II, Theaterstücke 10, Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 202

box 16/3
10. Das Vernaechtnis
geistreich oder schlicht gearbeitet ist,
durch der brausende Lärm im Parkett
darüber ließe sich streiten. Aber
zum Orkan anwuchs, ist selbstverständ¬
der Kunstwart braucht seinen Raum
lich. Ebenso selbstverständlich aber
für Wichtigeres.
hätte sein sollen, daß Herr Direktor
Zum Schlusse zu Halbe. Das
Neumann=Hofer den vergnügten Herrn
Berliner Premièrenpublikum hatte
noch am selben Abend aus dem Ver¬
seinen guten Tag. Im Hause Lessings
band seiner Bühne entließe. Die kon¬
herrschte mitunter ein Radau, wie man
traktliche Berechtigung dazu hatte er
ihn selbst in einem Matrosentheater
unter allen Umständen.
letzten Ranges nur selten trifft. Ernste
Erich Schlaikjer.
Szenen wurden wie gelungene Kalauer
bejohlt; wohlgemeinte, aber verun¬
musik.
glückte Sentenzen wurden mit donnern¬
dem ironischen Bravo begleitet und
In München war das bedeu¬
wenn der Dichter eben seine schlimmste
tendste „Musikereignis“ der letzten Zeit
Niederlage erlitt, wurde er unter wie¬
Professor Berthold Kellermanns
herndem Gelächter gerufen. Der Dichter
Unternehmen, mit dem bedeutend
ach, er hieß Max Halbe. Sein
verstärkten Kaim=Orchester, die sämt¬
Stück ist schlecht und verdiente die
lichen zwölf symphonischen Dich¬
furchtbare Niederlage, den Skandal
tungen Liszts in einem vier Abende
aber verdiente er nicht; um des Dich¬
umfassenden Zyklus vorzuführen, eine
ters willen, der ehrlich gestrebt und
„That“ (um ein viel mißbrauchtes
Gutes geleistet hat, hätte das Publikum
Wort auch einmal da anzuwenden,
seine schlechten Instinkte zügeln müssen.
wo es wirklich am Platze ist), deren
Kritisieren kann man diese „Tragödie“
sozusagen „moralisches“ Verdienst
nicht. Halbe hat sich, in einer aller¬
nicht geringer anzuschlagen ist, als
dings fast unbegreiflichen Weise, über
das rein künstlerische. Ein Akt pie¬
seine Begabung getäuscht. Er versteht sich
tätvoller Huldigung, vom Schüler
auf intime Bühnenstimmung und in¬
dem großen Lehrer und Meister dar¬
time Charakteristik. Seine Mensch n
gebracht, gestaltete sich durch seine
leben und weben im Duft ihrer Heimat,
würdige, zum Teil geradezu glanz¬
und das ist viel. Im „Eroberer“ aber
volle Ausführung zu einem musikali.
beschwört er die Renaissance herauf,
schen Ereignis allerersten Rang S#
wagt er sich an Motive, die mit ge¬
War es schon im allgemeinen hoch¬
waltiger Kraft gestaltet sein wollen,
interessant diese Meisterwerke einer
wenn nicht das Erhabene in das Lächer¬
Gattung, in der wie kaum in einer
liche umschlagen soll. Von den kleinen,
anderen, die künstlerische Eigenart
hübschen Liebeskonflikten der „Jugend“
Liszts sich rein und deutlich ausprägt,
verlangt er, daß sie bedeutend scheinen
in lückenloser Reihe vorüberziehen zu
sollen. Bei der Première hat er ge¬
hören, so sammelte sich natürlich diese
büßt, was er gesündigt und hat oben¬
Teilnahme ganz besonders auf dieje¬
drein noch Unrecht erlitten. Daß er
nigen der symphonischen Dichtungen,
endlich die Grenzen seiner Begabung
die man sonst selten oder gar nicht
erkennte! Er ist ein Poet des Intimen
aufführt. In dieser Beziehung bot
und kann ebenso leicht bedeutende Stoffe
der „Hamlet“ wohl auch solchen,
bewältigen, wie Kinderarme ein
die mit dem Lisztschen Schaffen ver¬
Schlachtschwert schwingen können. Der
trauter sind, eine Ueberraschung. Die
gestrige Abend hat klar und deutlich
mit Worten nicht einmal auch nur
das Gebiet bezeichnet, das sein Fuß
anzudeutende, geradezu suggestive
nie betreten darf und der despotische
Wirkung, welche dieses kurze Stück
Mob hat zudem eine Warnungstafel
trotz, oder vielleicht gerade mit in¬
aufgerichtet, die wohl geeignet ist, zu
folge seiner musikalischen Schlicht¬
schrecken.
heit und Reizlosigkeit bei kongeniale
Soweit die Sache in Betracht kommt,
Aufführung, wie hier unter Keller
schließen wir jetzt. Darüber hinaus
mann, ausübt, war selbst für genauf
glauben wir aber doch unseren Lesern
Kenner der Partitur kaum zu erwar
eine Mitteilung schuldig zu sein. Ein
ten. Für das große Publikum frei
leidlich begabter Mime, der Jarno
lich wars „Caviar“ was man außer
heißt, fühlte sich vom geistesverwandten
dem nur noch von der grandios wuch¬
Ulk des Publikums angesteckt und ulkte
tigen „Héroide funebre“ sagen kann.
in einer schwierigen Situation durch
Auch dieses Werk verstehend zu ge¬
eine rüde Handbewegung mit. Daß da¬
nießen, wird noch für lange Zeit den
Kunstwart
1. Novemberheft 1898
104 —