II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 186


10. Das Vernaechtnis
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als das Programm entworfen wurde, ebenso bekannt wie heute. abgesehen von ganz geringfügigen Zwischenfallen, lühig ettauser.: 22,
Die Lage ist nach wie vor unklar. Zwar sind verschiedene An= spalten sei. Ein sektirerische
Wenn trotzdem bisher daran festgehalten wurde, und wenn nun
unter giebt sich hier eine
dichterisch bedeutenden ersten Akte finden sich Ansätze von Theaterei,
Hirschfeld, dem Dichter der
1 dann aber siegt der Künstler. der Dichter Schnitzler. In weichen
Jede Gestalt, vor Allen de
Kunst und Wissenschaft.
Halbtönen schildert er seine Menschen, er kennt die Strömungen
sentirende Professor, ist eine
ihrer Unterseele, er weiß, wie leicht sich die Grenzen verwischen
Fülle feiner Beobachtung gis
„Das Vermächtniß.“
zwischen dem, was man konventionell Tugend nennt und Laster.
Wort, das ganze Gedanke
(Deutsches Theater.)
Er weiß, wie die Sehnsucht nach Glück in Allen lebt — er hat das
dumpfem Brüten plötzlich n
* Gegen Arthur Schnitzlers neue Schauspiel=Dichtung
in seiner „Liebelei“ schlicht und herzlich den alten Musikus aus¬
bin nicht Schuld, daß das
„Das Vermächtniß“ wird sich vom Standpunkt des Theater¬
sprechen lassen und hier ist es eine hochherzige Frau, die den Eiferern
ja auch Kinder.
Praktikus viel einwenden lassen. Zunächst, daß, von diesem Stand¬
entgegnet, daß der Schauer eines Frühlingstages, ein Blick, der im
Das schöne, reife Dicht
punkt allein betrachtet, die Fabel des Stückes ganz minimal ist:
rechten Moment über uns gleitet, all die ängstlich gehüteten Grenzen der
greifende Wirtung ausgeübt
Ein junger Mann wird von jähem Tode ereilt und erhält sterbend
Konvention für uns verwischt. Und dem liberalisirenden, bequem mit dem
eine Schnitzler=Gemeinde,
von seinen Eltern die Zusage, sie würden sich seiner Geliebten und
breiten Strom der Mehrheit schwimmenden Professor, der sich rühmt,
Dichter. Auch darstellerisch
seines Kindes annehmen, würden in ihrem Hause den Beiden ein
der armen Toni verziehen zu haben, erwidert sie das schöne Wort:
Theaters“; ganz vollendet
Heim bereiten; kurze Zeit lang erfüllen sie auch dieses Vermächtniß,
was hat ein Mensch dem andern zu verzeihen? Strafen dürsen wir
Rittner, Else Lehm
dann aber, als das Kind ihres Sohnes stirbt, treiben sie die Ge¬
und rächen meinethalben, damit bleiben wir unter uns — aber zum
Darsteller der übrigen Part
liebte ihres Sohnes aus dem Hause, nicht gerade äußerlich gewaltsam,
Verzeihen ist doch Keiner gut genug...
Ensemble.
aber doch innerlich brutal, mit wohlgesetzten, vernünstelnden Worten
Die Professorenfamilie hat eben beständig das Gefühl, daß sie
und in dem behaglichen, beruhigenden Wahne des Besitzenden, sich
verzeihend der armen Toni Gnaden erweise — erst als Toni, von
von allen Pflichten loskaufen zu können durch Geld. Das ist
* Philipp Langmanns
der Familie ihres Geliebten brutalisirt, in den Tod geht, erkennt
äußerlich b#trachtet das neue Theaterstück Schnitzlers, und der
im Schiller=Theater
diese, daß sie das Vermächtniß des Sohnes erst erfüllt hätte, wenn
Theaterpraktikus wird ihm ärgerlich zum Vorwurf machen, daß er
Publikums seine Aufersteh
ste zu Toni einfach gut gewesen wäre. Diese Güte mangelt aber
den Gang dieser Handlung niemals komolizirt hat durch Verwicke¬
für den Geschmack des
der Familie — die egoistische Freude, in dem Knaben ihres Sohnes
lungen, durch Theatralia. Für uns aber, die wir den Dichter
Komödie mit vollem Verst
Ersatz für den Verstorbenen zu finden, ist es allein, was
Schnitzler lieben und ihn nicht durch einen Theatraliker erietzt sehen
dings auch in einem S
ihnen die Uebernahme des Vermächtnisses und die übernommene
möchten, liegt ein Fehler des Stückes eher darin, daß er hiet, wenn
werden könnte, wenn nich
Pflicht erleichtert. Nach dem Tode des Kindes macht sich sofort alles
auch wohl widerstrebend, den Versuch gemacht hat, ein Theater¬
treibungen den Gesammtei
Kleinliche in ihnen wieder geltend und die Rücksicht auf die Gesell¬
stück im Sinne des großen Publikums zu schreiben. Ich glaube
Volksscene im 2. Akt;
schaft siegt endlich. Unterstützt wird dieser Rückfall in Gewöhnlich¬
das vor Allem vom ersten Akt, der bei aller dichterischen
Charaktere deutlich vor, j
keit durch die Beredsamkeit des jungen Hausarztes, der um die
Schönheit doch nicht die reinen künstlerischen Linien der „Liebelei“
gegliedert und doch ein
Tochter wirbt — diese Figur mag erlebt, mag durchaus wahr sein,
aufweist, der bei all seiner tiefen Innerlichkeit und seiner grund¬
Schreien könnte man etw
aber sie wirkt nicht ganz wahrscheinlich, wie fein auch Schnitzler durch
legenden Charakterisirung der Gestalten doch eigentlich ein Bühnen¬
nicht der
Max Pategg spielte,
Betonung der freudlosen Jugend dieses Fanatikers
Nothbehelf ist und den wir lieber fort wünschen. Der Tod des
Sittlichkeit sondern unserer Sitten — ihn vielfach erklärt. Alle
erschien der äußere Ausd
jungen Mannes wäre künstlerischer in die Vorfabel gelegt worden
Therese Leitner gab
anderen Gestalten, in denen immer das Für und Wider
und dann hätte sich wohl Gelegenheit gefunden, die Beziehungen der
die Vertheidigung ihres
gegeneinander kämpft, sind dem Dichter vorzüglich geglückt: sie
Eltern zu Toni, der Geliebten ihres verstorbenen Sohnes, ihre all¬
sind wirklich lebende Menschen, gesehen und geschildert ohne Haß,
(Grete Meyer) war e
mählich, ihnen unbewußt aufkeimende Abneigung gegen Toni noch
Darstellern kann in Bau
aber vielfach mit warmer Liebe. Die Heldin wurzelt diesmal nicht
breiter auszumalen.
wie in der „Liebelei“ auf Wiener Boden, wie denn überhaupt Schnitzler
Schnitzlers Versuch, dem Theaterstück im gewöhnlichen Sinne
Konzessionen zu machen, ist erfreulicherweise gescheitert — gescheitert
en seiner feinen Kunst. Denn nur in dem immerhin auch schon diesmal nicht mehr von lokalen Vorbedingungen ausgeht — mit¬