II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 168

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Das Vernaechtnis
Das Stück heißt „Auf der Sonnenseite“ und verkündet
die Moral, daß die Sonnenseue des Lebens nicht im
müßiggängerischen sogenannken Genießen, sondern in
ehrlicher und befriedigender Arbeit zu finden sei. Bei¬
nahe ebenso alt wie diese Moral sind die Scherze und
die Schablone, mit welcher genannte Doppelfirma ihr

neuestes Kassenstück zusammenschusterte.
Im Deutschen Theater wurde ein dreiaktiges Schau¬
spiel „Das Vermächtnis“ des Wiener Dichters Arthur
Schnitzret nar Erforg ausefühit. Der Held des Stückes
hak beim Reiten den Hals gebrochen und seine Geliebte
nebst Kind seiner Familie als teures Vermächtnis hinter¬
lassen, man solle sich der Geliebten annehmen, als ob
sie seine rechtmäßige Gattin war. So lange das kleine!
Kind lebt, wird die Familie dem Wunsche des Toten
gerecht, als dieses stirbt, wird der jungen Mutter allge¬
mach das Hans moralisch zur Hölle gemacht, bis sie aus
Verzweiflung den Tod sucht und damit die Moral der
gereizten Familie befriedigt. Der Stoff ist bedeutender
als die Behandlung, aber es spricht doch immer noch
ein. Wir sind im Hause des Professors Losatti. Von allen
eine Künstlerhand aus der Arbeit. —
Seiten vernehmen wir das Lob des jungen Dr. Losatti, von der
Mutter und der jungen Schwester, von der Tante und namentlich
von der Base, die ihn liebt und sich von ihm geliebt glaubt. Er
wird uns als flotter, lebenslustiger Jüngling geschildert, der aller
Welt Liebling ist. Während man so von ihm schwärmt, ist er
beim Wettrennen mit dem Pferde gestürzt und wird als Sterbender
in die elterliche Wohnung gebracht. Mit atemversetzender, nerven¬
aufwühlender Umständlichkeit wird uns an ihm jedes Stadium
der Gehirnerschütterung vorgeführt, wird die Bühne wieder einmal
zum Hospital. Bevor er stirbt, macht er der Mutter ein Ge¬
ständnis: er unterhält seit Jahren ein Liebesverhältnis, dem ein
nunmehr vierjähriger Knabe entsprossen ist. Er läßt sich von der
in Schmerz um den sterbenden Liebling aufgelösten Mutter das
feierliche Versprechen geben, daß die Geliebte mit dem Kinve
sofort an sein Sterbelager geholt werden und nach seinem Tode
im Hause seiner Eltern bleiben wird. Inzwischen ist der Vater
heimgekehrt, ein richtiger Phrasenheld, der in allen Lebenslagen
das Bedürfnis empfindet, mit Gemeinvlätzen gespickte Reden zu
halten, ein stark aufgetragenes Zerrbild, aber als solches gut
und wirksam gezeichnet. Er ist entrüstet, daß seine Frau voreilig
ein Versprechen gegeben hat, dessen Ersüllung ihm und seiner
Familie die schwersten Unzuträglichkeiten bringen muß. In dieser
Auffassung wird er vom Hausarzt unterstützt, der mit der Tochter
des Hauses so gut wie verlobt ist und dem der Gedanke an ein
Das Deutsche Theäler arbeitel sehr fleißig. In kurzen
Zusammenleben seiner Braut mit einer leichtfertigen Person un¬
Zwischenräumen hat es bereits drei bedeutsame neue Stücke in
erträglich ist. Die Geliebte und das Kind erscheinen und werden
vorzüglicher Darstellung herausgebracht: des jüngeren Björnsons
von dem sterbenden Sohne den Eltern als „Vermächtnis“ über¬
„Johanna“, das französische Versstück „Cyrano von Bergerac“
geben. Mit dieser bis zum äußersten ausgemalten Rührszene endet ##
und neuerdings das dreiaktige Schauspiel „Das Vermächtnis“
der erste Aufzug. Bis dahin mag man dem Dichter noch allen¬
von Arthur Schnitzler, dem hochbegabten Wiener Schriftsteller.
falls zu folgen, obwohl die beiden Personen, die er ins Unrecht
Das letzle Werk har den stärksten äußeren Erfolg gehabt, ihn aber
setzen möchte, eigentlich ganz recht haben. Der Professor und der
nur sehr bedingt verdient. Es ist gewiß ein interessantes, aber
Arzt stehen auf dem sehr richtigen Standpunkt, daß eine ehrbare
ein überaus peinliches und aus ungesundem Empfinden hervor¬
Familie, die eine erwachsene Tochter und einen halbwüchsigen Sohn
gegangenes Stück, das nur unreife, an selbständiges Denken nicht
hat, die Maitresse des verstorbenen Sohnes nicht bei sich aufnehmen
gewöhnte Zuschauer zu blenden und packen vermag. Der erste
dürfe. Sie soll für die Geliebte und das Kind in jeder Weise
Aufzug ist allerdings in seinem krassen Realismus von unwider¬
sorgen, aber sie braucht sie nicht gerade in ihr Haus zu nehmen.
stehlicher Gewalt. Er ist technisch meisterhaft aufgebaut, mit
Man sieht voraus, daß es andernfalls zu schweren Konflikten
feinster Berechnung der Bühnenwirkung, wenn auch unter An= kommen muß. Sie kommen auch, aber der Verfasser weiß mit
wendung der gröhsten Mittel. Das Stück setzt heiter und sonnig ihnen herzlich wenig anzufangen. Der zweite Akt schiebt sich no