II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 167

scelegant und flott gesprochen, wie in einem französischen
#o es gilt, die Leute nicht zur Besinnung kommen zu lassen. Die
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Farben der Dichtung wurden durch die leichte Konversation verwischt,
100 kund ich begriff den Mann nicht recht, der mir das nachher als
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„natürlich“ sehr warm empfahl.
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Inzwischen habe ich manches begreifen gelernt, auch die moderne
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„Natürlichkeit“, die manchmal gar nicht „natürlich“ sondern eine sehr
komplizierte und gelegentlich wohl auch raffinierte Sache ist. Der
Deutlichkeit zu Liebe will ich meine Ansicht an einem konkreten
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Beispiel auseindersetzen.
Abonne
Als Kainz seiner Zeit im Deutschen Theater den Faust spielte,
fiel die Art und Weise auf, wie er eine bekannte Stelle schauspielerisch
behandelte. Es handelte sich um die Worte:
... Nenns Glück! Herz! Liebe! Gott!
Ich habe keinen Namen
Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsglut!“
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Kainz streichelte hier Greihchens Wangen, seine Augen leuchteten
vor Glück und mit der seligen Leichtigkeit des unbekümmerten Lieb¬
habers sprach er die Verse. Das war gewiß geistreich und ich meiner¬
seits habe mich umsomehr darüber gefreut, als sein Faust sonst keinen
tieferen Eindruck hinterließ. Die philosophischen Verse so ganz
und
in leichte Liebesverse umzuwandeln, war, wie
gesagt, ein geistreicher Gedanke, zugleich aber war es ein Gedanke
von so ätzender Schärfe, daß er die wunderbaren Verse zerstörte.
Gerade Kainz versteht ganz ausgezeichnet, die Verse einer Dichtung
aus der sozusagen abstrakten Deklamation in die Sphäre des melisch¬
sichen Geschehens herabzuholen und das ist ein Verdienst, so ehrlich
und schwerwiegend wie nur irgend eins. In der er¬
wähnten Seen aber schlug sein Vorzug in einen Fehler um.
Er gab eine geistreiche Einzelheit auf Kosten Goethes und
so gewiß ich mich über die Einzelheit an sich freute, so gewiß ist
es, daß in diesem Augenblick Goethe zu keinem Menschen im
Theater sprach, auch zu mir nicht. Wenn aber Goethe nicht zum
Publikum spricht, bleibt die Wirkung aus, wie viele Künste sonst
auch an die Dichtung verwendet werden mögen. Kainz hat nicht
die Aufgabe, diesen oder jenen Gourmand zu erfreuen, sondern soll
vor allem den Faust zur Geltung bringen, wenn er den Faust spielt.
Mit der modernen „Natürlichkeit“ verhält es sich etwa so: sie ist
zu einer Natürlichkeit für Gourmands geworden. Es ist sehr hübsch,
den Mund nicht voll zu nehmen, es ist sehr hübsch, wie ein Mensch
zu gehen und nicht wie ein „Held“, auch sein Organ zu schonen, ist
eine nützliche Sache. Auf der andern Seite aber ist es auch ganz
und gar keine Schande, einmal eine machtvolle Bewegung zu machen.
wie es auch ganz und gar kein Verbrechen ist, ein wohlklingendes
Organ zu haben. Wenn eine Stelle, bei der ein Schauspieler der
salten Schule unfehlbar „losgegangen“ wäre von einem
modernen Schauspieler mit Geist und Verstand gedämpft wird
dann schnalzt der Gourmand im Parkett mit der
Zunge und sagte: „Ah! Zucker! „Unser“ Schulze! Hoho!“ Wenn
nun aber der Dichter in dieser Stelle Sturm und Drang und Macht
zu geben vermeinte — was thue ich dann mit Schulzes Zucker?
Selbst wenn der Dichter die Grenzen der Natur überschritten haben
sollte, wäre es immer noch besser, mit ihm zu sündigen, als gegen
ihn. Die „Natürlichkeit“ die nur genossen werden kann, indem man
die Feinheit des schauspielerischen Raffinements bewundert, ist keinen
Pfifferling wert. Wir wollen Natur, Natur; aber keine Natürlichkeit,
— pardon — zu einem — Kunststück geworden ist.
Ein Stück von Ibsen mag zehnmal im Salon spielen, der
Schanspieler—steht darnm doch auf dem geweihten Boden der
Tragödie, und das braucht er wirklich nicht zu vergessen. Oder
besser: er darf es nicht einmal. Und dann die Nachahmer, o — die
[Nachahmer! Kainz gab, als er Goethe schuldig blieb, wenigstens
Kainz und das ist immerhin nicht wenig. Nun aber die Nach¬
ahmer, die ##is Angst vor „Unnatürlichkeit“
das bißchen
Temperament zurückdrängen, was sie überhaupt haben, die
Pausen machen, so angenehm wie die Wüste Sahara, nur
weil das „vornehm“ ist, weil sie glauben, daß so am „Deutschen
Theater“ Komödie gespielt wird. Auf die Gefahr hin, für einen
Barbaren gehalten zu werden, will ich bekennen, daß ich oft heimlich
den Wunsch auf die Bühne gesandt habe: Etwas mehr Provinz,
meine Herrschaften! Etwas mehr das Bewußtsein, daß wir nun doch
einmal im Theater sind, wo kein Mensch sich auf die Dauer mit
„intimen“ Reizen zufrieden giebt. Es ist unglaublich, wie viel
besser für ein Stück mitunter eine schlechte Aufführung sein kann,
als eine sogenannte musterhafte. n „Deutschen Theater“ sah ich einmal
Schnitzlers „Vermächtuis“ und die dichterische Ohnmacht, die sich hier
abmnitkte, ein Drama zu schreiben, machte mich entsetzlich nervös.
Monate nachher sah ich dasselbe Stück in einer andren Auf¬
führung, die zwar nicht schlecht, aber doch unendlich viel bescheidener
war als jene des „Deutschen Theaters“. Die Arbeit war einfach
nicht wieder zu erkennen. Die Schanspieler hatten offenbar nicht die
Zeit gehabt, sich in das Detail ihrer Rollen zu verlieren und so kam
ein Zug in das Stück, der es zwar nicht zu einem guten, aber doch
zu
einem leicht erträglichen Drama machte. Das Mühsame
und Gequälte war fast vollständig verschwunden. Zuviel Detailarbeit
kann einem Drama eben gerade so gefährlich werden, als zu wenig
überhaupt zu sagen hat, frisch und froh herunter und dabei standen
sich alle Teile am besten. Das Unterstreichen, Gliedern, Detaillieren der
Künstler am Deutschen Theater hatte die Nichtigkeit des Ganzen nur peinlich
zum Bewußtsein gebracht. Und weiter! Hebbels „Julia“ hatte in
der „Neuen Freien Volksbühne“ einen vollen und starken Erfolg,
nicht trotz, sondern wegen d# unbekümmerten Naivetät, mit der
die Schauspieler an die Arbeit gingen. Also lassen wir uns belehren!.
Die Lorbeeren des „Deutschen Theaters“ sind ehrlich verdient und
auch noch immer frisch und grün. Aber gerade weil ich sie schätze,
möchte ich mich nicht darauf schlafen legen.
Erich Schlailjer.