II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 198

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10. Das ernaechtnig
Die Zukunft.
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gern hört und niemals befolgt. Toni, meint sie, müsse, trotz ihrer Illegitimität
und ihrem Kinde, von den Losattis zärtlich gehegt und gepflegt werden; diese
Pflicht sei ein hehres Vermächtniß und entsprrche außerdem den Geboten höchster
und reinster Sittlichkeit. Zwischen Herrn Schmidt und Frau Winter kommt es
erst zum Geplänkel, dann zum offenen Redekrieg. Sie spitzen ihre Ansichten nicht
zu allgemein giltigen Sentenzen im Dumasstil, denn wir sind Realisten und lächeln
aus steiler Höhe stolz auf Thesenstücke herab, aber sie behandeln mit papierner
Dialektik den einzelnen Fall doch als typischen Vorgang. Für Frau Winter —
aus Lona Hessel vom Grafen Trast, würde es auf Rennprogrammen heißen
sind Frau und Fräulein Losatti; für den von Rosmers Schwager, dem Rektor
Kroll, abstammenden Doktor ist Herr Professor Losatti, Ibsens im milden Macht¬
bereich der Neuen Freien Presse akklimatisirter Normalmann vom Helmerstamm.
Ein Zufall fördert den Sieg der Männermoral über Weibersentimentalität.
Der kleine Franz Weber folgt seinem Vater flink ins Grab. Was soll man nun
noch mit Toni? Ein fremdes, lästiges Element. Der Doktor wird ihr sagen,
sie solle ihre sieben Sachen packen; natürlich bekommt sie ein ordentliches Stück
Geld. Wenn der Stein des Anstoßes weggeräumt ist, werden Biebers wieder
mit Losattis vrkehren und der liberale Befehder des Grafen Thun wird wieder
ein Haus machen können. Aber Toni will nicht, kann nicht allein sein; ein kurzer
Mond hat ihr den Liebsten und das Kind geraubt: nun erbebt sie vor der kalten
Einsamkeit, bebt, wie Galottis heiße Tochter, auch ein Bischen vor der Gefahr,
in die ein neues Gefühl leicht ihre jungen Sinne locken könnte. Ein Freund Hugos
hat sich von ihr zurückgezogen, um sie nicht ins Gerede zu bringen. Frau Winter
kann ihr das Wittwenhaus nicht als Ruhstatt öffnen, weil Fräulein Agnes dem
Plan widerspricht. Der Armen winkt kein Heim, keine Hoffnung auf wärmende
Menschengemeinschaft. Sie geht ins Wasser. Und nun wird schnell noch der
Doktor bestraft. Fräulein Losatti wird nicht Frau Dr. Schmidt heißen: sie
peitscht den Bräutigam mit harten Worten zur Thür hinaus und spricht unter
Schluchzen zur gebeugten Mutter, man müsse „gut sein“, dann gebe es keine
unüberwindliche Schwierigkeit. In der Novelle Maupassants, wo Musottes
uneheliches Kind, als ein Vermächtniß der Toten — heißt die Novelle nicht
auch L'héritage? —, ins Bürgerhaus aufgenommen wird, lautet die Schlu߬
moral: qu'il n’yapas de situation inextricable pour les tres-bons coeurs.
Was ich hier erzählt habe, ist der Inhalt des Schauspieles „Das Ver¬
mächtniß“, das von dem wiener Dichter der „Liebelei“, Herrn Arthur Schnitzler,
verfaßt und im Deutschen Theater aufgeführt worden ist. Während des ersten
Aktes waren die Hörer zunächst gespannt, dann zu Thränen gerührt. Die Effekte
sind klug gesteigert, die Sterbestubenluft stimmt zur Wehmuth; und ein hübsches,
an der Leiche des Liebsten, der in ihrem Schoß neues Leben schuf, mit dem verküm¬
merten, mageren Kind knieendes Mädchen: ca ne rate jamais, sagt Sarcey, der seit