II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 142

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10. Das Vernaechtnis
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Ausschnitt
M 105
„OBSERVER
Nr. 75
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Ausschmit aus Staelshürgef-Toltung, Dert¬
1.7.72.
Theater, Coneerte, Vergnügungen.
Deutsches Theater. Ein neues Schauspiel in drei
Acten vön Arthur Schnitzler: „Das Vermächtnis“ hat gestern
Abend bei der hiesigen Erstaufführung dem Wiener Autor, welcher
persönlich anwesend war, eine erkleckliche Anzahl von Hervor¬
rufen eingebracht. Sein bedeutendes Bühnentalent, die drama¬
tische Gestaltungskraft und den scharfen Blick für das moderne
Leben hat der Antor schon früher zweimal in größeren Schau¬
spielen bekundet. Dem feineren Talente des Realisten, der
sehr anziehende Stimmungsbilder vorzuführen wusste, waren
auch warme Gemütstöne eigen, die unmittelbar das Herz be¬
rühren konnten und tiefere menschliche Empfindungen weckten.
Das neue Werk begegnete offenbar, wie das voll¬
besuchte Haus darlegte, großen Erwartungen, welchen der
Verfasser auch ziemlich weit entsprochen hat. Aller¬
dings ist „Das Vermächtnis“
ein eigenartiges, fast
ausschließlich
im Trauerflor einherschreitendes Stück
Leben oder besser gesagt: Familienleben. Jeder der drei
spannungsvoll gearbeiteten Acte führt an ein neues Grab.
Der Tod sordert allmählich drei Opfer aus der Familie des
höchst ehrenwerten, aber etwas doctrinären National=Oekonomie¬
Professors und Abgeordneten Dx. Losatti; im ersten Acte
stirbt der hoffnungsvolle ältere Sohn Hugo am Hufschlage
eines Pferdes. Er ist das Opfer seines Reitsports, wird,
Fer 4 nachdem die Handlung im freundlichsten Wiener Sonnenschein
der Familie Losatti und weiterer Verwandten und Hausfreunde e
begonnen, als tragische Verdüsterung sterbend in die Wohnung
zurückgebracht, um noch kurz vor dem Verscheiden seinen ue
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letzten Willen aussprechen zu können. Dieses Vermächtnis
betrifst die Fürsorge für ein vierjähriges Kind und dessen
Abonn
junge Mutter, von deren Beziehungen zu Hugo weder Vater den
Abonn
noch Mutter eine Ahnung hatten. Das Familienbild, welches
der Verfasser hier aufrollt, die Stellung der einzelnen
Familienangehörigen zu der überraschenden Offenbarung des
Sterbenden, das liebevolle Einverständnis der Mutter und
der Schwester, das etwas kopflose und vom gesellschaftlichen
Vorurteil beherrschte Benehmen des Vaters und des
als
zukünftiger
Schwiegersohn geltenden Hausarztes,
der
vornehme und
vorurteilslose Charakter der ver¬
witweten Tante Hugo's und
Schwägerin des
Herrn Professors — alles das ist mit feiner, intimer Lebens¬
farbe durchgeführt und der ganze Vorgang von ergreifendster
Art, da auch die Geliebte und das Kind an das Sterbelager
Hugo's citirt werden. Ein wirklich organischer Zusammenhang
dieses ersten Actes mit den beiden andern Acten, in welchen
das Drama der schicksalsschwer geprüften Geliebten, Toni
Weber, eines mittellosen Wiener Bürgermädchens, weiter und
zum Abschluss geführt wird, ist
nicht recht erkennbar.
Alles neigt sich
im
zweiten Acte zugunsten der
armen Toni, man will das Vermächtnis Hugo's ehrlich
erfüllen und das Enkelkind besonders bildet die liebliche Brücke
zur Besiegung aller Vorurteile, die man sonst dem Aufenthalt
der Geliebten des verstorbenen Hugo entgegengebracht hätte.
In voller Liebe steht zu der Unglücklichen Losatti's Tochter
Franziska, während der Hausarzt, Franziska's Verlobter, nach
wie vor zelotisch gegen die ehemalige „Maitresse“ eifert.
Der Act gipfelt in dem plötzlichen, freilich nicht besonders
motivirten Tode des Kindes, und so ergibt sich für
den Schlufsact von selbst der allmähliche Rückzug der
Familie Losatti und die herzlose Isolirung und Vereinsamung
der trauernden Mutter Toni Weber, die in ihrer seelischen
Trostlosigkeit aus dem Hause der Herzlosigkeit scheidet, um
den Tod aufzusuchen. Nur Huao's Schwester hatte in