II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 137

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10. Das Vermaechtnis
kretar der neueste Einatter von Nach einer ungewöhnlich schweren Fahrt ist Ende vorigen vorläufig in Omdurman zurückgeblieden sind. In einem deuischen
am Sonnabend in Szene gehen. Monats in Philadelphia eine deutsche Bark eingelaufen. Die Blatte wurde darauf hin bereits die Frage aufgeworfen, ob er nicht
im besonderen sagen: Seid gütig, ihr bürgerlichen Menschen, gegen das Kind muß aus der Welt, damit der Autor sagen kann: Seht, so
Nächtnis.
die Gefallene, die der Segen einer aufrichtigen Liebe, das Glückj enthüllt sich diese Gesellschaft, wenn sie vor eine wirkliche Opferthat
end, zum ersten Male: „Das
der Mutterschaft entsündigt hat! Schnitzler will die Gefallene der Liebe gestellt wird. Und die Gesellschaft enthüllt sich präzis,
Akten von Arthur Schnitzler.
nicht mit einem Glorienschein umgeben; er will ihr
restlos als eine lächerliche, heuchlerische, hartherzige Heerde. Kaum ist
nur ein bescheidenes Plätzchen erringen in der bürger¬
das Schmerzenskind gestorben, so geht's auch schon über die junge
eichen Menschen= und Lebens¬
lichen Gesellschaft, er will sie ehrlich machen. Er will sagen: es giebt
Mutter her. Das Werk der bürgerlichen Abschlachtung übernimmt
Theater hinabgestiegen. Er hat
in diesem Punkte keine bürgerliche Moral, es giebt hier nur Gefühls¬
jener kalte Moralegoist. Aber er trägt zugleich seinen Lohn davon;
eim Publikum einen sehr starken
und Gemütsfragen. Treibt dann eure Hartnäckigkeit solch ein armes
er wird von seiner Braut davongejagt, die zur Erkenntnis erst ge¬
folg gefunden; und das will viel
Ding ins Elend, so habt ihr eine Schuld auf dem Gewissen und ihr
langt, da es zu spät, da das Mädchen aus dem Hause und wahr¬
echniker diesen Stoff vorgetragen,
seid Heuchler! Diese Tendenz war es, was dem Pudlikum so
scheinlich in den Tod gegangen ist. Eben jene Tochter der blamablen
skandidaten ergiebt, die Leute
wohlgethan und nach den vielen Disharmonien des Stoffs schließlich
Familie verkündet dann den Satz von der menschlichen Güte.
vert isen.
noch eine gewisse innere Befriedigung verschafft hat.
Herr Reicher, der dem Autor einen adäquaten schauspielerischen
Vernautheit mit Ibsen und den
Die Gefallene ist nicht sehr stark charakterisirt; es wird viel von
Erfolg entgegenhalten kann, that vielleicht recht daran, den schlimm¬
gs nur im äußerlichen Sinne
ihr ausgesagt; in ihrem Wirkungskreis ihrem Milieu wird sie uns
komischen Vater ganz auf die äußere Wirkung hinauszuspielen. Mög¬
n Stück so recht nach der Kunst
nirgends gezeigt.
Sie ist eigentlich bloß Versuchsobjekt; in
licherweise hat Schnitzler sich einen Mann gedacht, der in seiner Art
Stück hat nämlich didaktischen
malheureuser Verfassung nur sieht man sie. Das Mädchen wird als
noch immer Sympathien erwecken soll. Herr Reicher gab nur einen
ie Moral, und ist recht rührsam
ein Muster unehelicher Treue geschildert; ihr Freund, dem sie ein Kind
alten Narren, der Lachen erregt, den man durch Zischlaute zur Ruhe
matisch. Was ich vermisse, das
geboren, ist in der goldenen Wiener Lebejugend ein seltener Vogel.
mahnt, wenn er sich einmal allzu herzensroh geberdet. Den Erfolg
me Schnitziers, die in „Liebelei“
Er hat nicht nur reelle Absichten; auch im Tode noch will er sie als
hat er aber ganz gewiß mit dieser seiner Auffassuag gefördert.
statt ihrer eine fliegende Hitze.
seine Ehefrau und ihr Kind als sein legitimes Kind gehalten wissen.
Vielleicht auch hat Else Lehmann recht gethan, als sie ihr Mädchen
die naiv gefundenen, anhaltenden
Sein Sterben füllt den ganzen ersten Akt aus, der gut studiert ist
ganz auf die bethränte Hekuba stellte; sie hatte übrigens einen geradezu
für Akt uns brachte; statt ihrer
nach der Wirklichkeit und, wie der zweite Akt von „Musotte,“ als ein
himmlischen Moment: Da sie, vom Kinde nach dem Vater gefragt,
dort der Stimmung täuschend
apartes Theaterstück gegeben werden könnte. Psychologisch ist er ohne
eine lächelnde Antwort geben muß und sich doch des Drucks der
ck geschrieben, seine Künstlernatur
Belang für das Kommende.
Thränen nicht erwehren kann. Dieses Herunterschlucken der Thräne
bleibt doch nur ein Konstruirtes.
Wie werden sich die Eltern mit diesem „Vermächtnis“ abfinden,
war erschütternd; es ging einem an die Seele. Vielleicht that auch
an wie ein Stück französischen
welche Rolle wird das Mädchen im Vaterhause ihres Geliebten spielen?
[Louise Dumont recht, als sie die erfahrene Witwe, die um jeden
und Sardon als etwa an Becque und
Das Kind wird eine Rolle spielen, sie aber gar keine oder höchstens
Preis eine unschuldig Schuldige retten möchte, ganz auf die leichte,
Er der „Dummen.“ Mit diesen
die Rolle des notwendigen Uebels. Die Frau des Hauses ist gütig
seichte Schwadroneurin stellte, und auch
Herr Sauer
starke Dofis von Sozialsatire
und schwach, der Vater eine Mischung von Rohheit und Gutmütigkeit,
konnte
gewiß nichts
Besseres thun, als in
seinem
Moral“ ausgesprochen, es wird
von Selbstsucht und Noblesse,
ein Phrasenmacher und
Moralisten den Menschen verloren zu geben, um, mit guter
Philister
Maßstab der giltigen bürgerlichen
— ein Geschöpf aus dritter oder vierter Hand,
Dialektik, ein Prinziv zu retten. Frl. Sarrow, als Bürgerstochter,
dann ausgerufen: Seht wie
ein bischen Hjalmar Ekdal, ein bischen Jordan. Die Tochter
die hinausblickt über die Grenzen der bürgerlichen Moral, entwickelt
ist ein Wesen, das zur freien Lebensauffassung möchte, aber zwischen
immer lebhafter ihr seines Talent. Herr Rittner, als der Mann
heißt: Seih gütig! Schnitzler den ängstlichen Eltern und ihrem Bräutigam, einem harten, ent¬
des „Vermächtnisses,“ gab einen Verunglückten und Sterbenden
eal auf, das Prinzip der reinen schiedenen Moralvirtuosen, hilflos dasteht. Auch eine Schwägerin
stimmungsvoll, zart, ergreifend; ein Mensch lag in den letzten Zügen:
in „Hedda Gabler.“ Er zieht kommt ins Haus, eine sogenannte aufgeklärte Frau und Raisonneurin.
Und man erhielt einen leichten, schimmernden Abglanz davon, wie dieser
lkonstruirten Einzelfall, und will! Das Kind, das ernste, bleiche, nie lächelnde Kind, wird geliebt, und Mensch wohl durchs irdische Leben gewandelt sein mag. —glu—
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