuung Ludwig's XVII
Autor stecken, nirgends ein starker Eindruck, nirgends
m Temple. Die Bürgerin
eine einheitliche Wirkung. Die Heiterkeit nicht erheiternd,
die Rührung nicht rührend, die Stimmung nicht stim¬
in, sobald sie den armen
mungsvoll. Kaum, daß es in vereinzelten Momenten
und Qualen seiner Gefangen¬
er als ihre politische Ueber¬
dem Dichter, dessen dramatische Kraft sich ehemals als so
indem sie als Wäscherin
so zündend
dessen Komödienwitz sich
groß
gelangt, mit einem Passir¬
erwies, gelang, einen etwas lebhafteren Anreiz zu
im
geben,
rüstet, den sie mit ihren
ganzen lastete bleierne Langweile
lockenden Verheißungen
über dem Hause. Nicht einmal der glänzende Aus¬
stattungsapparat vermochte das Publikum zu versöhnen,
der, in die Absichten
obwohl er den Beweis erbrachte, daß auch nach dieser
die Entführung des
höchte. In dem Augenblick,
Seite von der Direction Neumann=Hofer das Beste zu
forb unter Wäschestücken ver¬
erwarten ist. Still und gleichgültig sah man das
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iegen, es könne nichts schaden, wenn den „dummen
Deutschen“ wieder einmal zum Bewußtsein gebracht werde,
daß sie zwar den Peterspfennig bezahlen, im übrigen
aber geduldig zusehen sollten, wie der Päpstliche Stuhl
mit der officiell atheistischen französischen Republis
„Geschäfte“ macht.
politische Schauspiel Sardou's an seiner eigenen Unnatur
scheitern. Und während es sich immer klarer erweist,
daß die Zeit vorüber ist, wo die Theatermache alles galt
und ausgeklügelte Bühneneffecte das Publikum über die
innere Leere und Unwahrscheinlichkeit der Stücke hinweg¬
täuschten und selbst die Sardous und ihre Nachahmer
der heutigen Generation noch kaum etwas zu sagen ver¬
mögen, entwickelt sich immer bewußter und wirksamer bei
uns in Deutschland das psychologische Schauspiel, das
den Feinheiten und Räthseln der Menschennatur nach¬
spürt und aus ihr folgerichtig die Vorgänge entwickelt.
Schlicht und klar. Nicht erkünstelt, mit mathematischer
Genauigkeit die
Wirkung berechnend, in Zügen
und Wendungen, von denen man
in vorhinein
daß
weiß,
kommen müssen, sondern ein¬
ch und natürlich, als die unerläßliche Consequenz der
Daseinsbedingungen und Voraussetzungen, unter denen
ie Meuschen leben, die man uns vorführt.
Zu den talentvollen unter dentjungen Autoren, die
dieses Kunstprincip hegen, gehört Arthur Schnitzler aus Wien.
Er ist durch seine Schauspiele „Freiwild“ und „Liebelei“
und durch seinen geistvollen „Anatol“ rasch bekannt ge¬
worden, nachdem er mit einigen Novellen zuerst die
Aufmerksamkeit eines kleinen Kreises auf sich gezogen
hatte. Und stetig fortschreitend hat Schnitzler mit seinem
neuesten dreiaktigen Schauspiel „Das Vermächtniß“, des
im Deutschen Theater seine Erstaufführung fand, einen
bedeutsamen Erfolg errungen. Der junge Dr. Hugo
Losatti ist beim Rennen gestürzt. Man bringt ihn als
Sterbenden in das Haus seiner Eltern, das vornehm
und behaglich aus jedem Winkel bürgerliche Gesittung
ausströmt und Menschen und Umwelt einfriedet
mit einem Wall berechtigter Vorurtheile,
dem Leben gewisser Gesellschaftskreise Gesetz sind.
Dagegen läßt sich wohl manches einwenden, aber nichts
thun. Niemand wird ernsthaft das Haus des Professors
und Abgeordneten Adolf Losatti sich anders denken können,
ls er es vor sich sieht, von Schnitzler meisterhaft ge¬
zeichnet. Der mit liberalen Phrasen und bourgevisem
Pathos sich über alle Schwierigkeiten des Lebens selbst
hinwegtäuschende Vater, die beschränkte, gutmüthige und
den seinen Ton in allen Situationen festhaltende Mutter,
die Tochter, wohlerzogen, etwas nüchtern und über den